Komische Oper Berlin: Ehrbare Räuber für den guten Zweck

An der Komischen Oper in Berlin versucht sich Max Hopp an »Die Banditen« von Jacques Offenbach

  • Berthold Seliger
  • Lesedauer: 8 Min.
Eine Operette für eine operettenhafte Gesellschaft, in Berlin etwas überchargierend dargeboten.
Eine Operette für eine operettenhafte Gesellschaft, in Berlin etwas überchargierend dargeboten.

Die Räuber darben. Lange schon gabs keine lukrativen Coups mehr, im Lager breitet sich Langeweile aus, und der Räuberhauptmann Falsacappa kann sich seiner Stellung nicht mehr sicher sein. Zumal seine Tochter Fiorella schnell für jeden attraktiven Mann entflammt und solchen bei Überfällen regelmäßig zur Flucht verhilft. Die Dinge drohen zu entgleiten, es braucht einen Plan. Und einen solchen will Falsacappa, der in eine Art Melancholie über sein Handwerk verfallen ist, aufgetan haben: Die bevorstehende Hochzeit des Herzogs von Mantua mit der Prinzessin von Granada soll zur Sanierung nicht nur des spanischen Haushalts, sondern auch der Banditenkasse dienen: Die fünf Millionen, die der italienische Fürst Granada schuldet, sollen abzüglich zwei Millionen Mitgift der Prinzessin bar übergeben werden – doch just diesen Batzen wollen die Banditen rauben.

Wir sind in der Komischen Oper im Schillertheater, mitten in Jacques Offenbachs »Opéra bouffe«, wie der Komponist seinen Reigen anspruchsvoller, mehraktiger Operetten nannte, die er zwischen 1858 und 1869, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, komponierte, von »Orpheus in der Unterwelt« über »Die schöne Helena« und »Die Großherzogin von Gerolstein« bis hin zu »Die Briganten – Les Brigands«, wie dieses Stück im französischen Original heißt, mittlerweile als »Die Banditen« bekannt; die wörtliche Übersetzung »Die Räuber« scheint hierzulande zu nahe an Schillers Schauspiel zu liegen. Eine Räuberpistole, eine wilde Travestie-Komödie, eine der besten »Offenbachiaden« mit hinreißender und gleichzeitig doppelbödiger und hintergründiger Musik, deren wesentliches Element die Parodie ist.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Jacques Offenbach, siebtes Kind eines verarmten jüdischen Wirtshausmusikanten und Synagogensängers aus Köln, mit vierzehn Jahren in Paris Schüler von Luigi Cherubini, später mal erfolgreicher, mal im Bankrott scheiternder Opernintendant und Förderer von Georges Bizet, ist ein Monster an so leuchtenden wie faszinierenden musikalischen Ideen, die den Charakter seiner Darsteller*innen präzise veranschaulichen. Seine Musik dürfte in der Kölner Karnevals-Tradition mit entsprechend leichter Musik und Verkleidungs-Rollenspielen ebenso wurzeln wie in Elementen jüdischer Musik.

Offenbach war kein »Linker« (auch wenn er 1848 Lieder für die revolutionäre Bewegung schrieb, die sogar Deutschland erfasst hatte), sondern eher ein unbestechlicher und scharfzüngiger Chronist, der mit seinen kompositorischen Mitteln dem Publikum die Möglichkeit gab, die Fragwürdigkeit der bürgerlichen Gesellschaft zu durchschauen. Karl Kraus hielt Offenbach gar für den »größten Satiriker aller Zeiten und Kulturen«. Wie die großen US-amerikanischen Singer/Songwriter – Merle Haggard etwa oder Waylon Jennnings – steht Offenbach immer auf der Seite der Armen, der sogenannten »einfachen Leute«, während er für all die bürgerlichen und aristokratischen Nichtsnutze, Soldaten, Hofleute, Despoten und Allesmitmacher einen »dummdreisten, unmenschlich-steifen Ton« (Georg Knepler) entwickelt, der die innere Hohlheit dieser bourgeoisen Knalltüten aufs Trefflichste darstellt – etwa, wenn er den vermeintlich triumphalen Marsch der Staatsmacht schon in der Ouvertüre entgleisen, »aus dem Takt« geraten lässt, indem die Trommel statt den schweren Zählzeiten hartnäckig die leichten betont. So wird aus dem militanten Marsch ein Stück heiterer Tanzmusik. Welche musikalisch zu seinen Lebzeiten geradezu einmalige Anmut und Grazie er dagegen seinen positiven Figuren – die allesamt aus den »niederen Sphären der kapitalistischen Gesellschaft« stammen – schenkt! Und welch ein Vergnügen Offenbach daran hat, das Gefüge sozialer Rollen zwischen Oben und Unten auf den Kopf zu stellen!

So sind in Offenbachs »Banditen« die »ehrlichen« Räuber eine Art von »Sozialbanditen«, wie Eric Hobsbawn jene Räuber bezeichnete, die vom Staat als Verbrecher verfolgt, vom Volk aber »als Held, Retter, Rächer und Kämpfer für Gerechtigkeit« betrachtet werden. Die wahren Räuber dagegen sind die korrupten Politiker, der Polizeichef und leitende Beamte wie der Schatzmeister, der sich kräftig aus der Staatskasse bedient hat, um seine Geliebten zu beschenken. Hier karikiert Offenbach die Diktatur von Napoleon III. samt dessen Würdenträgern, über die Marx vernichtend urteilte: »An den Hof, in die Ministerien, an die Spitze der Verwaltung und der Armee drängt sich ein Haufe von Kerlen (…), eine geräuschvolle, anrüchige, plünderungslustige Bohème, die mit (…) grotesker Würde in galonierte Röcke kriecht.« Siegfried Kracauer meint in seinem Offenbach-Buch, dass dessen Bühnenwerke dem Regime, dem »Zweiten Kaiserreich den Spiegel vorhielten und halfen, es zugleich zu sprengen«. Dieses Urteil ist wohl zu viel des Guten – wie schön wäre es, wenn Musik, wenn die Künste tatsächlich mal politische Wirkung zeigten.

Geradezu schizophren mutet es an, dass Napoleon III. die Offenbachschen Operetten, in denen er und seine Regime so schonungslos aufgespießt wurden, liebte und sogar persönlich für die Einbürgerung des Komponisten und seine Aufnahme in die Ehrenlegion sorgte. Offenbach, der vermeintliche Systemsprenger, ging im Kaiserpalast ein und aus. Er bezeichnete sich wohl zurecht als einen »mit Musik handelnden Geschäftsmann«. Aber wenn alle Geschäftsmänner, damals wie heute, auch nur einen kleinen Teil der ethischen Grundhaltung dieses Komponisten zeigten, wäre die Welt wohl eine bessere. Offenbachs Musik ist jedenfalls der »gelungene Beweis, dass auch im Kapitalismus leichte Musik mit ethischer Haltung möglich ist«, wie Georg Knepler, der Doyen der DDR-Musikwissenschaft, einmal festgestellt hat.

Ein Kernsatz der »Banditen« ist die Schlussfolgerung des Räuberhauptmanns, als er überraschend zum neuen Polizeichef des Fürstentums Mantua ernannt wird (weil der Fürst erkannt hat, dass Falsacappa ihm und der Polizei stets einen Schritt voraus ist…): »Man muss nach der Stellung stehlen, die man in der Gesellschaft einnimmt.« Wie wahr. Und auch heute ein Lehrsatz für die Herrschenden in einem Staat, in dem dubiose Maskendeals oder CumEx-Geschäfte möglich sind.

Aber ist es wirklich notwendig, das Publikum auf derartige Parallelen explizit hinzuweisen, das Offenbachsche Werk also mit fragwürdigen Aktualisierungen zu belegen? Das Publikum versteht Analogien auch, ohne mit der Nase draufgestoßen zu werden – mal abgesehen davon, dass sich Geschichte (und Geschichten…) bekanntlich höchstens als Farce wiederholen, die Kopie einer historischen Situation also sinnlos ist. Leider muss man konstatieren, dass die »szenische Einrichtung« der »Banditen« durch Max Hopp gründlich misslungen ist. Er hat diese Opéra bouffe um gut eine Stunde zusammengestrichen (besser: zurechtgestutzt) und benötigt daher hölzerne »Kunst«griffe, um die Handlung einigermaßen stringent ablaufen zu lassen. So erfindet Hopp etwa eine Rede des Räuberhauptmanns, in der er ihn banal kalauern und aiwangern lässt wie in einem Schülertheater.

Überhaupt gerät besonders der erste Akt schlicht langweilig und wird nur von der zündenden Offenbachschen Musik gerettet – ganz besonders im wunderbaren Finale mit dem Getrappel der Gendarmen-Stiefel und dem urkomischen Polizeihauptmann-Couplet: »Respekt, denn hier kommt Polizei! / Wo Räuber sind eil’n wir herbei. / Doch, ach, gar schlecht es uns ergeht: / Wird wirklich wo ein Ding gedreht, / Dann kommen wir bestimmt zu spät.« Köstlich, wie Christoph Späth als ewig zu spät kommender Polizist durch den Saal humpelt – und rätselhaft, warum Hopp ihn vom »Militär« statt von der Polizei singen lässt, wo doch schon im französischen Original vom »Chef des Carabiniers«, also vom Polizeichef die Rede ist – und nur so macht auch die bis heute bestehende französische Redewendung »arriver comme les carabiniers d’Offenbach« Sinn, »wie die Offenbachschen Polizisten immer zu spät kommen«, also nachdem alles längst vorbei ist.

Der Falsacappa von Alexander Kaimbacher gerät, auch sängerisch, etwas blass, die Fiorella Nadja Mchantafs trotz großer stimmlichen Gewalt in den Höhen vielleicht etwas zu opernhaft; Klasse auf jeden Fall Johannes Dunz als Fragoletto, der Offenbachs Äußerung, »die Tenöre brüllen nur« aufs Angenehmste vergessen lässt. Tom Erik Lie ist ein herrlich lächerlicher Schatzkanzler, der in radebrechendem Falsett über seinen schwachen Charakter barmt. Und in Erinnerung bleiben wird auch das saukomische Tableau der spanischen Hofleute. Eben: Vieles an dem Abend ist durchaus sehr vergnüglich, woran der vom großartigen Vocalconsort Berlin gestellte Chor wie auch das sehr gute Orchester der Komischen Oper unter der inspirierten Leitung von Adrien Perruchon gewaltigen Anteil haben. Das lässt auch über das häufig überchargierende Ensemble und die einfältigen, von Hopp hinzugefügten Kalauer (etwa über das Gendern, oder dass im Schillertheater das Betteln strengstens verboten sei) hinwegsehen.

Wahrscheinlich waren die Schuhe von Harry Kupfer, der 1989 im Wende-Berlin an der Komischen Oper eine sensationelle Inszenierung der Banditen herausgebracht hat, die bis 1995 insgesamt 67 Aufführungen erlebte, schlicht um einiges zu groß (man kann einen WDR-Fernsehmitschnitt von Kupfers »Banditen« auf YouTube bewundern).

Aber alles in allem hat das Publikum trotz der mauen Inszenierung keinen schlechten Abend erlebt – Offenbachs Musik ist eben unverwüstlich. Und auf dem Heimweg denkt man darüber nach, wie es kommt, dass heutzutage Operetten wieder »in« sind. Vermutlich ist es tatsächlich so, wie Kracauer sinniert hat: »Die Operette konnte entstehen, weil die Gesellschaft, in der sie entstand, operettenhaft war.«

Wir leben eben heute wieder in einem Operetten-Staat…

Nächste Aufführung am 30.12.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.