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Zwei antimuslimische Vorfälle pro Tag
Erstes Lagebild zeigt erschreckendes Ausmaß rassistischer Diskriminierung gegen Muslime in Deutschland.
Täglich finden im Schnitt mehr als zwei antimuslimische Übergriffe in Deutschland statt, darunter Diskriminierungen, körperliche Angriffe und Sachbeschädigungen. Die Auswertung des ersten Lagebildes für das Jahr 2022 zeigt, dass sich antimuslimischer Rassismus durch alle Lebensbereiche muslimischer Menschen zieht: Wohnungssuche, Arztbesuch oder Schulalltag. Schon Kinder erleben diese Art der Diskriminierung in verbaler wie auch körperlicher Form. Der Großteil der erfassten Fälle findet im öffentlichen Raum statt und trifft vor allem muslimische Frauen, die laut Lagebild auch in Anwesenheit ihrer Kinder beleidigt oder körperlich angegriffen werden.
Aufgrund fehlender Beratungs- und Meldestrukturen, fehlendem Vertrauen von Betroffenen oder auch fehlender Expertise zu antimuslimischem Rassismus ist von einer gravierenden Dunkelziffer antimuslimischer Vorfälle auszugehen. Dazu zählt besonders antimuslimische Hassrede in sozialen Netzwerken, die in dem Lagebild gar nicht erfasst wurde.
Im Rahmen des Lagebildes wurden für das Jahr 2022 insgesamt 898 antimuslimische Vorfälle dokumentiert – im Schnitt mehr als zwei Vorfälle pro Tag. Fast jeden zweiten Tag kam in Deutschland zu antimuslimisch-motivierten körperlichen Übergriffen und Sachbeschädigungen. Doch was ist eigentlich antimuslimischer Rassismus und wie äußert sich dieser im Alltag?
Ähnlich wie bei anderen Rassismusformen unterliegt auch dem antimuslimischen Rassismus die falsche Annahme, muslimische Menschen seien essenziell »anders« und werden somit aufgrund einer vermuteten Herkunft als »fremd« und oft als besonders »bedrohlich« wahrgenommen. Solche orientalistischen Stereotype wurden vor allem in der europäischen Kolonialzeit geprägt und in westlichen Ländern verbreitet; seither werden sie je nach geschichtlichem Kontext weiter- und neu erzählt; so wie zum Beispiel nach den Anschlägen auf das New Yorker Word Trade Center 2001 das stereotype Bild von muslimischen Männern als potenzielle Terroristen entstand.
Im Alltag bedeutet das laut Lagebild, dass Menschen täglich angegriffen werden, aus rassistischen Gründen einen Job oder eine Wohnung nicht erhalten oder Kinder im Schulalltag diskriminiert werden. Besonders alarmierend ist, dass erwachsene Täter*innen wiederholt Kinder sowie Frauen verbal als auch physisch attackiert haben.
»Menschen wurden in Deutschland auch im Jahr 2022 täglich zur Zielscheibe von rassistischen Übergriffen, Erniedrigungen, Beleidigungen und von Ausgrenzungen – weil sie muslimisch sind oder man es annimmt. Jeder einzelne Fall kann psychische und finanzielle Auswirkungen auf das Leben von betroffenen Menschen haben. Was sie tagtäglich in Deutschland erleben, bleibt der Mehrheitsgesellschaft oft unbekannt«, sagt Rima Hanano, Leiterin der Allianz gegen Islam- und Muslimfeindlichkeit (Claim).
Vor allem im schulischen Kontext werden als muslimisch markierte Jugendliche laut Beratungsstellen vorschnell als »aggressiv« und »auffällig« eingestuft, berichtet Ceyhan, Bereichsleiterin Monitoring bei Claim. So sollen Maßnahmen wie das Einberufen von Klassenkonferenzen zur Reproduktion muslimfeindlicher Narrative und Zuschreibungen beitragen und das Bild des »muslimischen Problemkindes« prägen.
Doch wie könnte man dem in Deutschland so weit verbreiteten Phänomen des antimuslimischen Rassismus entgegenwirken? Dazu formuliert Claim im Lagebild einige Handlungsempfehlungen: Um die Erfassungslücke zu füllen, müssten bundesweite Monitoringstrukturen ausgebaut und die dauerhafte Finanzierung der Beratungs- und Unterstützungsstrukturen gewährleistet werden. Außerdem müsse eine einheitliche Arbeitsdefinition des antimuslimischen Rassismus etabliert werden. Auch eine »konsequente Erfassung und Ahndung antimuslimischer Straftaten durch Strafverfolgungsbehörden« wird im Lagebericht gefordert.
Auf die verschiedenen Unterformen muslimfeindlichen Rassismus, wie anti-palästinensischer Rassismus, dem Palästinenser*innen besonders im Bezug auf die Nahostdebatte täglich ausgesetzt sind, wird im Lagebild nicht eingegangen. Gefördert wird das Lagebild vom Familienministeriums im Rahmen des Bundesprogramms »Demokratie leben!«.
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