DDR-Filme: Wirklichkeitsneugier mit Günter Kunert

Günter Kunerts Arbeiten für Film und Fernsehen sind nicht so bekannt, Günter Agde hat sie sorgsam in »Kunerts Kino« versammelt

  • Wolfgang Mühl-Benninghaus
  • Lesedauer: 4 Min.
Verbindungen zwischen Autor und Rezipient deutlich machen: »Beethoven – Tage aus einem Leben«, zu dem Kunert das Drehbuch schrieb
Verbindungen zwischen Autor und Rezipient deutlich machen: »Beethoven – Tage aus einem Leben«, zu dem Kunert das Drehbuch schrieb

Nach seinem bemerkenswerten Buch mit Selbstzeugnissen von Wolfgang Kohlhaase legt Günter Agde nun ein weiteres, sehr gut recherchiertes Buch zur Defa-Geschichte vor: »Kunerts Kino«. Es geht um die Film- und Fernseharbeit des vielseitigen Schriftstellers Günter Kunert (1929–2019), der als einer der ersten die Petition gegen die Ausbürgerung von Wolf Biermann unterzeichnet hatte und ab 1979 – mit einem Ausreisevisum – im Westen lebte.

»Kunerts Kino« enthält chronologisch angeordnet seine Drehbücher, Filmentwürfe, Schriften und Briefe, die bisher nur zum Teil und wenn, dann nur an verschiedenen, oft entlegenen Orten, zugänglich waren. Durch das Zusammentragen der Dokumente weitet und spezifiziert der vorliegende Sammelband den Blick auf Kunert in Richtung eines Autors, der regelmäßig in Film und Fernsehen kunstvoll agierte. Zugleich verbreitert er die Sicht auf das Oeuvre Kunerts. In der Film- und Fernsehgeschichte der DDR wird er oft nur auf die verbotene Fernsehproduktion »Fetzers Flucht« (1962), die zuvor erfolgreich als Hörspiel ausgestrahlt wurde und den verbotenen Spielfilm »Monolog für einen Taxifahrer« (aus demselben Jahr) reduziert.

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In seinem klugen Nachwort deutet Agde an, dass mit beiden Produktionen im Umfeld des VI. Parteitages der SED, auf dem das Fernsehen als das wichtigste audiovisuelle Massenmedium benannt wurde, beide Filme wahrscheinlich als Exempel dienten, um weiteren filmischen Experimenten Einhalt zu gebieten und zu disziplinieren. Das neben den Drehbüchern im Buch abgedruckte Interview mit Kunert aus dem Jahr 1990 gibt dessen nachträglichen Blick auf die frühen 60er Jahre wieder.

Der Sammelband beginnt mit den fünf Arbeiten des Schriftstellers für die von der Defa produzierte satirische Kurzfilmserie »Stacheltier«. In dieser frühen Zeit entstanden auch seine im Buch abgedruckten generalisierenden Bemerkungen zur Satire. Mit ihnen reihte er sich in eine größere Gruppe von DDR-Künstlern ein, die insbesondere in den 50er Jahren ihre Arbeit und damit ihr eigenes Selbstverständnis theoretisch hinterfragten. Sie alle verstanden ihr öffentliches Nachdenken als eigenen Beitrag für den Aufbau einer besseren, sozialistischen Gesellschaft.

Er kritisierte die Schwächen der bundesdeutschen Kinokultur, aber auch den Schematismus in Filmen der Defa als »Dr. Jetzt, Spezialist für Satire«, eine Serie, die er ein Jahr lang alle 14 Tage in der populären, auflagenstarken Illustrierten »Filmspiegel« veröffentlichte. Wie alle seine Texte zeichnen sie sich durch Kürze und eine ungewöhnliche sprachliche Dichte aus. Am Ende dieser Reihe reflektierte Kunert in einem längeren Aufsatz über die Notwendigkeit von Filmkritik.

Über die frühe Fernseharbeit Kunerts ist offensichtlich wenig bekannt. Ende der 50er, Anfang der 60er Jahre schrieb er für das sich entwickelnde Medium mehrere Drehbücher für verschiedene serielle Produktionen. Zu Beginn der 60er Jahre reichte er erste Entwürfe für mögliche Spielfilme beim Defa-Studio ein. Erste Probleme bekam er mit seinem Projekt »Ein Yankee an König Artus Hofe«, eine Verfilmung des gleichnamigen Romans von Mark Twain, das zweimal abgelehnt wurde. Die Begründung der Studioleitung kann man bei Agde nachlesen, ebenso wie die Exposés zu mehreren abgelehnten Filmstoffen und auch die Anmerkungen und Einwürfe von Lilly Becher zu »Abschied«, der Verfilmung der Autobiografie ihres Ehemanns Johannes R. Becher.

Zu den Überraschungen des Buches zählen die Handzeichnungen Kunerts, der sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit an der Kunsthochschule in Weißensee immatrikulierte. Sie visualisieren die Texte zu den Animationsfilmen »Alltägliche Geschichte einer Berliner Straße« und »Zentralbahnhof«. Die Graphiken unterstreichen Kunerts Wirklichkeitsneugier, die keine schnellen Antworten bereithielt. Hier und an vielen anderen Stellen spiegeln sich in ihr auch seine Auseinandersetzung mit eigenen Kindheits- und frühen Jugenderfahrungen.

Mit den Szenarien für »Beethoven – Tage aus einem Leben« (1976) und »Unterwegs nach Atlantis« (1977) endete Kunerts Zusammenarbeit mit der Defa. Im Westen schrieb er weiterhin Drehbücher zu Fernsehfilmen der ARD und des ZDF. Sie sind alle in der umfangreichen Filmographie verzeichnet.

In seinen Notizen zum Beethoven-Film schrieb Kunert, dass es dem Wesen der Kunst entspreche, »Beziehungen und Verbindungen zwischen dem einzelnen Rezipienten und seiner Umwelt, seiner Vergangenheit und Gegenwart, ja zu sich selber« deutlich zu machen. Seine sehr verschiedenen Arbeiten werden durch seine Reflexionen über das Kino sehr unterhaltsam zusammengehalten.

Günter Agde (Hg.): Kunerts Kino. Alle Texte Günter Kunerts für und über Filme. Edition Schwarzdruck, 348 S., geb., 28 €.

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