Black Sabbath: Irgendwas daran ist so voller Schmerz

Nein, modisch war und ist das nie: In London wird »Black Sabbath – The Ballet« aufgeführt

  • Matthias Penzel
  • Lesedauer: 10 Min.
Auf einmal gibt es zur Musik von Black Sabbath Moves, die es bei der Band noch nie gab.
Auf einmal gibt es zur Musik von Black Sabbath Moves, die es bei der Band noch nie gab.

Tanzen zu Black Sabbath? Darunter verstand man lange: Headbangen. Bei Konzerten von Black Sabbath war da ein Mob im Saal, ein Mannsvolk größtenteils, so wie die Leute auf der Bühne – Gerüstbauer und Roadies und Musiker –, aufgewachsen in den Vororten von Industriestädten. An den Rändern der Wahrnehmung, der Peripherie, zu weit weg, um in den Marginalien des Feuilletons zu existieren.

Und jetzt war in London die Premiere von »Black Sabbath – The Ballet«, und das im Sadler’s Wells Theatre, einem der der angesehensten Tanztheater. Wahnsinn! Klingt wie ein irrer Einfall: Die Urväter des Schwermetalls mit Spitzentanz und Tutu? Dabei weiß doch jeder, wie man zu Black Sabbath tanzt. Mit Headbangen: im Stil einer Viehherde, uniform lassen alle im Takt ihre Haartracht fliegen (beziehungsweise was davon übrig ist). Mehr als die Füße bewegen sich dazu die Finger. Beim Bearbeiten der Luftgitarre.

Im Foyer des Sadler’s Wells Theatre erklingt der Gong. Es ist die Topadresse für anspruchsvollen Tanz, und das seit mehr als 100 Jahren. 1973, im Jahr von »Sabbath Bloody Sabbath«, rüttelte hier die Paul Taylor Dance Company an der Moderne, Alvin Ailey performte nackt. Ballet Rambert, längst nonklassisch im zeitgenössischen Tanz, gingen ins Fernsehen, um ein größeres Publikum für neue Ausdrucksarten zu begeistern. In England war es keine Schande: Leute mitnehmen.

Trotzdem, jetzt mal ehrlich: Black? Sabbath? Die kein Hardrocker mehr ernst nahm, als sie von ihrer Vorgruppe weggeblasen wurden (Van Halen 1978); und mit deren Fans kein normaler Mensch in einer Warteschlange stehen will (»Sabbath Fan Flips Out!!«, Youtube). Wie soll das gehen? Große Aufregung, Nervosität wie beim ersten Konzert, alle sind sehr angespannt.

Kaum wurden die Termine des Birmingham Royal Ballet annonciert, waren sämtliche 13 Shows ausverkauft, wurden zusätzliche anberaumt in Birmingham, der Heimatstadt Sabbaths, in Plymouth und in London. Bei der Londoner Premiere Mitte Oktober ist das Auditorium voll bis auf den letzten Platz, der Rezensent im First Circle, acht Reihen weiter oben sehe ich einen VIP (Spoiler: Linkshänder-Gitarrist mit kaputten Fingern).

Das Orchester checkt Sound und Strings, Pauker klöppeln vorsichtig. Die-hard-Fans sind schon vom Vorhang begeistert, der ist aus schwerem Samt und: lila wie die Lettern auf »Master of Reality«. Codes des Superben, aufregend wie Tritonus und Tinnitus. Licht aus, Vorhang fällt und ... kein Start wie beim ersten Album, dem ersten Song (»Black Sabbath« auf »Black Sabbath« von Black Sabbath). Das alleine ist schon mal sehr gelungen. Durch den ganzen Abend hindurch wird das Offensichtliche vermieden; ohne das auszuklammern, was alle wollen (»Paranoid«, »Iron Man« und so weiter). Und der Abend ist lang. Drei Akte à 30 Minuten. Jeder mit eigenem Storykonzept, Orchestrator und Choreografen, für den zweiten Akt von Frauen besetzt.

Der erste Akt »Heavy Metal Ballet« rekalibriert die Hirnapparate im Auditorium. So also ist Metall-Ballett denkbar, so ginge das, und zwar sogar auf Anhieb ungewöhnlich: Start ohne Musik, kein Riff von Iommi, sondern lediglich Ozzys Stimme mit Geezers Text: »Generals gather in their masses«, a capella aus »War Pigs«. Antikriegslied von 1971, als Vietnam brannte, als sich Joan Baez und Bob Dylan aus der Öffentlichkeit zurückgezogen hatten und Anti-Hippies wie Sabbath die letzten waren, die man für friedliebend hielt. Das Stück entstand als »Walpurgis«, sollte aufzeigen, es sollte eine Art Gegen-Weihnacht servieren, wo Satan nichts Spirituelles ist, wo das Satanische ganz reale Kriegstreiber sind, die als Industrielle mit Bankern das Weltgeschehen lenken. Dazu vier mal vier Tänzer*innen, 12-bar-Blues, Formationen mal wie das Quartett, dann im täglichen Überlebenskampf und Dschungel, auf- und verblühende Blüten, Schönheit im Kampf gegen das Großkapital, doller und schneller und unnachvollziehbarer.

Es ist ein kongenialer Transfer des Appeals der Musik – der Power – hin zur Bewegung – Raum und Zeit –, hin zu Moves, wie es sie in dieser Intensität bei der Band nie gab. Parameter von Tanz, klar: Zeit, Raum, Kraft. Bei Sabbath: Sound als Raum, ansonsten eigentlich nur Kraft wie Power, und Tempo. In der Frühzeit bewegte sich Sänger Ozzy Osbourne mehr; bei ersten Engagements im Star-Club, auch in Tanzschuppen für amerikanische G.I.s, musste die Band acht Sets à 50 Minuten spielen. Pro Set improvisierten sie meist über einen Song, variierten endlos, während der Sänger flippern ging, manchmal an die Bar oder Zigaretten schnorren.

Und auf der Bühne heute, in einer Sekunde, wie abgehackt, eben noch das ganze Chaos der vielen Sabbath-Formationen, dann: Totenstille. Stockfinster. Leere. Nichts. Spot aufs Zentrum des vorigen Interesses, Knäuel an Derwischen – und dort nun balancierend behutsam, voll Tanztheater, ganz klassisch, wie Oper oder Musical: Romeo und Julia, entlaufen von Prokofjew (und auch so heavy in ihrer Isolation). Drumrum absolut niemand.

Wie geht das? Eben noch der ganze Haufen wie nach Explosionen der »War Pigs« (wie das Album »Paranoid« ursprünglich heißen sollte, daher auch das Motiv auf der Hülle, nur wurde der Titel vom US-Label der Band verboten) und im nächsten Augenblick nur die Zwei. Ganz allein auf der Welt. Optische Täuschung wie ein akustisches Loch. Nur das Paar, offensichtlich auf Spitzenniveau, aber kein Paartanz, kein Händchenhalten, null Romantikkitsch, vielleicht auch zwei Töne, die sich berühren, nicht loslassen, vorsichtig drehen und vergehen, die wie zusammengewachsen sind: Stirn an Stirn. Mit den vier Beinen und Armen ... wie eine Spinne? Monströs und dabei so zart. Liebeslieder gibt es, man ahnt es, bei Sabbath nicht so richtig viele. Das eine - »Planet Caravan« - rekapituliert eine Reise in andere Sonnensysteme, wird im zweiten Akt auch gestreift, das andere ist ein echter Love Song, hundert Pro. »Sweet Leaf« gilt der großen Liebe des Songtexters und Bassisten: Cannabis.

Dieses Paar, wie es sich dreht und kräuselt wie Rauch, lässt im Publikum reihenweise die Kinnladen runterfallen, Hörgeräte werden justiert, Brillengläser geputzt. Hat man so was schon gesehen? Es ist zu spüren, wie alle im Publikum spüren: Ok, kann man sich auch mal gefallen lassen, und knapp bevor es ein wenig zu hübsch wird, poppt aus der Finsternis ein dreidimensionaler Schatten, wie der Geist des Pärchens vorne, dieses teuflisch verdeckt in schwarzen Ganzkörperdresses.

Wie ein verzerrtes Echo, Doppel wie der Gesang Ozzys ... und kurz darauf die Gitarrengriffe Iommis. »I am Iron Man«, der Sound formt das Tanzensemble, Stuhlreihen knacken im Takt. Die Liebe ist – schwarz auf weiß, D nach B-Moll – auch eine Hingabe an die Musik, an das Gitarrenspiel, und da ist dann auch das Drama. Beim Job an der Stahlpresse hackt sich Iommi versehentlich die Kuppen von Mittel- und Ringfinger ab. Metaller-Folklore, jeder macht sich seinen Reim darauf. Django Reinhardt, der sich bei einem Feuer die Grifffinger verletzte, spielte weiter, also machte es auch Tony Iommi. Und eben nicht nur mit breitbeinigen Macho-Riffs und teuflischen Ganztonschritten (Tritonus alias Halboktave alias Teufelsintervall). Und hier, fast logisch, nachgereicht: »Solitude« mit Flöte und Piano, etwas Gesang statt von Ozzy sozusagen von John Osbourne in einem Stil, den außer Fans kein Mensch als Sabbath identifizieren würde.

Danach – es ist der erste Akt, der den ganzen Bogen spannt – »Paranoid« zum Abschluss, der Mob tobt, Pirouetten drehen immer schneller und schneller, der Saal kocht. Gegen die Etikette klatschen und jubeln die Fans, stehen auf, schmeißen in Ekstase fast Trinkflasche oder Handtasche auf die Bühne, auf der sich niemand von den Barbaren aus dem Konzept bringen lässt. Wahnsinn, alle glücklich. Der Applaus ist so laut, dass die Sitznachbarin staunt, warum das Orchester nicht mehr aufdreht. Müssen wohl am Strom sparen. Der Regen von vor der Tür, wie man kaum mehr merkt, scheint sich hinter dem zugezogenen Vorhang zusammenzubrauen. Interval.

Das Publikum setzt sich – anders als bei »The Wall« an der Deutschen Oper Berlin 2002 (als Ballett inszeniert von Mario Schröder), anders auch als »Bowie in Berlin« (Englisches Theater, Kreuzberg) – nicht aus Schulklassen zusammen und Pärchenabend mit Nostalgie-Flirt. Viele Einzelgängerinnen, so wie früher sind Männlein und Weiblein nicht immer leicht zu unterscheiden. Einige Männer in Band-Shirts, andere in Fatigues, mit krassem Schmuck und steilen Frisuren ... und die Frauen so ähnlich.

Zu oder über Heavy Metal reden Massen alles Mögliche – aber das wohl erste Album, das durch und durch Heavy Metal war, ist und bleiben wird, ist eben »Black Sabbath« von Black Sabbath, erschienen im Februar 1970. Mit dem ersten Stück »Black Sabbath«, das eingeleitet von miesem griesgrämigen Schleierregen in den trüben Midlands von Britannien, verschwommen und unscharf wie das Plattencover, mit dem Bimmeln der Glocke einer wackeligen Kapelle und BUMM, tritt der erste Akkord zur Tür rein, stiefeln Powerchords hinterher. Auf dem Album und den folgenden vier oder fünf dröhnt und hämmert es auf eine Weise, die in allen erdenklichen Varianten zu beschreiben ist, die dabei eins niemals war: modisch. Für den Pop-Snob ein No-Go. Und über Jahrzehnte auch bei Rockfans scheel angesehen, weil zu abgehängt von neueren Trends.

Teufel im Detail, tatsächlich ist das Werk sehr heterogen, Songs mit einer Länge zwischen 28 Sekunden und über 10 Minuten, meist abseits konventioneller Strukturen (Intro, Strophe, Refrain, Strophe, Refrain, Solo...), oft wie mit Wechseln und einem Druck wie von Bekloppten. Und doch wurden aus einzelnen Songs, aus Phrasier- und Interpretierweisen komplette Subgenres abgeleitet wie Doom Metal, Thrash, Stoner Rock, Grindcore, Black und Death Metal.

Gong, weiter mit Sabbath als Ballett auf dem Hochparkett. Mit dem Regen – vom Debüt – startet der zweite Akt, »The Band«. Aus dem Off erzählt der Bassist, wie er im Aufnahmestudio Tonfolgen von Gustav Holsts »Mars« spielte, woraus »Black Sabbath« entstand. Musikalische wie gestalterische Abstraktionsebenen entwickeln sich hier wie von den ersten drei Alben zu den nächsten eins bis drei, wobei eine Instrumentalvariation von »Sabbath Bloody Sabbath« erklingt wie Kammermusik aus dem 18. Jahrhundert, und die Choreografien erscheinen wie das Nervensystem Ozzys. Auch in diesem Akt wird verschmolzen, teilweise zusammengenietet: Bewegung nicht zu Musik, sondern dem Gesagten – O-Töne und Testimonials aus Dokus, die Stimme Sharon Osbournes mit Harmonizer grotesk verfremdet –, Tanzschritte zwischen Zeilen, das Sichtbare wie Synästhesie zu erspüren, der Sound zu sehen.

Das Unreine – Isolation und »Wicked World«, Paranoia und Wahnsinn – nicht als deprimierende Downer-Elemente, vielmehr als zu umspielende Tatsachen. Gelingt in jedem Akt mit neuer Perspektive. Und genau das macht ja Sabbath aus. Analog dazu meinte mal Henry Rollins: »Es geht um Entfremdung, das Verlorensein und Chaos der Konfusion. Es ist einfach der ultimative Rock für einsame Männer. Irgendwas daran ist so voller Schmerz, aber auch voller Power.«

Auch nach der zweiten Pause sind zum letzten Akt »Everybody Is A Fan« alle Plätze belegt – außer einem. Musikbegleitung hybrid, Orchester mit krachendem Techno-Rhythmus vom Band, das Ensemble kostümiert wie Fans, Headbanging-Solos, was dann doch einen Tacken zu profan wirkt. Pro-Fan? Okay, für jeden etwas. Die Summe von allem, was heute hier zählt, alles vorige und ein Instrumental, Vinylplatten-Props, Crescendo und Finale mit »Paranoid«, zu dem das Gros aufsteht und mitrockt ... und trampelt, als der VIP – Tony Iommi, First Circle, Reihe M – auf der Bühne das Solo live mitspielt. Aber nur an diesem Abend.

Wer hätte das gedacht: Vier Prolls aus den Slums, keiner von ihnen aus der bildungsbürgerlichen Mittelschicht oder erzogen in Internaten wie Genesis und Pink Floyd. Bemühten sich nicht mal, mit ihrem Rock deep zu wirken wie Purple oder lieb wie Uriah. Und 55 Jahre später bewegen sie immer noch Außenseiter, Irre und Wirre an praktisch jeden Ort. Logisch eigentlich. Wer hätte das gemacht, nein: hat das realisiert? Carlos Acosta. Als Director von der Company angeheuert mit dem Auftrag, aus dem bisweilen etwas zu traditionalistischen Ballett den Staub herauszuklopfen und »Risiken einzugehen, hinein ins Unbekannte«. »Black Sabbath« ist Teil einer Birmingham zelebrierenden Trilogie. Der Exil-Kubaner tut gar nicht erst so, als wäre er Sabbath-Fan. »Ich komme aus der Arbeiterschicht, ich bin Black Sabbath. Ich versuche, dasselbe zu machen wie das, was Black Sabbath erreicht haben. In der Essenz das Gleiche: junge Talente aus unterschiedlichen Disziplinen zusammenbringen und Neues versuchen.«

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.