Wer kennt heute noch Georg Wilhelm Pabst?

Daniel Kehlmann hat mit »Lichtspiel« einen Roman über ein ambivalentes Filmregie-Genie geschrieben

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 5 Min.
F.W. Pabst war ein ehrgeiziger Mann mit vielen Problemen: Szenenfoto aus seinem Film »Cervantes«, den er 1933 in Frankreich drehte.
F.W. Pabst war ein ehrgeiziger Mann mit vielen Problemen: Szenenfoto aus seinem Film »Cervantes«, den er 1933 in Frankreich drehte.

Film ist ein flüchtiges Gewerbe. Auf der Leinwand nur für kurze Zeit präsent, werden die meisten Filme schnell vergessen. Aus der frühen Zeit des Kinos sind oft die Filmrollen verloren gegangen und von ihrem Inhalt nur noch die fragmentarischen Berichte aus Zeitungen und Büchern erhalten geblieben. Selbst für einen Regisseur wie Wim Wenders war es Mitte der 90er Jahre schwer, Kopien seiner frühen Filme für eine Retrospektive im Berliner Kino »Babylon« aufzutreiben. Mit der Digitalisierung und der Gründung von Stiftungen einzelner Regisseure, die sich um den Erhalt ihres Werkes kümmern, hat sich die Situation inzwischen verbessert. Aber wer kennt heute noch den Regisseur Georg Wilhelm Pabst? Dabei war er derjenige, der Greta Garbo entdeckt und zu einem Weltstar gemacht hatte.

Daniel Kehlmann will das mit »Lichtspiel« ändern. In der Rahmenhandlung des Romans lebt in einem Wiener Altenheim Franz Wilzek, ein fiktiver, inzwischen hochbetagter ehemaliger Kameramann des 1967 gestorbenen österreichischen Regisseurs. Er ist der letzte Lebende, der mit Pabst 1944/45 an dessen Film »Der Fall Molander« zusammengearbeitet hat. Der Film ist in den Kriegswirren verloren gegangen, niemand hat ihn je gesehen. Als Wilzek, wegen seines hohen Alters bereits leicht verwirrt, als Zeitzeuge in eine Talkshow eingeladen wird, kommt es vor laufender Kamera zum Eklat: Er behauptet, der Film sei nie gedreht worden. Gleichzeitig erfährt der Leser, dass die Bilder von den Hunderten KZ-Häftlingen, die damals gezwungen wurden, in einem nachgebauten Konzertsaal als Zuhörer zu fungieren, Wilzek nicht mehr loslassen.

Es ist das Ambivalente, das Daniel Kehlmann an G. W. Pabst interessiert. Er war nicht nur ein genialer Regisseur – nur nicht so berühmt wie Fritz Lang, Billy Wilder und Ernst Lubitsch, die alle emigrierten –, sondern er war auch kein Nazi. Er hatte vor dem Faschismus sozialkritische Filme gedreht wie »Die freudlose Gasse« oder »Westfront 1918«, einen Antikriegsfilm, der ihn in den Augen der Nazis zum Kommunisten machte. Andererseits hat er in der Zeit von 1939 bis 1945 drei Filme in Nazideutschland gedreht. Zwar war es keine Propaganda wie Veit Harlans »Jud süß« oder Leni Riefenstahls Parteitagsfilme; aber durch ihre versteckte Verklärung der Selbstaufopferung gelten sie manchem Filmhistoriker als effektivere Durchhalte- und Kriegspropaganda als Harlans offen antisemitischer Propagandastreifen.

Kehlmann konzentriert sich deshalb in »Lichtspiel« auf die 30er und 40er Jahre. Er zeigt Pabst in Frankreich, dann in Hollywood, wo er 1934 ankam. Auch dort gilt er als genialer Regisseur, aber er scheitert, weil er sich nicht wie Lang, Lubitsch oder Zinnemann an das Studiosystem anpassen konnte, abgesehen davon, dass er kaum Englisch sprach. Was dazu führt, dass er zwar den Film »A modern Hero« drehen konnte, aber dafür gezwungen wurde, sowohl das schlechte Drehbuch als auch die mittelmäßigen Schauspieler zu akzeptieren. Der Film wurde ein Flop und das hieß in Hollywood: kein weiterer Auftrag mehr.

In einem Interview hat Kehlmann gesagt, dass es nur wenig Quellenmaterial über G. W. Pabst gibt. Doch gerade das habe ihn gereizt, weil er dadurch für seinen Roman viel dazuerfinden konnte. Kehlmann geht es nicht um eine in allen Einzelheiten nachprüfbare Biografie. »Lichtspiel« erzählt allgemeiner von einem Regisseur, der zwischen dem Ehrgeiz, gute Filme zu drehen – was wegen des hohen finanziellen Aufwands (und damit Risikos) nicht einfach war und ist –, und der Ablehnung des Faschismus hin- und hergeworfen wird.

Als Pabst wieder nach Europa zurückkehrt, hat er Pech. Nach mehreren Filmen in Frankreich zieht er sich im Sommer 1939 bei einem Besuch seiner kranken Mutter in Österreich einen komplizierten Knochenbruch zu. Kurz darauf überfällt Hitlerdeutschland Polen und eine Rückkehr nach Frankreich ist nicht mehr möglich. Ein Versuch, über Rom wieder in die USA zurückzukehren, scheitert. Pabst bleibt mit seiner Familie in Österreich. Und bekommt, von Goebbels persönlich initiiert, das verlockende Angebot, Filme zu drehen, in die ihm niemand reinredet, mit den besten Schauspielern und großer finanzieller Ausstattung.

»Lichtspiel« ist ein spannend geschriebener Roman. Alle Figuren sind überzeugend in ihrer Widersprüchlichkeit gezeichnet. Die sozialen, politischen und beruflichen Zwänge des Filmgeschäfts werden von Kehlmann differenziert erzählt. Allerdings ist das Buch eher etwas für Freunde der großen Draufsicht. Die inneren Kämpfe der Figuren spielen eine untergeordnete Rolle. Wie der Roman auch aus vielen Dialogen besteht, in vielen Abschnitten fast wie in einem Drehbuch.

Doch die große Überblickserzählung führt an manchen Stellen zu dem Eindruck, dass nur der Vollständigkeit halber etwas erwähnt wird. So wirkt die Szene, in der Pabst unter Flüchtlingen in einem französischen Café sitzt, wie ein Namedropping des Exils. Kehlmann charakterisiert jeden mit ein paar Sätzen, was angesichts der umfänglich bekannten Biografien der Beschriebenen verkürzt wirkt, wie eine Schublade, in die sie geschoben werden.

Vielleicht wäre es klüger gewesen, einen Roman mit einer erfundenen Figur zu schreiben, ohne die Beschränkung auf eine historische Biografie. Einen Roman, in dem keine prominenten Exilanten namentlich kurz auftreten, rein funktionell als Sidekicks. Vielleicht hätte man sich auch auf weniger Handlung, dafür mehr auf die inneren Kämpfe im Künstler konzentrieren sollen. Denn es passiert ständig etwas in »Lichtspiel«. Aber das wäre dann auch ein anderer Roman geworden.

Daniel Kehlmann: Lichtspiel. Rowohlt, 480 S., geb., 26 €.

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