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Leben in Moll
Axel Ranischs Einstand als Sprechtheaterregisseur mit »Mutti, was machst du da?« am Berliner Ensemble ist leider ziemlich flach geraten
Um es gleich vorwegzuschicken: Der Autor dieser Zeilen ist mitnichten geübter Theaterrezensent. Tatsächlich ist es sogar seine erste Kritik dieser Art. Den Leserinnen und Lesern bisher eher als Filmkritiker bekannt, gerät er sozusagen auf Abwege, obgleich diese durchaus folgerichtig sind, denn Axel Ranisch, um den es hier geht, ist eigentlich Filmregisseur. Diese Bezeichnung greift allerdings auch zu kurz, denn Ranisch ist viel mehr als das: Autor, Schauspieler, Filmkomponist, Opernregisseur, Schriftsteller, Podcaster – und bei seinem Pensum offenbar Workaholic.
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In einer Filmkritik hier in dieser Zeitung bezeichnete der Kritiker (ja, derselbe) Ranisch anlässlich seines diesjährigen Kinofilms »Orphea in Love« als »Wunderkind«. Mindestens aber ist er ein Solitär in der deutschen Filmlandschaft. Mit seinen unkonventionellen Filmen, die er mit geringem Budget, häufig improvisiert und meist mit denselben Schauspielern aus seiner Filmfamilie inszenierte, gewann er die Herzen des Publikums und der Kritik. Diverse Operninszenierungen entsprangen seiner Liebe zur klassischen Musik, und zuletzt reüssierte Ranisch mit der furiosen Serienverfilmung seines Romans »Nackt über Berlin«, der in der Arte-Mediathek zu sehen ist.
Fehlte eigentlich nur noch das Sprechtheater, aber auch diese Lücke ist nun gefüllt. Zusammen mit seinem Ehemann Paul Zacher schrieb er das Stück »Mutti, was machst du da?«, das im Neuen Haus des Berliner Ensembles seine Uraufführung erlebte. Ganz neu ist der Stoff nicht; bereits vor einigen Jahren als Hörspiel entstanden, später noch einmal als ausführlichere Hörspielserie fortgeführt, haben sie das Stück nun für die Bühne weiterentwickelt. Ihr anhaltendes Interesse hat einen handfesten Grund: Beide verarbeiten darin die Geschichte ihrer eigenen Beziehung.
Ranischs Figuren und Geschichten haben häufig autobiografische Bezüge, in vielen seiner Filme meint man, das Alter Ego des Regisseurs auf der Leinwand zu sehen. Auch in dem pummeligen Anton Hartwichsen auf der Bühne erkennt der Betrachter unschwer das Vorbild. Anton ist 25, Student der Musikwissenschaft und schwul. Er wohnt noch bei der Mutter und liebt seine Oma Evelyn, deren beginnende Demenz tapfer ignoriert wird. Anton ist einsam und sehnt sich nach der großen Liebe. Diese Hoffnung scheint sich zu erfüllen, als ihm sein schon damals zaghaft geliebter Freund aus Grundschultagen, Pepe, wieder über den Weg läuft. Dieser ist jedoch ein rechter Schlawiner geworden, der sich nichtsnutzig durchs Leben hangelt, eine Menge Schulden angehäuft hat und alle um sich herum über seine wirkliche Lage täuscht. Sein vermeintlicher Job in der Pharmabranche entpuppt sich als illegaler Handel mit Betäubungsmitteln.
Die Wege der Beteiligten kreuzen sich regelmäßig im Büro des Wohnungsverwalters Manfred in Berlin-Lichtenberg (wo Ranisch aufgewachsen ist) – wohnen müssen schließlich alle. Pepes Mutter, liebesbedürftig wie die anderen auch, beginnt gar ein Techtelmechtel mit ihm. So geht das Ganze knappe zwei Stunden wortgewaltig hin und her. Große Gefühle wechseln sich mit tiefer Enttäuschung ab. Am Ende löst sich die Chose in Wohlgefallen auf; Pepe macht eine Therapie, woraufhin er und Anton sich endlich finden können. Die Oma ist versorgt und der Vermieter auch kein Unmensch. Begleitet wird der Reigen von einigen Musikeinlagen; es sind indes zu wenige, um aus dem Stück ein Musical werden zu lassen.
Klingt banal? Ist es leider auch. Was in der obigen Zusammenfassung nach einer Allerweltsgeschichte klingt, gewinnt auch in der Langfassung auf der Bühne nicht wirklich an Format, und es passiert, was nicht passieren sollte: Es macht sich Langeweile breit. Womöglich hätte der Stoff eine gute Vorlage für einen Film sein können, der andere dramaturgische Möglichkeiten bietet und erlaubt, eine Geschichte breiter zu entwickeln und zu erzählen. Auch als Opernlibretto wäre das Stück denkbar, schließlich ist in einer Oper die Handlung bewusst schlicht gehalten, dient sie doch lediglich als Vehikel für etwas viel Größeres, die Musik nämlich.
Das Sprechtheater erfordert jedoch eine andere Herangehensweise, eine vertiefende Reflexionsebene, die über eine eins zu eins erzählte Geschichte hinausreicht. Auf einer Bühne, die im Gegensatz zum Film nur reduzierte Ausdrucksmöglichkeiten bietet, muss mit einem Text anders gearbeitet werden, müssen Assoziationsketten in Gang gesetzt werden, die das Erkenntnisinteresse des Zuschauers stimulieren. Für die Theaterbühne hat die Geschichte vom Suchen und Finden der Liebe, wie Ranisch und Zacher sie präsentieren, schlicht nicht genügend Tiefe. Es fehlen die Reibungsfläche und der doppelte Boden. Eine Feststellung wie die der Oma: »Manchmal spielt das Leben eben Moll«, ist nun wirklich keine bahnbrechende Erkenntnis für einen erwachsenen Menschen.
Ist es altmodisch, von einem Theaterabend eine wie auch immer geartete gesellschaftliche Relevanz zu erwarten? Mit etwas Mühe könnte man in der Figur des Vermieters einen Kommentar zum Zeitgeschehen mit seinen explodierenden Wohnkosten sehen, aber ansonsten bleibt das Stück in privaten Befindlichkeiten gefangen, die nie über sich selbst hinausweisen. Zwar versucht die Inszenierung, wenigstens ein paar Verweise auf aktuelle Gender-Diskurse zu legen – es werden Männerrollen mit Frauen besetzt und umgekehrt. Aber in Zeiten von Wokeness-Debatten und »Genderfluidität« wirkt auch das nurmehr betulich. Freilich versucht die Dramaturgie, das Beste aus dem Skript zu machen, ist das Bühnenbild ansprechend, sind die Schauspieler Profis ihres Fachs. Trotzdem beschleicht den Rezensenten im Verlauf der Aufführung zunehmend das Gefühl, »Mutti, was machst du da?« wäre möglicherweise im Kinder- und Jugendtheater besser aufgehoben.
Nächste Vorstellungen:
15. bis 17.12., 15.1., 16.1.
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