Warten auf die Apokalypse

Die Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz richtet den Scheinwerfer auf Aktivisten der Letzten Generation

Letzte Generation – Warten auf die Apokalypse

Eine übergroße Projektion des Ölgemäldes »Niagara« des US-amerikanischen Malers Frederic Edwin Church ist fast über die gesamte Bühnenbreite der nicht eben kleinen Berliner Volksbühne zu sehen. Ein Bild aus dem Jahr 1857, fast so vergessen wie sein Schöpfer. Es ist ein Musterbeispiel für ein naturromantisches Kunstwerk, in dem »Mutter Erde« so harmonisch und wunderschön erscheint, wie sie nie war und nie sein wird – außer in der menschlichen Imagination. Dass man ausgerechnet hier in der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, wo man sich ein Viertel Jahrhundert lang vor allem einer Dekonstruktion allzu einfacher Weltbilder künstlerisch verpflichtet gefühlt hat, vollkommen ironiefrei mit diesem vorgestrigen Bildnis im Hintergrund eine Abendveranstaltung bestreitet, ist zumindest irritierend. Hat das Neobürgertum das einstige Arbeitertheater gekapert?

Neugierig gemacht hat zunächst vor allem, dass man gar nicht wusste, was man von diesem nachträglich in den Spielplan integrierten Event am vergangenen Freitag zu erwarten hatte. Die Letzte Generation hat das schöne Kunstwort »Hausbesuchung« als Titel erfunden und ihm die Frage »Ohnmacht oder Hoffnung?« beigestellt. Klar war: Das würde keine feindliche Begegnung, kein Klebespaß auf Bühnenboden. Die Volksbühne hatte eher im Gestus der Solidarisierung die Türen für die Aktivisten geöffnet.

Zunächst sind Mitstreiter der Letzten Generaterion und künstlerische Mitarbeiter der Volksbühne brav nacheinander auf die Kanzler – pardon, ans Rednerpult! – getreten und haben Texte von sogenannten Klimabetroffenen, aus Einlassungen vor Gericht und aus einer Rede von UN-Generalsekretär António Guterres vorgelesen. Als performative Trauerarbeit ließe sich das umschreiben. Garniert wurden die Leseparts durch die Einspielung von »Tagesschau«-Ausschnitten aus verschiedenen Jahrzehnten, in denen der menschengemachte Klimawandel Thema war.

In einem sehr deutlichen und lichtblickartigen Grußwort machte die Dramaturgin Sabine Zielke einerseits klar, dass sich das Theater mit dieser Form des Aktivismus verbunden fühlt, und öffnete andererseits den bei dieser Veranstaltung recht engen Blick auf Themen wie Ökonomie und Eigentumsfragen. In einem weiteren Teil folgte ein Auftritt des Künstlerkollektivs Ministerium für Mitgefühl, das in einer Mischung aus Lecture-Performance und sozialpädagogischer Sofortmaßnahme Gespräche innerhalb des Publikums anleitete, in denen etwa debattiert werden sollte, ob Bilder von verdurstenden Kindern oder zerfurchten Äckern das Mitgefühl aktivieren würden. Diesem Déjà-vu, das an besonders traumatisierende Schultage gemahnt, konnte man nur durch Flucht aus dem Saal entgehen.

In einem »Call to action« genannten Veranstaltungsteil traten abermals Aktivisten hervor, die, teils unter Tränen, von ihrer Zeit bei der Letzten Generation berichteten und zum gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel anhielten. Hätte eine Rednerin nicht klargestellt, dass die Aktivisten gerade erst beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg geladen waren, man hätte es an dem Vokabular erahnen können. Die Apokalypse war den ganzen Abend über spürbar. Von »Glauben« wurde viel gesprochen, von »Hoffen« sowieso. Durch den Klimaprotest aber entwickle sich eine »ungeheuere Kraft«.

Einigermaßen ratlos entlässt einen eine solche Veranstaltung in die Nacht. Nach dem etwas biederen Bühnenprogramm hat man im Foyer die Möglichkeit mit Aktivisten ins Gespräch zu kommen, wovon rege Gebrauch gemacht wird. Überhaupt vermag es die Letzte Generation, offenbar recht mühelos den Zuschauersaal zu füllen. Aber, und das scheint eine weitere Verwandtschaft mit dem Kirchentag zu sein, man erreicht wohl auch vor allem diejenigen, die sich der Bewegung ohnehin schon nahe füllen.

An diesem Abend werden auch keine Argumente vorgetragen. Stattdessen beschwört man die Katastrophe und zeigt sich wissend, wie man ihr zu begegnen hat. Politik mit der Angst zu machen, ist aber immer, auch mit dem besten Anliegen, eine zwiespältige Angelegenheit. Und auch wer etwa mit dem Festkleben auf den Straßen der Autobahnrepublik Deutschland sympathisiert – der Autor dieser Zeilen etwa kann an der temporären Lahmlegung des automobilen Verkehrs nichts Schlimmes finden –, darf sich doch wundern über das Heilsversprechen, das einem mit auf den Weg geben wird.

In einem der verlesenen Texte, der von einer Physikerin stammt, die sich um die Zukunft der Menschheit sorgt, ist die Rede davon, dass in diesem Augenblick nur eine einzige Strategie noch helfen könne: Aufmerksamkeit generieren für den Klimawandel. Dergleichen steht im Raum, als wäre es Gottes Wort. Dabei ist die Annahme nicht falsch, auch die eingespielten »Tagesschau«-Sequenzen beweisen es, dass die Fakten bereits lange auf dem Tisch liegen und fast allen bekannt sind. Der Skandal hingegen ist, dass trotzdem regierungspolitisch kaum etwas passiert. Am Ende ist klar, dass sich einige Aktivisten der Erleuchtung schon recht nahe wissen. Das ist sicher gefährlich. Allerdings, auch das verdeutlicht diese Veranstaltung sehr eindrücklich, ist die maßlos überzogene Kriminalisierung des Aktivismus bishin zum Geschwafel von Terrorismus nicht mal mehr als schlechter Witz erträglich.

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