Schuldenbremse: Sich selbst angeleint

Der Nachtragshaushalt verschafft der Bundesregierung nur kurzfristig Spielraum. Das grundsätzliche Problem bleibt: die Schuldenbremse

  • Elsa Egerer
  • Lesedauer: 5 Min.
Staatsverschuldung – Schuldenbremse: Sich selbst angeleint

Die Geschichte der Schuldenbremse ist ein deutsches Drama in mehreren Akten. Nachdem das Bundesverfassungsgericht mit einem Paukenschlag den Klima-Sondertopf als nicht verfassungsgemäß eingestuft hat, folgt nach einigem Chaos nun die Mitteilung, auch für das Jahr 2023 soll die Schuldenbremse ausgesetzt bleiben. Das ist eine gute Nachricht. Doch selbst wenn der Stopp für die Energiepreisbremse und den Klimatopf abgewendet wird, ist die allgemeine Sparpolitik der Regierung nicht vom Tisch. Denn bereits vor dem Aus für die Schattenhaushalte hielt man es in einem reichen Land mit einer der geringsten Schuldenquoten im internationalen Vergleich für sinnvoll, Essenzielles zu kürzen: sei es bei den Plänen für die Kindergrundsicherung, bei Mitteln für Antisemitismus- und Rassismusbekämpfung oder dem Digitalisierungspaket. Die Liste ließe sich fortführen. Die Schuldenbremse ist zudem nicht abgeschafft, sondern nur erneut ausgesetzt. Wie die Regierungsparteien 2024 ohne die großzügige Nutzung von Schattenhaushalten, also faktisch ohne ein Umgehen der Schuldenbremse, zusammenfinden können, bleibt fraglich.

Klar ist, die Sparpolitik der Ampel ist sozial- und umweltpolitisch fatal. Entgegen den Erzählungen des Finanzministers ist mehr Handlungsspielraum aber auch fiskalpolitisch angezeigt. Wenn heute gespart wird, kommt uns dies morgen teuer zu stehen.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Unterlassene Investitionen im Sozialbereich führen zu massiven Folgekosten. So ist beispielsweise die Kindergrundsicherung nicht nur aus Gründen der Menschlichkeit geboten, sondern sie rechnet sich auch. Man wird kaum einen Ökonomen finden, der sich nicht dessen bewusst ist, dass sich Klimainvestitionen auszahlen. Dies gilt sowohl für Investitionen in Klimaschutz als auch für jene, die zur Anpassung an den Klimawandel erfolgen. Ganz grundsätzlich führt der Klimawandel weltweit zu einem industriellen Umbau. Europa ist im Begriff hier den Anschluss zu verlieren. Während Länder wie die USA oder China viel Geld in die Hand nehmen, hofft die EU auf die Mobilisierung privater Gelder. Und schließlich, unabhängig vom investiven Charakter von Klimaausgaben an sich, hat sich Deutschland etwa im Rahmen des EU-Effort-Sharing verpflichtet, Emissionen einzusparen. Werden diese Ziele verfehlt, wie aktuell absehbar, muss Deutschland zahlen.

Solide Haushaltspolitik setzt voraus, dass längerfristig gedacht wird. Das weiß jede Unternehmerin. Die Sparpolitik bleibt zu sehr in der Kurzfristigkeit und dem Denken in Geldflüssen verhaftet und vernachlässigt die längere Frist und die Vermögensseite. Hinzu kommt, dass Staatsausgaben systemisch sowohl auf der Ausgabenseite als auch auf zukünftige Einnahmen wirken. So untergräbt die Sparpolitik zukünftige Steuereinnahmen, wenn die Wirtschaft abgewürgt wird.

Man kann Finanzminister Christian Lindner nun zurecht fehlenden ökonomischen Sachverstand vorwerfen. Aber zur Wahrheit gehört auch, dass die Schuldenbremse ein zentrales Projekt der ersten Großen Koalition unter Angela Merkel war und abgesehen von der Linken keine andere Partei ihre Abschaffung fordert. Zudem schien es zuletzt auch in der Bevölkerung weiterhin große Zustimmung zur Schuldenbremse – nicht jedoch zu tatsächlichen Sparmaßnahmen – zu geben.

Ein Misstrauensvotum der Politik gegen sich selbst

Schauen wir zurück in das Jahr 2009: Bemerkenswerterweise steht die Einführung der Schuldenbremse durch die Große Koalition direkt im Zusammenhang mit der vorangegangenen expansiven Fiskalpolitik selbiger Koalition. Im Zuge der globalen Finanzkrise wurde zurecht viel Geld in die Hand genommen, um die Wirtschaft zu stabilisieren. Gleichzeitig entschied man, die Handlungsfreiheit für zukünftige Politik einzuschränken. Die Schuldenbremse verbietet die Neuverschuldung für die Länder und begrenzt die Neuverschuldung des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsproduktes. Damit ist die Regelung ein Misstrauensvotum der Politik gegen sich selbst. Man stelle sich einen Hund vor, der sich an eine kurze Leine legt. Im Jahr 2023 versucht der Hund nun allerlei Kunststücke, um zumindest ein bisschen Bewegungsfreiheit zu erhalten. Er stolpert über die entstandenen Knoten, hier als Sinnbild für Buchhaltungstricks. Anstatt die Leine an sich zu problematisieren, widmen wir uns nun den komplizierten Knoten, diskutieren darüber, wie man die Leine »intelligenter machen« könne, oder akzeptieren schlimmstenfalls den eingeschränkten Radius.

Dabei wurden die Schuldenbremse und das Spardogma bereits zu Zeiten der Eurokrise auch kritisch kommentiert. »Gegen die ökonomische Vernunft der schwäbischen Hausfrau ist die Jungfrauengeburt reine Naturwissenschaft« scherzen die Macher der politischen Kabarettsendung »Die Anstalt« und verbannen sie ins »Museum der ausrangierten Religionen«. Heute scheint die Maxime der schwäbischen Hausfrau in Gestalt der Troika »Herr Lindner, Herr Scholz, Herr Habeck« lebendiger denn je. Damals wie heute fußt sie auf einer negativen Moralisierung finanzieller Schuld. Zu gestalten bedeutet in unserem System jedoch auch, immer Geld in die Hand zu nehmen. Es ist ein Ammenmärchen, dass ein massiver Umbau der Wirtschaft mit angezogener Ausgabenbremse umgesetzt werden könnte.

Zudem beruht die Schuldenbremse auf einer einseitigen und fehlgeleiteten ökonomischen Lehre. Ökonomisierung scheint aktuell politische Alternativlosigkeit zu implizieren, doch der ökonomische Sachzwang, der die Schuldenbremse vermeintlich erfordert, existiert nicht. Es mag eine Erzählung geben, die dies nahelegt, aber diese steht neben einer Vielfalt von anderen ökonomischen Deutungen und politischen Handlungsmöglichkeiten. Es ist schlichtweg falsch, wenn Lindner behauptet, es gäbe keine Alternative zum Sparen im Bereich der Umwelt- und Sozialpolitik. Ausgabenseitig könnte auch im Bereich der klimaschädlichen Subventionen gespart werden, wie seit Langem von Umweltverbänden gefordert. Steuern könnten steuernd eingesetzt werden: Um klimaschädliches Handeln einzuhegen oder um eine Konzentration von Vermögen, die die systemische Stabilität bedroht, abzudämpfen. Vor allem gilt aber: Haushaltsregeln sind keine ökonomischen Faktizitäten, sondern das Ergebnis politischen Willens. Die selbstauferlegte Bremse kann abgeschafft werden. Das wäre kein Scheitern, sondern verantwortungsvolle Politik vor dem Hintergrund der Herausforderungen unserer Zeit.

Schließlich ergibt es auch Sinn, überkommene ökonomische Erzählungen grundsätzlich in Frage zu stellen und gemeinsam zu diskutieren, was dies für die Mandate unserer Institutionen bedeutet. Denn diese sind nicht in Stein gemeißelt, sondern das Ergebnis politischen Ringens. Am Ende sind es die physischen Lebensgrundlagen, die planetaren Grenzen, die unsere Handlungsfähigkeit limitieren. Geld hingegen muss entgegen der dominanten Erzählung nicht erwirtschaftet werden, sondern entsteht, wenn Kredite vergeben werden. Schuld ist in unserem System die Voraussetzung für Geld. Es gilt, was John Maynard Keynes, der wohl der bekannteste Ökonom des vergangenen Jahrhunderts, schrieb: »Alles was wir tun können, können wir uns auch leisten.«

Elsa Egerer lehrt und forscht an der Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz. Ihre Themenschwerpunkte sind Plurale Ökonomik und die Frage, wie Geld- und Finanzmärkte nachhaltig gestaltet werden können.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.