Die Wende war neoliberal

Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 begann ein Triumphzug des Kapitalismus: ideologisch als Erzählung vom Ende der Geschichte, materiell als marktradikale Variante seiner selbst

  • Anton Schmidt
  • Lesedauer: 6 Min.
Ein kalifornischer Wolkenkratzer als Sinnbild des Kapitalismus: ein Koloss aus Stahl und Glas, kein Ende in Sicht
Ein kalifornischer Wolkenkratzer als Sinnbild des Kapitalismus: ein Koloss aus Stahl und Glas, kein Ende in Sicht

Seitdem der Neoliberalismus in den 70er Jahren in Südamerika und später in den USA und Großbritannien seine ersten erfolgreichen Gehversuche absolvierte, war diese Form der Politik immer auch ein aktiver Kampf gegen Sozialismus und Kommunismus. Der Antikommunismus ist – bei allen Unterschieden hinsichtlich der konkreten Umsetzung – zentraler Bestandteil des neoliberalen Projekts, und zwar seit dessen ursprünglicher Konzeption in den 30er Jahren.

Statt ökonomischer Planung, Marktregulierung oder Vergesellschaftung sollten Rahmenbedingungen für die uneingeschränkte Geltung des Marktprinzips geschaffen werden. Dabei sollte sich das Kapital jedoch zugleich auf einen starken Staat verlassen können. Den Kapitalismus gelte es nicht zu bändigen, sondern zu akzeptieren und seine Kräfte zu entfesseln: So in etwa war das Motto eines der Gründungsväter des Neoliberalismus, Friedrich August von Hayeks, der sein Hauptwerk »Wege zur Knechtschaft« in belehrender Absicht den »Sozialisten in allen Parteien« widmete. Die marktwirtschaftliche Ordnung, so Hayek, stellt das Resultat einer natürlichen Entwicklung dar, die zu beeinflussen nicht nur sinnlos, sondern auch falsch sei.

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Sieg über den Kommunismus

Nachdem sich Anfang der 90er Jahre die Sowjetunion und mit ihr der Sozialismus als staatliche, ökonomische und militärische Macht von der weltpolitischen Bühne verabschiedet hatten, war der Kommunismus und damit die Vorstellung einer Systemalternative in der Öffentlichkeit demontiert. Für den Neoliberalismus bedeutete dies eine bis dahin ungekannte Hegemonie. Die Diagnose vom »Ende der Geschichte«, die der Politikwissenschaftler Francis Fukuyama 1989 ausformulierte, schien Hayek und den neoliberalen Ideolog*innen Recht zu geben. Dieser zufolge habe sich der liberale und demokratische Kapitalismus als die einzig legitime und darüber hinaus auch realisierbare Gesellschaftsform erwiesen. Alle Versuche, eine Alternative zum liberalen Kapitalismus zu entwickeln, wurden retrospektiv als äußerst gewaltsame, von Terror und Unterdrückung gekennzeichnete Phasen der Menschheitsgeschichte dargestellt. Letztlich seien diese Versuche aber ohnehin nur bloße Nebenstränge einer unaufhaltsamen, erfolgreichen Entwicklung hin zu Kapitalismus und Demokratie gewesen. Endlich, so der Zeitgeist im ausgehenden 20. Jahrhundert, könnten sich Markt und Demokratie ungehindert entfalten.

Der Kommunismus aber war bereits lange vor dem Ende des sowjetischen Staatssozialismus kaum als die wirkliche Bewegung erkennbar, die den jetzigen Zustand hätte aufheben können. Dennoch stellte das Verschwinden des real existierenden Sozialismus mit der Sowjetunion eine Zäsur für die globale Linke dar. Nicht weil dieser Vorbildcharakter für eine sozialistische Gesellschaft gehabt hätte oder der Kommunismus dort bereits die Potenziale einer solidarischen und menschlicheren Welt verwirklichen konnte – im Gegenteil, die scharfe kommunistische Kritik am sowjetischen Staatssozialismus und die deutliche Distanzierung oppositioneller Kommunist*innen hatte diesen seit der Revolution 1917 begleitet. Aber das scheinbar endgültige Scheitern dieser Revolution bedeutete den Abschied einer kommunistischen Perspektive von der politischen und kulturellen Bühne seit den 90er Jahren. Mit der real existierenden Systemalternative verschwand – zumindest zeitweise – auch der Horizont einer alternativen Zukunft und die Möglichkeit ihrer Verwirklichung. Das utopische Begehren war verschüttet unter den Ruinen des gescheiterten Versuchs und die kapitalistischen Verhältnisse schienen für die Ewigkeit eingerichtet.

Das ideologische Urteil vom »Ende der Geschichte« und dessen diskursiver Erfolg nach dem Ende des Sowjetsozialismus war der Versuch, die Weltdeutung des kapitalistischen Westens seit der Nachkriegszeit zu verteidigen. Dabei war es kein Zufall, dass Kalter Krieg und Systemkonfrontation seit den 90er Jahren von einer Variante des Kapitalismus abgelöst wurden, die Markt, Privateigentum und Konkurrenz noch radikalisierte, ja geradezu fetischisierte. Denn der Kommunismus ist in dieser Erzählung nicht einfach nur untergegangen, nicht nur gescheitert an seinen eigenen Missständen, sondern er wurde auch besiegt: von Kapitalismus und bürgerlicher Demokratie, die ihre Überlegenheit auf der Bühne der Weltgeschichte demonstriert hätten und die seit jeher ideologisch als untrennbar vermarktet werden.

Bundesdeutsche Erfolgsgeschichte

Der »Sieg« über den Kommunismus ist insbesondere in Deutschland zu einem elementaren Teil des nationalen Selbstverständnisses geworden: Die Geschichte der DDR und die Erfahrung mit einem »geteilten« und schließlich »wiedervereinigten« Deutschland ist zentral für die Gründungserzählung der neuen Bundesrepublik. Jedweder positive Bezug auf Sozialismus oder Kommunismus macht sich hierzulande schnell verdächtig, die Opfer des Stalinismus verhöhnen oder das Regime der DDR verharmlosen zu wollen – ganz gleich, wie kritisch sich zu deren Geschichte positioniert werden mag. So funktioniert die bundesrepublikanische Erfolgsgeschichte in gewissem Sinne auch als Negativ-Geschichte der DDR: Im Zusammenbruch des sozialistischen Deutschlands habe sich das bürgerliche Freiheitsideal verwirklicht.

Da sich das neoliberale Freiheitsbild ideengeschichtlich schon immer am Sozialismus abarbeitete, der als das Grundübel sozialer Missstände identifiziert wurde, bedeutete Freiheit im Neoliberalismus in erster Linie die Freiheit von sozialstaatlicher Regulierung. Die Gleichung »Sozialismus = mehr Staat« wurde in der Abwicklung der DDR zumindest dort handlungsleitend, wo es um die Beseitigung von Hindernissen für Kapitalverwertung, den Abbau von arbeitsrechtlichen Standards oder sozialstaatlichen Transferleistungen ging. Zudem wurde auch in den sogenannten neuen Bundesländern eine individualistische Marktgesellschaft durchgesetzt, in der jede Art von Kollektivismus als Zeichen für Unfreiheit, Gewalt und Zwang, als unvereinbar mit den Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Demokratie galt.

Das Ende der DDR markierte auch das Ende des sichtbarsten Erbes von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg, in deren Folge die zwei Deutschlands 40 Jahre koexistiert hatten. Die deutsche Vereinigung und die Erzählung einer »friedlichen Revolution von unten«, in der Freiheit und Demokratie sich gegen den Sozialismus behauptet hätten, wurden auch geschichtspolitisch verwertet. Die Dämonisierung der DDR als eine dem Nationalsozialismus wesensverwandte oder gar ebenbürtige Gesellschaft, die Darstellung des Kommunismus als einer grundsätzlich verbrecherischen Ideologie oder die Bemühung, die Deutschen erneut als Opfer zu stilisieren, die ein halbes Jahrhundert unter zwei Diktaturen und Krieg gelitten haben und nun endlich wieder vereint in Freiheit leben können: All das muss verstanden werden als Kampf um die sich damals neu konstituierende globale Ordnung. Dabei ging es auch um den Platz, den BRD und DDR, Sowjetunion und Faschismus in der geschichtlichen Erzählung einnehmen sollten, und darum, welche zukünftige Rolle Deutschland, als vereinte und von den NS-Verbrechen geläuterte Kraft, im neoliberalen Kapitalismus spielen würde.

Antikommunistische Tradition

Bis heute verfängt die assoziative Verknüpfung von Kommunismus-Sozialismus-Stalinismus-Diktatur in beachtlicher Weise, indem etwa Diskussionen über Vergesellschaftung von Wohnraum oder gar grundsätzliche gesellschaftliche Alternativen als totalitär und mit dem Verweis auf die DDR abgewürgt werden. Darüber hinaus macht auch die Praxis der Verfassungsschutzämter gegenüber linken Bewegungen, Gruppen oder Einzelpersonen tagtäglich deutlich, dass emanzipatorische Bewegungen dem Staat in erster Linie als kriminelle Elemente erscheinen. Der gegenwärtige Kapitalismus hat selbst keine bessere Zukunft als den Status quo anzubieten, daher diskreditieren seine Agent*innen jegliche alternative Zukunft umso entschiedener.

Das historisch gewachsene Schreckensbild des Kommunismus konnte im Windschatten der neoliberalen Hegemonie überleben, um die scheinbar für die Ewigkeit eingerichtete kapitalistische Gegenwart als einzig vernünftige und realistische Möglichkeit von Gesellschaft darzustellen. So löste ein neuer Antikommunismus den alten ab: Der obsolet gewordene Antikommunismus des Kalten Krieges bedingt bis heute einen neuen Antikommunismus, der ohne Kommunist*innen auskommt und die Weichen stellt für den weiteren Kampf gegen emanzipatorische Kräfte aller Art.

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