- Kultur
- Feuilleton/ Berlinale "Sieger sein"
Berlinale: »Sieger sein«: Tschakka, du schaffst alles
»Sieger sein« erzählt von Mona aus Syrien, die sich an einer Schule in Berlin-Wedding durchsetzen muss
Es ist wirklich schwierig mit dem deutschen Unterhaltungsfilm. Will man einen drehen, der ein bisschen edgy ist, der mit ein paar unauflösbaren Widersprüchen aufwartet, der vielleicht auch mal was infrage stellt, dann sieht es schlecht aus mit der Förderung. Will keiner sehen, ist zu unzugänglich, versteht niemand, ergo: Bringt kein Geld ein. Wird ein Unterhaltungsfilm gefördert, noch dazu ein Kinder- oder Jugendfilm, kann man fast sicher sein, dass meistens was mit staatstragender Botschaft dabei rauskommt, ein paar festgefahrene Klischees abgefeiert werden, damit die Massen ins Kino strömen.
Der diesjährige Eröffnungsfilm der Berlinale-Sektion Generation, »Sieger sein«, der Regisseurin Soleen Yusef klingt in der Programmankündigung zunächst nach der ersten Kategorie, die im Kinderfilm eigentlich nicht existiert: schwieriges Thema (Flucht, Trauma, Integration), eine Protagonistin, die für die Masse nicht als Identifikationsfigur taugt. Nur leider entpuppt sich »Sieger sein« schon nach wenigen Minuten als Paradebeispiel der zweiten Kategorie (Indikator: reichhaltige Förderung). Und anscheinend geht es somit nicht ohne Tugendterror. So auch hier: Wer etwas leistet, bekommt Anerkennung; wer in der Gruppe funktioniert, hat das Leben kapiert – gut fasst das die Hauptfigur Mona (ganz großartig, wie der gesamte Kindercast, und damit ein Pluspunkt für den Film: Dileyla Agirman) mit ihrem Credo zusammen: »Only teamwork makes the dream work!« Uff.
Mona ist aus Rojava geflüchtet und neu an einer Schule in Berlin-Wedding. Sie ist witzig, klug und spielt gut Fußball; ihre Heldin ist ihre Tante Helin (Hêvîn Tekin), eine von Rojavas mutigen Widerstandskämpferinnen. Eine vielversprechende Charakterzeichnung – doch dann kommt Mona im Schulalltag an, und jetzt geht es erzählerisch rapide bergab. Der Lehrer Che (Andreas Döhler in seiner üblichen sympathischen Schnoddrigkeit) in Lederweste und mit Sternchenohrring (anscheinend die Paradeuniform aller Kämpfer für Gerechtigkeit) schwingt große Reden im Lehrerzimmer zu Chancengleichheit und Toleranz, korrigiert aber in überheblicher Alt-Pennäler-Manier die Grammatik seiner Null-Bock-Schüler*innenschaft und darf sie auch sonst in einer Tour für ihre Disziplinlosigkeit abwerten. Das ergibt vorne und hinten keinen Sinn.
In Mona sieht er ein großes Fußballtalent, genau die Richtige fürs Mädchen-Team der Schule. Dort muss Mona sich erst mal einen Platz unter den vielen Alpha-Girls erkämpfen, aber weil sie im Gegensatz zu den anderen vulgären Wedding-Klischee-Kindern leistungsbereit ist, schafft sie es direkt in die Stammformation.
Am schlimmsten ist der Film aber, als Mona im Klassenzimmer einen Monolog über den Wert der Demokratie hält, nachdem die Schüler*innen die Schule verwüstet haben (»Andere sterben dafür!«). Das mag ja alles stimmen, was sie sagt, aber spätestens hier wird klar, für wen dieser Film eigentlich gemacht ist: nicht für die, um die es da geht, sondern wieder soll sich die gut gekleidete, stets mit gesundem Essen vollgefutterte, fremdwörteraffine weiße Normalklientel und ihre Kinder ein bisschen über die da unten lustig machen dürfen, weil’s ja alles so überspitzt und ironisch gemeint ist, und sich gleichzeitig in ihrer seriösen Normalität nicht gestört fühlen.
Wer wirklich etwas über den Schulalltag in sogenannten Problemkiezen erfahren will, der darf sich keine in Deutschland gedrehten Spielfilme anschauen. Dokumentarfilme sind in diesem Sujet meilenweit überlegen (sie sind sogar lustiger) wie »Herr Bachmann und seine Klasse«, »Prinzessinnenbad« oder »Favoriten« (ebenfalls auf der diesjährigen Berlinale zu sehen) beweisen.
»Sieger sein«, Deutschland 2024. Regie und Drehbuch: Soleen Yusef. Mit: Dileyla Agirman, Andreas Döhler, Sherine Ciara Merai. 119 Min. Termine: 22.2., 11 Uhr, Cineplex Titania.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.