»Es war der einzige Ort, wo wir noch tanzen durften«

Verordnete, geduldete und verbotene Kulturveranstaltungen: Die Theaterwissenschaftlerin Brigitte Dalinger zeichnet ein Bild jüdischen Kunstschaffens im nationalsozialistischen Österreich

  • Lara Wenzel
  • Lesedauer: 3 Min.
Mahnmal vor dem österreichischen Lager in Ebensee
Mahnmal vor dem österreichischen Lager in Ebensee

Nach dem »Anschluss« Österreichs 1938 war das öffentliche Leben für Jüdinnen und Juden vorbei. Auch die Möglichkeiten, an kulturellen Aktivitäten teilzuhaben, wurden für sie massiv eingeschränkt. Dafür etablierten die neuen Machthaber ein »NS-Repräsentationstheater« im Sinne ihrer Ideologie. In ihrem Sachbuch »›Man bewilligte uns sogar einige Spiele‹« rekonstruiert die Theaterhistorikerin Brigitte Dalinger das kulturelle Leben verfolgter Menschen in Wien und den österreichischen Konzentrationslagern zwischen Instrumentalisierung und Selbstbehauptung.

Ihr Buch bearbeitet mit den wenigen Quellen, die erhalten geblieben sind, jüdische Alltagskultur im Nationalsozialismus – mithilfe von Tagebüchern, Werbezetteln und Briefen. Dadurch »änderte sich der Blick der Forschung: weg von der Vorstellung von dahinvegetierenden Häftlingen hin zu Individuen, die ihre kulturellen Gewohnheiten und Bedürfnisse in die Lager mittrugen«, erläutert Dalinger. Beginnend mit den Tätigkeiten der Zweigstelle Wien des Jüdischen Kulturbundes in Deutschland e. V. und Organisationen, die bei der Ausreise aus Österreich unterstützten, bis zu den kulturellen Aktivitäten in den KZs Mauthausen und Gusen zeigt sie, dass trotz der Verfolgung immer wieder Musik- und Tanzveranstaltungen organisiert wurden.

Nachdem 1938 die antijüdischen Gesetze Deutschlands auch in Österreich durchgesetzt worden waren, kam es zu großflächigen Entlassungen von Juden und Jüdinnen im Kulturbereich. Daraufhin gründete Dr. Werner Levie im Januar 1939 die Zweigstelle Wien des jüdischen Kulturbundes, die wie in Deutschland unter strengen Auflagen Veranstaltungen organisierte und Künstler*innen Arbeitsmöglichkeiten vermittelte. Neben dem 1941 aufgelösten Kulturbund veranstaltete auch die Jugendalijah, die die Ausreise Jugendlicher nach Palästina vorbereitete, Ausstellungen über ihre Arbeit, Lesungen und Theaterabende. Neben einer landwirtschaftlichen Ausbildung schulte die jüdische Organisation auch Musiker*innen.

»Man hat im Umschulungskurs ein Schulorchester gegründet mit mehr als 60 Mitwirkenden, der Rest hörte zu, lernte dirigieren oder tanzte. Es war der einzige Ort, wo wir noch tanzen durften, es gab Tanznachmittage mit Flirts und Eifersucht und Karrierewünschen«, erinnert sich Inge Neufeld an das Programm. Zwischen Mai 1938 und Februar 1940 reisten dank der Jugendalijah 2200 Jugendliche aus Österreich aus. Mit zunehmender Anzahl von Deportationen war die Organisation ab 1942 gezwungen, ihre Bemühungen aufzugeben.

Anhand persönlicher Zeugnisse erzählt die Theaterwissenschaftlerin Lebenswege, die in der rettenden Emigration oder der Ermordung durch die Nationalsozialisten endeten, und verfolgt anhand von Briefen und Tagebucheinträgen nach, wie über verordnete, geduldete oder verbotene Kulturveranstaltungen Handlungsspielräume offengehalten wurden.

Die Stärke des im Mandelbaum-Verlag erschienenen Buches zeigt sich in der genauen Auswertung und Rekonstruktion von bislang wenig beachteten Quellen, in der die symbolische Bedeutung der Kultur als Hoffnungsträger, verurteilte Ablenkung und Zeichen der Unterdrückung gleichermaßen zum Tragen kommt. Häftlingsorchester oder Theatergruppen, die in den Konzentrationslagern unter schrecklichen Bedingungen probten und spielten, nahmen eine ambivalente Rolle ein. Teilweise aus Eigeninitiative gegründet, setzte die SS Musikkapellen zur eigenen Unterhaltung und zur Demütigung während langer Appelle und Hinrichtungen ein.

Angeordnet wurden auch Aufführungen von Operetten: »Die lustige Witwe« und »Im weißen Rössl am Wolfgangsee« diente zu Weihnachten vor allem dem NS-Stab als Amüsement. Der Chronist des KZs Mauthausen Hans Maršálek berichtet auch von hoffnungsvollen Momenten im kleinen Kreis: »Etwa ab dem Frühjahr 1944 wurden im Hauptlager bei verschiedenen Anlässen … von einzelnen Musikern oder von Gruppen, streng geheim, Volks- oder Trotzlieder mit antifaschistischem oder revolutionärem Inhalt … gespielt und gesungen. Solche Darbietungen stärkten das Bewusstsein, gaben Mut und Hoffnung.« Wenn auch nur im Geheimen und für wenige Häftlinge barg das Spielen und Singen Kraft und konnte die internationalen Häftlinge im Widerstand zusammenbringen.

Brigitte Dalinger: »Man bewilligte uns sogar einige Spiele«. Künstlerische Aktivitäten unter dem Zwang der NS-Herrschaft in Österreich. Mandelbaum-Verlag, 200 S., br., 20 €.

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