• Kultur
  • Queere Literatur aus Lateinamerika

Queere Dissidenz gegen Pinochet

Pedro Lemebel war eine schillernde Figur in Chile: Nun liegt sein einziger Roman, »Torero, ich hab Angst«, in einer Neuausgabe auf Deutsch vor

  • Laura Rogalski
  • Lesedauer: 5 Min.

Als Bäckerssohn kam Pedro Lemebel 1952 in Santiago de Chile zur Welt. Aus dem Schuldienst wurde der studierte Kunstlehrer wegen Homosexualität entlassen. Als Mitbegründer der provokativen Performance-Gruppe »Stuten der Apokalypse« und Satiriker für Zeitschriften brachte er das chilenische Establishment gegen sich auf. Und als Leser*in seines einzigen Romans, »Torero, ich hab Angst«, ist man sofort mittendrin in der Aufbruchstimmung, spürt schon auf den ersten Seiten die große Hoffnung auf das Ende der Militärdiktatur, die Chiles Hauptstadt im September 1986 erfasst.

Man wird aber auch konfrontiert mit der sozialen Wirklichkeit, dem bescheidenden Heim der Protagonist*in des Buches, der »Tunte von der Front«. Dabei meint »Front« im spanischen Original zunächst einmal die »loca del frente«, also die Tunte von gegenüber: Sie zieht in ein verfallenes Haus, räumt ordentlich auf, arbeitet als Sticker*in und wird schnell ein integraler Bestandteil des Viertels. Dort findet man sie zwar exzentrisch, aber auch sympathisch. Politik interessiert die Tunte nicht besonders, doch ganz entziehen kann sie sich ihr nicht, denn Nachrichten von Gewalttaten des Regimes dringen immer wieder aus dem Radio in den Roman-Text und in ihr Leben, genauso wie die schnulzigen Zeilen der Bolero-Lieder.

Es geht in diesem Roman um Revolution und Liebe, um politische und sexuelle Dissidenz. Zwischen diese beiden Fronten gerät die Protagonist*in durch Zufall. Carlos, Student und Mitglied des Frente Patriótico Manuel Rodríguezder Organisation, die später das Attentat auf Diktator Pinochet ausüben wird – lernt sie im Krämerladen kennen und verknallt sich sofort in ihn. Carlos benutzt ihr Haus dann aber vor allem als Lager für verbotene Bücher und für konspirative Lerntreffen.

Die Protagonist*in gibt sich ahnungslos gegenüber Carlos’ politischen Aktivitäten; doch als Leser*in hat man schnell den Verdacht, dass sie genau versteht, worum es geht. Dieses Es-nicht-so-genau-wissen-Wollen könnte im Untergrund vor allem Sicherheit vor staatlicher Verfolgung versprechen. Die gespielte Ahnungslosigkeit scheint aber auch ein emotionaler Selbstschutz zu sein, denn würde sich der junge, attraktive Carlos in weniger revolutionären Zeiten überhaupt für die gealterte Protagonist*in interessieren? Es entspinnt sich ein kokettes, erotisch aufgeladenes Spiel, in dem die Grenzen zwischen sexueller und politischer Dissidenz zunehmend verschwimmen.

Die Wege der beiden kreuzen sich immer wieder mit jenen Pinochets und seiner Ehefrau Lucía Hiriart, die aus ihrem alltäglichen Leben erzählen. Der Diktator erweckt den Eindruck eines ängstlichen, paranoiden, homophoben Tyrannen. So steht Pinochet nicht nur für die brutale Zeit der Militärdiktatur, sondern gleichfalls für eine besonders schlimme Ausformung des Patriarchats. Seine Frau hingegen interessiert sich vorgeblich nur für Mode und ihr eigenes Ansehen, scheint dabei aber die aktuellen politischen Entwicklungen genau zu durchschauen.

Diese beiden Erzählstränge erlauben einen Blick auf die Hinterbühne der großen Politik, das Häusliche. So löst der Roman immer wieder heroische männliche Vorstellungen großer Politik auf. Denn hier sind es eben nicht immer die Diktatoren oder Revolutionäre, die die Fäden ziehen. Diese Akzentuierung ist fraglos von der Wirklichkeit inspiriert: Lucía Hiriart soll zum engsten Beraterkreis Pinochets gezählt haben und maßgeblich für seine Beteiligung am Putsch verantwortlich gewesen sein.

Im Handeln der Protagonist*in zeigt sich außerdem, wie politische und sexuelle Dissidenz zusammenhängen: Denn es scheint vor allem ihr Auftreten als Tunte zu sein, das sie davor bewahrt, als widerständig verdächtigt zu werden. Selbst mitten in den Unruhen kann sie so unbehelligt Materialien vorbei an Militär und Polizei an die richtigen Orte bringen. Aber auch hier entzieht sich der Text, bleibt unklar darin, wie sehr ihre Ahnungslosigkeit gespielt ist.

Das Buch verbindet hochaktuell queere Identitäten mit einer traditionell linken Revolutionsromantik. Das ist vermutlich, neben dem 50-jährigen Jubiläum des Putsches in Chile, einer der zentralen Gründe für die Neuausgabe. Auf Deutsch bereits 2003 unter dem Titel »Träume aus Plüsch« erschienen, ist »Torero, ich hab Angst« eine sprachlich leicht überarbeitete Version; beide Übersetzungen stammen von Matthias Strobel.

Auch der, wie Lemebel es selbst nannte, semibiografische Charakter des Buches – heutzutage würde man wohl autofiktional sagen – passt hervorragend in die Zeit. Die hellblau-rosa-weiße Farbgestaltung der Banderole auf dem Umschlag ordnet das Buch passend dazu einem Diskurs über Transidentitäten zu. Wie sinnvoll aber dieses Labeling ist, bleibt fraglich. Lemebel, der 2015 im Alter von 62 Jahren verstarb, bezeichnete sich selbst nie als trans, genauso wenig wie die Protagonist*in seines Romans.

Heute, wo Fragen über Geschlechterzugehörigkeit viel selbstverständlicher diskutiert werden, hätte er möglicherweise eine andere Position eingenommen. Doch die Umschlaggestaltung erzeugt die Festschreibung einer Identität, die dem Buch nicht gerecht wird, spielt es doch durchweg mit Zuschreibungen und bleibt fluid. Der Text ist absolut queer, denn er lässt sich kaum fassen, strömt in seinem ausgestellten Kitsch und in seiner Selbstironie dahin und spricht von der Protagonist*in mal als attraktiver Frau, mal als Braut, mal als Nachbarn, mal als Onkel.

An einer Stelle wird man als Leser*in komplett aus dem Text katapultiert: Am Tag des Attentats sucht die Protagonist*in in einem Schwulen-Sexkino vor dem Tränengas der Polizei Zuflucht und landet prompt in einer Vorstellung von »Stirb langsam 2«, der erst Jahre später, 1990, erschien. Da kann man es dem Verlag vielleicht auch nicht verübeln, dass er »Torero ich hab Angst« als »ersten queeren Liebesroman der Weltliteratur« bewirbt. Offensichtlich ist er das nicht, auch weil der Roman eine Art Überschreibung von Manuel Puigs »Der Kuss der Spinnenfrau« darstellt, in dem es um eine ganz ähnliche Konstellation zwischen einem Guerilla-Kämpfer und eine*r »Loca« geht.

Lemebel ging dieses Buch zu traurig aus. Ob ihm in seinem Roman das Happy End gelang, ist vielleicht gar nicht so wichtig, wenn der Weg dahin schon so großen Spaß macht.

Pedro Lemebel: Torero, ich hab Angst. A. d. Span. v. Matthias Strobel. Suhrkamp, 216 S., geb., 23 €.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.