Klimaschutz: Staatsrechtler für Reform der Schuldenbremse

Nach dem Urteil zur Schuldenbremse: Welche Möglichkeiten Juristen und Ökonominnen jetzt noch sehen, Klimaschutz zu fördern

  • Eva Roth
  • Lesedauer: 8 Min.
Ahrtal: Ein zerstörtes Gebäude in Walporzheim, zwei Jahre nach dem Hochwasser 2021. Nach der Überflutung der Region durfte der Bund die Schuldenbremse aussetzen. Nicht möglich sei es hingegen, höhere Kredite aufzunehmen, um zu verhindern, dass es noch öfter Extremwetter gibt, kritisiert der Professor für Staatsrecht, Alexander Thiele.
Ahrtal: Ein zerstörtes Gebäude in Walporzheim, zwei Jahre nach dem Hochwasser 2021. Nach der Überflutung der Region durfte der Bund die Schuldenbremse aussetzen. Nicht möglich sei es hingegen, höhere Kredite aufzunehmen, um zu verhindern, dass es noch öfter Extremwetter gibt, kritisiert der Professor für Staatsrecht, Alexander Thiele.

»Kanzler nennt keinen Ausweg aus Haushaltskrise« titelte das Handelsblatt diese Woche nach der Regierungserklärung von Olaf Scholz. Wobei diese Krise die Politik selbst produziert hat, genauer: die Bundestagsabgeordneten von SPD und CDU, die 2009 die Schuldenbremse ins Grundgesetz geschrieben haben. Die Vorschrift erschwert es Bund und Ländern, den Aufbau einer klimaneutralen Wirtschaft finanziell zu fördern – erst recht nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Welche rechtlichen und finanzpolitischen Möglichkeiten sehen Juristen und Ökonominnen jetzt noch, Klimaschutz zu betreiben und dafür Geld bereitzustellen? Wir haben nachgefragt.

Die Schuldenbremse schreibt Bund und Ländern vor, dass sie in der Regel fast keine Kredite aufnehmen dürfen. Erlaubt ist dem Bund eine Neuverschuldung von 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung, die Länder dürfen sich eigentlich gar nicht verschulden. Auch Investitionen, etwa für die Renovierung von Schulen und den Ausbau der Bahn, sollen großteils aus Einnahmen finanziert werden, also im Wesentlichen aus Steuermitteln. Bei einem konjunkturellen Abschwung oder einer »außergewöhnlichen Notsituation« sind höhere Kreditaufnahmen gestattet.

Das Bundesverfassungsgericht hat diese Vorschrift nun relativ restriktiv ausgelegt und zum Beispiel entschieden, dass Kredite, die für ein Jahr eingeplant wurden, im gleichen Jahr ausgegeben werden müssen. Konkret erklärten die Richter es für unzulässig, dass die Ampel-Koalition 60 Milliarden Euro, die für die Bekämpfung der Pandemiefolgen gedacht waren und nicht benötigt wurden, in den Klimafonds übertragen hat. Das Geld ist jetzt weg. Auch andere Fonds und Sondervermögen sind mutmaßlich betroffen. »Das Urteil hat der Politik ziemlich enge Fesseln angelegt«, sagte der Berliner Professor für Staatsrecht, Alexander Thiele, »nd.DieWoche«. Er hat zusammen mit Joachim Wieland die Bundesregierung vor dem Verfassungsgericht als Prozessbevollmächtigter vertreten.

Schuldenbremse einfach einhalten...

Für den Klimaschutz bedeute all dies: »Juristisch wäre es jetzt die einfachste Lösung, alle Klimaschutzvorhaben aus dem Kernhaushalt zu finanzieren, also vor allem aus Steuereinnahmen«, so Thiele. »Das ist praktisch aber weder machbar noch sinnvoll.« Denn große Investitionen, etwa der Bau einer Eisenbahnbrücke, die 30 Jahre hält, müssten dann praktisch vollständig aus den Einnahmen der aktuellen Generation bezahlt werden. Das überfordere die aktuellen Steuerzahler*innen. »Im Zweifel macht man es dann nicht. Deshalb ist die Bahn in dem Zustand, in dem sie ist«, sagt Thiele. »Solche langfristigen Vorhaben sind eine Generationenaufgabe und sollten daher auch von allen betroffenen Generationen finanziert werden. Das geschieht, wenn der Bund dafür einen Kredit aufnimmt, der nach und nach getilgt wird.«

Mehr zur Schuldenbremse: Bändigung der Zukunft Die Schuldenbremse soll Stabilität garantieren. Aber das geht nicht. 

Insbesondere Politiker von CDU und FDP bestehen hingegen auf die Schuldenbremse und fordern nun Sozialkürzungen. Die Denkfabrik Dezernat Zukunft hat abgeschätzt, welche Einsparungen hier kurzfristig möglich wären und kommt auf bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr. »Aber das reicht hinten und vorne nicht«, sagt die Ökonomin und Direktorin des Dezernat Zukunft, Philippa Sigl-Glöckner, »nd.DieWoche«. Um den ökologischen Umbau voranzutreiben, seien viel mehr Mittel nötig.

... oder besser nochmal aussetzen?

Sigl-Glöckner plädiert deshalb dafür, dass der Bundestag nicht nur für 2023, sondern auch für 2024 nochmal eine »außergewöhnliche Notsituation« erklärt, um mehr Kredite aufnehmen zu können, gerade auch für Klimaschutz. Auch andere Ökonom*innen wie die Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, sieht dies als eine Möglichkeit.

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Innerhalb der Ampel-Koalition haben zuletzt insbesondere SPD-Politiker für diesen Weg plädiert, auch Kanzler Scholz hat in seiner Regierungserklärung darauf hingewiesen – und sehr deutlich gemacht, dass der Bund Großes vor hat: »Wir müssen jetzt kraftvoll in die Modernisierung Deutschlands investieren, dass wir die Transformation hinbekommen. Wir müssen jetzt alles daran setzen, die Energiewende in Deutschland und Europa endlich voranzubringen«, sagte er. Schwer vorstellbar, wie das ohne Aussetzen der Schuldenbremse gehen soll. Selbst Finanzminister Christian Lindner, der bislang unverdrossen die Schuldenbremse verteidigt, zeigte am Mittwoch im ZDF ein gewisses Entgegenkommen: »Ich bin noch nicht davon überzeugt, dass die Voraussetzungen für einen Notlagen-Beschluss 2024 vorliegen würden.«

Die Notlage kann das Parlament mit einfacher Mehrheit beschließen. Es sollte dies aber gut begründen, damit die Entscheidung einer möglichen Verfassungsklage standhält. Der Staatsrechtler Thiele ist bislang skeptisch: »Ich habe noch keine Begründung für eine Notlage gehört, die mich juristisch voll überzeugt hat und die den strengen Maßstäben des Verfassungsgerichts genügt«, sagt er. »Aber ausgeschlossen ist es nicht, dass dies mit einem Bündel von Gründen noch gelingt.«

Ist die Klimakrise eine Notlage?

Gesucht wird zunächst also eine juristisch wasserdichte Begründung für eine Notlage, damit der Bund den ökologischen Umbau fördern kann. Die Fridays-for-Future-Sprecherin Luisa Neubauer schlug vor, die Klimaerhitzung als Notlage einzustufen. Doch Thiele winkt ab: »Die Klimakrise ist keine Notlage im Sinne der Schuldenbremse.« Diese Einschätzung werde in der juristischen Literatur fast einhellig vertreten. Eine Schuldenbremsen-Notlage müsse ein punktuelles, außergewöhnliches und nicht absehbares Ereignis sein. Die Klimakrise sei jedoch eine langfristige Herausforderung. Würde man den Klimawandel zur Fiskal-Notlage erklären, wäre die Schuldenbremse für die nächsten Jahrzehnte Makulatur, betont der Staatsrechtler. Das sei juristisch nicht haltbar. »Das kann man gut oder schlecht finden, es ist aber so.«

Für ihn ist ein Konstruktionsfehler der Schuldenbremse, dass »eine Krise nur dann bekämpft werden kann, wenn sie eingetreten ist. Deshalb war es erlaubt, nach der Überflutung des Ahrtals die Schuldenbremse auszusetzen.« Nicht möglich sei es hingegen, höhere Kredite aufzunehmen, um zu verhindern, dass es noch öfter Extremwetter gibt.

Der Staatsrechtler Joachim Wieland, ebenfalls Prozessbevollmächtigter der Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht, vertritt die juristische Minderheitsmeinung und hält dagegen: »Man kann argumentieren, dass die Klimakrise eine Notlage ist.« Eine »außergewöhnliche« Notsituation könne auch bedeuten, dass die Bedrohung außergewöhnlich ist, das müsse keine kurze, auf wenige Jahre begrenzte Krise sein, sagte der Professor für Öffentliches Recht »nd.DieWoche« Und: »Wenn man argumentiert, dass das Ereignis nicht absehbar sein darf, kann man bei der nächsten Überschwemmung sagen: Das war wegen der Klimaerhitzung absehbar. Also dürfen wir keine Notlage erklären.«

Wem die Klimakrise allein nicht reiche, könne sicherheitshalber auch ein Bündel an Gründen nennen: Klimaerhitzung, Energieprobleme, Hilfen für die Ukraine wegen des Kriegs, hohe Zahl an Flüchtlingen, Krieg in Nahost – »wenn man alles zusammen betrachtet, sind wir in einer Notlage.« Ähnlich argumentiert der Wirtschaftswissenschaftler Jan Priewe.

Sondervermögen als Ausweg

Ständig Notlagen zu erklären, ist auf Dauer aber keine optimale Lösung. Die Juristen Wieland und Thiele plädieren deshalb ebenso wie viele Ökonom*innen für eine Reform der Schuldenbremse. »Hinter dieser Vorschrift steht der Gedanke: Für unsere Kinder ist eine Staatsverschuldung schlimmer als die Klimakrise. Meine Kinder sehen das nicht so«, sagt Wieland. In der Debatte sind insbesondere zwei Reformvarianten.

Erstens: Der Bundestag beschließt ein Klima-Sondervermögen, das wie das Bundeswehr-Sondervermögen im Grundgesetz verankert ist. Dadurch bestünde die Chance, dass die Öffentlichkeit besser nachvollziehen kann, warum die Politik was tut, warum sie insbesondere wen subventioniert, betont Sigl-Glöckner. Derzeit seien viele Klimaschutz-Ausgaben Subventionen, bei denen man genauer hinschauen sollte, ob sie angemessen sind. Als Beispiel nennt Sigl-Glöckner die geplante Intel-Chipfabrik in Magdeburg, die der Bund nach Medienberichten mit fast zehn Milliarden Euro subventionieren will. Für Sigl-Glöckner ist es eine offene Frage, ob diese hohe Summe tatsächlich nötig ist und ob dies ausreichend geprüft wurde.

Zweite Variante: Die Schuldenbremse selbst wird reformiert. Sigl-Glöckner plädiert dafür, im Grundgesetz sinngemäß festzulegen: Der Bund darf Kredite aufnehmen für Ausgaben, die der Leistungsfähigkeit der Wirtschaft zuträglich sind. Damit wären kreditfinanzierte Hilfen für die ökologische Transformation möglich, so die Ökonomin. Denn leistungsfähig sei die Wirtschaft künftig nur, wenn sie klimaneutral wird. Auf dieses Ziel habe sich die Politik verpflichtet, auch im Grundgesetz ist Klimaschutz verankert. Hinzu kommt die internationale Konkurrenz: »China und die USA bauen die Wirtschaft mit Volldampf um. Entweder wir machen mit oder wir sind nicht mehr relevant.«

Staatsverschuldung in % der Wirtschaftsleistung 2022
Staatsverschuldung in % der Wirtschaftsleistung 2022

Andere setzen sich für die »goldene Regel« ein, nach der Investitionen über Kredite finanziert werden können. Sigl-Glöckner ist hier skeptisch: »Investitionen sind im Haushaltsrecht definiert als Ausgaben für Vermögenswerte, beispielsweise Straßen und Aktien«, sagt sie. »Mittel, um Lehrer auszubilden, laufen unter konsumtiven Ausgaben. Eine bessere Bildung ist aber für die Gesellschaft und die Wirtschaft essenziell.«

Für eine Grundgesetzänderung ist allerdings eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag nötig, die derzeit nicht da ist. Gerade CDU-Chef Friedrich Merz will an der Schuldenbremse festhalten. In Bundesländern, in denen die CDU regiert und selbst die Schuldenbremse einhalten soll, sieht die Sache dagegen anders aus: Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner sagte diese Woche: »Die Reform der Schuldenbremse für Zukunftsinvestitionen ist dringend erforderlich.«. Auch die CDU-Ministerpräsidenten Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt) und Michael Kretschmer (Sachsen) zeigten sich offen dafür. Und die schwarz-grüne Koalition in Schleswig-Holstein hat bereits für 2023 und 2024 eine Haushaltsnotlage erklärt, um mehr finanziellen Spielraum zu haben. »Wo die CDU in der Regierung ist, sieht sie, was mit der Schuldenbremse angerichtet worden ist«, sagt Thiele.

»Ob es eine Chance für eine baldige Grundgesetzänderung gibt, hängt davon ab, wer sich in der CDU durchsetzt«, sagt Sigl-Glöckner. Denkbar ist auch, dass die CDU zwar jetzt eine Reform blockiert, das Thema aber angeht, falls sie an die Regierung kommen sollte. In diesem Fall hätte sie die gleichen Finanzierungsschwierigkeiten wie die Ampel heute.

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