Film »Das Kombinat«: Wachstumszwang ausgeschaltet

Der Film »Das Kombinat« begleitet einen genossenschaftlich organisierten Landwirtschaftsbetrieb in allen Aufs und Abs

  • Nicolai Hagedorn
  • Lesedauer: 5 Min.
»Das Kombinat« – Film »Das Kombinat«: Wachstumszwang ausgeschaltet

Wer einmal in linken Zusammenhängen unterwegs war, kennt die Geschichte, die der Film »Das Kombinat« erzählt, vermutlich nur zu gut. Den Drang, dem Kapitalismus etwas entgegenzustellen, Ideen, Visionen, Tatendrang und Enthusiasmus, aber auch Enttäuschung, Konflikte, Ernüchterung und Verletzungen. Kaum ein linkes oder alternatives Projekt, das diesen Teufelskreis nicht durchlebt hätte.

Ungefähr diese Geschichte erzählt der Film also auch, allerdings mit einem positiven und optimistischen Ende, denn das Kartoffelkombinat, der größte Betrieb der solidarischen Landwirtschaft hierzulande, um den es hier geht, existiert auch heute noch, hat also die im Film gezeigten Krisen, Verwerfungen und das letztlich weitgehende Zerwürfnis der beiden Gründer und Protagonisten des Films, Daniel Überall und Simon Scholl, bis auf Weiteres überstanden.

Wo in linken Bubbles die Verzweiflung über die Marginalisierung linker Ideen groß ist, sehen wir in dem Film von Regisseur Moritz Springer Menschen, die »die Realität, die Zustände verändern wollen«, wie Überall zu Beginn des Films erklärt, sich also daran machen, eine real existierende Alternative zum marktförmigen, auf der Akkumulation von Wert basierenden Warenaustausch zu schaffen, und das durchaus bewusst und theoretisch reflektiert.

»Ein zentraler Gedanke«, heißt es an einer Stelle von Kombinats-Gärtner Benny Schöpf, sei, »dass der Besitz nicht in einer Hand ist, sondern dass die Leute, die versorgt werden, auch die Produktionsmittel besitzen«.

Dass es innerhalb des Projekts zu Konflikten, Selbstausbeutung und Überarbeitung kommt – die Protagonisten ergrauen fast ebenso rasant, wie ihre Genossenschaft wächst –, liegt indes einerseits daran, dass man sich in dem marktförmigen Umfeld zunächst behaupten und organisieren muss. Und gleichzeitig äußert sich die Tatsache, dass die Mitarbeiter*innen bei betrieblichen Abläufen ein vergleichsweise weitgehendes Mitbestimmungsrecht haben, auch darin, dass alles viel persönlicher ist und genommen wird als in einem kapitalistischen Betrieb.

So sind die bewegendsten Momente von »Das Kombinat« diejenigen, die das sich zusehends verschlechternde persönliche Verhältnis der beiden Kombinatsgründer zeigen sowie die persönlichen Krisen, die beide durchleben. Während bei Überall die Überarbeitung auch in privaten Problemen gipfelt und er sich daher zwischenzeitlich aus dem Genossenschaftsvorstand zurückzieht, muss Scholl mit fehlender Akzeptanz innerhalb der Belegschaft kämpfen.

Seine Vorstellungen von noch mehr Mitbestimmung und Eigenverantwortung stoßen nicht auf große Begeisterung. Warum das so ist, wird nicht recht klar – eine der wenigen Schwächen des Films. Letztlich legt die hier gezeigte Geschichte des Kartoffelkombinats nahe, dass modernes Unternehmertum, das in gewissen Situationen und in bestimmten Bereichen auf Mitbestimmung und Eigenverantwortlichkeit verzichtet und auch hierarchische Strukturen enthalten kann, mit Non-Profit-Produktionsweisen durchaus in Einklang zu bringen ist – sicher ein interessanter Punkt auch für theoretische Debatten über alternatives Wirtschaften insgesamt.

Der entscheidende Unterschied zwischen bedarfsorientierter Produktion und kapitalistischer Produktionsweise liegt demnach nicht darin, dass bei ersterer auf Strukturen und Hierarchien verzichtet werden muss, sondern vielmehr darin, dass die Beteiligten, ob Leitungsebene, Mitarbeiter*innen im Betrieb oder Genossenschaftler*innen in einen Produktions- und Konsumprozess eingebunden sind, der sie persönlich und konkret für die Produktions- und Arbeitsbedingungen im Betrieb mitverantwortlich macht. Innerhalb dieser Verantwortlichkeit sind aber alle möglichen Formen von operativen Arbeits- und Organisationsstrukturen möglich.

Was wir in dem Film vorgeführt bekommen, ist die für den spätkapitalistischen Weltbewohner beinahe magische Tatsache, dass in dem Moment, wo der Zweck der Produktion nicht mehr die Mehrwertakkumulation ist, sondern die Versorgung von menschlichen Bedürfnissen, die Produktion selbst eine verantwortliche und sogar zumindest teilweise in demokratischen Prozessen kontrollierbare wird. In einer Szene sehen wir beispielsweise eine Abstimmung der Genossenschaftler*innen, also der Kunden und Produktionsmittelbesitzer*innen, über eine konkrete Managemententscheidung.

»Es hat sich für uns schon cool entwickelt, dass zur richtigen Zeit die richtigen Leute da waren«, erklärt Schöpf den Erfolg des Betriebs. Es sei vor allem auf die Personen sowie deren Fähigkeiten und Engagement angekommen, sagt er, nennt explizit zwei Beispiele und resümiert: »Es passt von den Leuten her einfach saugut. Wir haben viel Glück gehabt an den richtigen Stellen.«

Menschen sind plötzlich also nicht mehr einfach austauschbar, sondern entscheidend für das Gelingen des Projektes. Und wo die kapitalistische Ökonomie immerzu auf Wachstum der Gesamtmehrwertmasse fixiert ist, da sonst keine Akkumulation stattfinden kann, sind Betriebe, die dieser Logik entzogen werden, im selben Moment automatisch nicht mehr auf immer weitergehende Ausbeutung von Natur und Arbeitskraft angewiesen. Der Wachstumszwang ist augenblicklich ausgeschaltet.

So scheiden sich die Geister der Gründer im Kartoffelkombinat auch eher daran, ob selbst das nicht mehrwertorientierte, sondern schlicht mengenmäßige Wachstum von Kundschaft, Anbaufläche und Mitarbeitendenzahl nicht bereits zu viel des Guten ist.

Neben radikalen Klimabewegungen wie etwa Ende Gelände sind die unternehmerischen Projekte der solidarischen Landwirtschaft und deren Erfolge sicher eine der großen Hoffnungsträgerinnen nicht nur für eine nachhaltige Landwirtschaft, sondern auch für eine politische und tätige antikapitalistische, transformative Bewegung. »Das Kombinat« dokumentiert die Entwicklung des größten Betriebs dieser Art in Deutschland und die Idee, die dahinter steckt, überaus kundig und anschaulich.

Im Verlauf des Films wird von den Verantwortlichen auch der Anspruch angedeutet, Vorbild sein zu wollen, vielleicht auch für andere Wirtschaftsbereiche und bis in die letzte Sequenz sehen wir Daniel Überall und Simon Scholl dabei zu, wie sie alles daran setzen, Projekt und Idee wachsen zu lassen.

»Das Kombinat«: Deutschland 2023. Regie: Moritz Springer. 90 Min. Start: 28. September

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