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Frauen der kommunistischen Bewegung: Wirkliche Persönlichkeiten
Jörn Schütrumpf über die Frauen der kommunistischen Bewegung und einen Kulturstreit in Tübingen
Sie haben sich vor allem als Experte für Rosa Luxemburg einen Namen gemacht, widmen sich aber auch anderen Frauen der kommunistischen Bewegung, die vielfach nicht mehr – im Gegensatz zu Rosa – im öffentlichen Bewusstsein sind. Darunter Clara Zetkin. Zu ihr gelang Ihnen jüngst ein neuer Fund.
Dr. Jörn Schütrumpf, Jg. 1956, hat an der Karl-Marx-Universität Leipzig Geschichte studiert und an der Akademie der Wissenschaften der DDR geforscht. 2003 bis 2017 war er Geschäftsführer des Berliner Verlages Karl Dietz. Er ist Autor zahlreicher Bücher, darunter zu Jenny Marx und Paul Levi.
Marga Voigt, der Herausgeberin des ersten Bandes der Briefe Clara Zetkins, und ich sind auf mehrere unbekannte Fakten gestoßen; zwei seien hier erwähnt. Erstens: Clara Zetkin politisiert. In Tübingen tobt im Moment um die Begründerin der sozialistischen, nicht nur auf politische, sondern auch auf soziale Gleichheit zielenden Frauenbewegung ein Kulturkampf. Eine vom Stadtrat berufene Historikerkommission hat unter den Spendern Tübinger Straßennamen belastete Nazis gefunden und sah sich dem Vorwurf ausgesetzt, »auf dem linken Auge blind« zu sein. Was folgte? Sie stieß sie am Rande Tübingens auf eine in den 80er Jahren nach Clara Zetkin benannte ganz kurze Straße und schlug vor, das Straßenschild mit einem Stigma zu versehen, einem »Knoten« im Straßenschildpfosten. Clara Zetkin sei eine Antidemokratin gewesen. Wenn man davon ausgeht, dass das Eintreten für die Gleichberechtigung der Hälfte der Menschheit antidemokratisch ist, haben diese Leute recht. Es bildete sich eine Initiative »Kein Knoten für Clara Zetkin«, die bereits mehr als 1000 Unterschriften gesammelt hat.
Das Zweite ist komplizierter: Clara Zetkin hatte sich im Sommer 1922 freiwillig in den Prozess gegen die Konkurrenz der Bolschewiki, gegen die Sozialisten-Revolutionäre, abwertend meist Sozialrevolutionäre genannt, als Anklägerin eingeschaltet. Sie kannte Lenins Forderung, gegen politisch Unliebsame die Todesstrafe ins Strafgesetzbuch aufzunehmen, was am 1. Juli 1922 auch geschah. Nicht nur Clara Zetkin, die ganze europäische Linke war stets gegen die Todesstrafe. Lediglich die Bolschewiki waren durch den Bürgerkrieg so verroht, dass sie nur noch per Gewehrlauf mit der Opposition zu verkehren pflegten. Es gibt einen Brief von Clara Zetkin vom 29. Juli 1922, in dem sie den Bolschewiki versucht klarzumachen, dass ihre Politik die Anziehungskraft der sozialistischen Idee endgültig ruiniert. Schon am nächsten Tag lag die russische Übersetzung vor. Die Todesstrafe gegen die Angeklagten wurde nicht verwirklicht. Außerdem wurde vom geplanten Mord an Hunderten oppositionellen Intellektuellen abgesehen. Stattdessen wurden sie zusammen mit ihren Familien ab Ende August auf Schiffen nach Stettin und in die Türkei vertrieben. Alles furchtbar, aber keine weiteren Toten.
Clara Zetkin hatte 1921 zwischen ihrem Platz in der Weltgeschichte und einem gewissen Einfluss auf die Bolschewiki zu wählen. Sie entschied sich für das Zweite, wurde aber in den 60er Jahren auch außerhalb der parteikommunistischen Frauenbewegung wiederentdeckt. Sie hat nicht nur mäßigend auf die Bolschewiki eingewirkt, sondern heute auch in der Weltgeschichte den Platz, der ihr zusteht.
Warum fühlen Sie sich als Mann zu den Frauen des Kommunismus, nicht nur des deutschen, so stark hingezogen?
Der europäische Kommunismus hatte außer Clara Zetkin und Alexandra Kollontai, neben Zetkin die einzige Frau, deren Name, wenngleich nicht deren Wirken, heute noch weltweit bekannt ist – wirkliche Persönlichkeiten. Frauen wie Inessa Armand, Bertha Thalheimer und Rosi Frölich-Wolfstein kennen jedoch fast nur noch Spezialisten. Diese Frauen sind alle Herausforderungen, am stärksten Angelica Balabanoff, die zehn Sprachen beherrschte und der erste »Sekretär« der Kommunistischen Internationale war, es aber 1921 vorzog, in die Emigration zurückzukehren – sie wollte nicht weiter für die Politik der Bolschewiki verantwortlich sein.
Wie erklären Sie sich, dass diese Frauen kaum mehr bekannt sind?
Selbst in der vergleichsweise emanzipationsfreudigen DDR brachten es Frauen im SED-Politbüro bestenfalls zur Kandidatin. Allerdings: Nicht nur der Parteikommunismus war eine Männerveranstaltung.
Können die von Ihnen hier erwähnten »Damen« uns noch heute etwas sagen, insbesondere bezüglich der Auseinandersetzung mit Rechtspopulismus und Rechtsextremismus?
Es gibt die – hier von Ronald Friedmann besprochene – erste Analyse des Faschismus durch Clara Zetkin vom 20. Juni 1923; sie ist brillant und zeigt, dass Verunsicherung der Teppich ist, auf dem der Faschismus marschiert. Der Neoliberalismus der vergangenen Jahrzehnte hat die Gesellschaften des Westens »entsichert«. Linke Politik ist nur dann links, wenn sie nicht Abschottung und »Germany first« propagiert, sondern Solidarität wieder erfahr- und erlebbar macht. Außerdem gibt es die fantastische, leider nie wieder aufgelegte Analyse des italienischen Faschismus von Angelica Balabanoff. Benito Mussolini, als er noch einer der führenden italienischen Linken war, hat vor dem Ersten Weltkrieg übrigens bei Angelica Balabanoff Politik gelernt.
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