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»Vermeer – Reise ins Licht«: Delft sehen und sterben
Ein Dokumentarfilm lässt uns teilhaben an den Vorbereitungen zur diesjährigen Vermeer-Ausstellung in Amsterdam – inklusive hitziger Streitereien
Was macht eine gute Ausstellung mit uns? Sie trainiert den Blick, lässt Bekanntes wie unbekannt erscheinen. Sehen ist etwas, das man – wie auch Lesen und Schreiben, Schwimmen und Fahrradfahren – lernen muss. Die aufgewendete Mühe entschädigt mit einem Genuss, der anderes bedeutet als bloßes Konsumieren. Nein, Sehen ist etwas Aktives, ein Stück Anverwandlung – und große Kunst bedarf des im Sehen geübten Publikums, wie es jenes auch erst hervorbringt.
Die Orte dieser Art unterhaltsamer Bildung sind Galerien und Museen. Es ist immer wieder erstaunlich, wie große Ausstellungen als Besuchermagneten funktionieren. So wie die Vermeer-Ausstellung, die in diesem Jahr (bis Anfang Juni) im Rijksmuseum in Amsterdam gezeigt wurde. Ausgebucht vom ersten Tage an! Dabei konnte man sie in quantitativer Hinsicht nicht unbedingt groß nennen. Von den 37 überhaupt bekannten Vermeer-Gemälden wurden 28 gezeigt. Darunter viele erstaunlich kleine, meist Frauenporträts, die man fast schon Miniaturen nennen kann.
Was macht diesen Maler dennoch so groß? Dieser Frage geht Suzanne Raes in ihrem Film »Vermeer – Reise ins Licht« nach, der die Vorbereitung der Amsterdamer Vermeer-Ausstellung dokumentiert und allen, die keine Chance auf eine Eintrittskarte hatten, wenigstens einen kleinen Ersatz verspricht.
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Tatsächlich ist die mühselige Vorbereitung einer Ausstellung durch die Kuratoren ein höchst spannender Prozess. Der Blick hinter die Kulissen zeigt mitunter dramatische Auseinandersetzungen. Die wichtigste: Was ist überhaupt ein echter Vermeer und was nicht? Der Ausschluss eines Gemäldes wegen Zweifeln an der Urheberschaft hätte dramatische Folgen, seinen Wert betreffend. Wobei es bei Vermeer ohnehin an Vergleichspreisen mangelt, denn kaum je werden (anders als etwa Rembrandt-Gemälde) dessen Bilder zum Verkauf angeboten. Zu klein ist die Anzahl der existierenden Werke, als dass es einen Markt dafür gäbe.
Zum letzten Mal wurde vor 20 Jahren ein – sehr kleines – Vermeer-Gemälde, »Junges Mädchen am Virginal« für 24 Millionen Euro versteigert. Heute wären es wohl ungleich mehr. Die staatlichen Galerien können da nicht mithalten, aber man gibt sich gelassen. Auch die reichen Käufer würden die Kunstwerke nur eine bestimmte Zeit lang besitzen. Dann erweisen sie uns die Gunst zu sterben, sagt einer der Kuratoren, und die Werke tauchen – etwa aufgrund von Erbschaftssteuern – wieder auf. Nicht selten landen sie dann doch noch im Museum.
Regelmäßig werden skeptische Stimmen laut: Ist es wirklich ein echter Vermeer? Werkkenner konkurrieren mit Technikspezialisten, die das Bild buchstäblich durchleuchten, die verwendeten Materialien – Leinwand und Farben – analysieren, Farbschichten ihrer Entstehung nach auflisten, dadurch spätere Veränderungen aufspüren. Es sind echte Kunstdetektive, aber nicht immer Kunstliebhaber.
An einem Vermeer-Bild, »Mädchen mit Flöte«, eskalierte der Streit. Forscher aus den USA meldeten Zweifel an dessen Echtheit an, weil ihnen der Farbauftrag jener speziellen Grünerde, die Vermeer (als einziger Maler seiner Zeit) zur Hautfarbe hinzufügte, an einer Stelle am Hals zu grob erschien. Das hätte Vermeer nie getan, argumentierten sie mit Hinweis auf andere von Vermeer gemalte Hälse. Aber alles sonst sprach für den Maler – vielleicht, so argumentierte die Gegenfraktion, hatte er nur einen schlechten Tag oder wollte hier ganz bewusst ein stärkeres Grün? Nach zähen Diskussionen setzte sich die Fraktion durch, die auf Echtheit plädierte, »Mädchen mit Flöte« war in Amsterdam dabei.
Wenn Gemälde derart drastisch von Experten beurteilt werden, erinnert das an Szenen vor Gericht. Wie dessen Urteil lautet, ist nicht zuletzt eine Frage, wer die besseren Anwälte auf seiner Seite hat. Auch etwas Glück gehört dazu. Denn oft wird die Entscheidung, ob ein Kunstwerk vom berühmten Meister selbst oder »nur« aus seiner Schule stammt, eine, die über Millionensummen entscheidet.
Bei der Vorbereitung der Amsterdamer Vermeer-Ausstellung wurde die Echtheit eines weiteren Vermeer-Bildes von einigen Experten gerade deshalb angezweifelt, weil es ihrer Meinung nach anderen seiner Werke zu ähnlich sah, ihm das Eigene fehle. Vermeer habe sich doch nicht selbst auf so einfallslose Weise kopiert, dass Kopf- und Körperhaltung geradezu identisch seien? Andere konterten mit der Frage, warum er sich nicht selbst zitiert haben könne. Das habe ihm doch freigestanden. Man möchte kein Kunstwerk sein, das derart dem disparaten Urteil von Kunstexperten ausgeliefert ist.
Und dann die schwer zu lösende Frage: Wie bekomme ich vor allem ausländische Galerien dazu, ihre wertvollen Bilder auf Reisen zu schicken? Prestigegewinn auf der einen steht gegen temporären Verlust eines hauseigenen Highlights auf der anderen Seite. Von möglichen Beschädigungen nicht zu reden. Das Herzog-Anton-Ulrich-Museum Braunschweig etwa gab »Das Mädchen mit dem Weinglas« nicht nach Amsterdam, weil in Niedersachsen gerade Vermeer als Abiturthema im Fach Kunst anstand. Da wollte man ihn im eigenen Haus präsent halten. Man könne die Schüler aber doch auch mit Bussen nach Amsterdam fahren, murrte die Amsterdamer Delegation.
Was macht Vermeers Bilder eigentlich zu so besonderen Werken? Der 70-jährige Kurator Gregor Weber, Leiter der Abteilung Bildende Kunst des Rijksmuseums, erinnert sich daran, wie er als Schüler in London seinen ersten Vermeer gesehen und sich danach als ein anderer Mensch gefühlt habe. So stark erschütterte ihn diese Kunst. Was die Magie der Vermeer-Bilder ausmache, das versucht er nun bereits seit Jahrzehnten herauszufinden. Einzelnes habe er gefunden, aber die Gesamtwirkung resultiere wohl aus dem Zusammenspiel all dieser Elemente. Da sei etwa die Camera obscura, die es im 17. Jahrhundert bereits gab und deren optische Möglichkeiten Vermeer für seine Malerei genutzt zu haben scheint. Überhaupt: Welch ein Aufblenden von Licht direkt neben dem Schatten! Es hat fast etwas Tödliches, wie das Himmelslicht, dem man zu nahe kommt.
Der tiefe Schatten, unvermittelt neben dem überhellen Licht, ist bei Vermeer nicht (wie etwa bei Rembrandt) schwarz, sondern farbig. Das macht Vermeer in all seiner kristallinen Art zu malen auch wieder zu einer Art Impressionisten, wenn er etwa den flüchtigen Augenblick der durch ein Fenster hineinscheinenden Sonnenstrahlen fixiert.
Jan Vermeer van Delft, daran kann auch diese Ausstellung (und der Film über ihre Vorbereitung) nichts ändern, bleibt ein Mann ohne Gesicht. Er starb mit 43 Jahren, nur das ist gewiss. Während sich Rembrandt ungefähr 80-mal selbst porträtierte, gibt es von Vermeer nur ein Selbstbildnis – und das ist eine Rückansicht.
Manch einer findet vor einem Vermeer sogar sein Ende, wie es Marcel Proust an einer berühmten Stelle in »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« schildert. Da steht der Schriftsteller Bergotte vor Vermeers »Ansicht von Delft« (das einzige des Malers mit einem Landschaftsmotiv), ein Bild, das er gut zu kennen glaubte. Und nun bemerkt er darauf zum ersten Mal eine kleine gelbe Hausecke, die er bislang nie wahrgenommen hatte. Dabei erstrahlt sie in einem mysteriösen Licht. Der Schriftsteller ruft entsetzt über seine Blindheit aus: »So hätte ich schreiben sollen!« Dann bricht er vor Vermeers »Ansicht von Delft« zusammen und stirbt. Was für Wirkungen von Kunst!
»Vermeer – Reise ins Licht«, Niederlande 2023. Regie und Buch: Suzanne Raes. 78 Min. Jetzt im Kino.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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