- Kultur
- Ezzes von Estis
Jüdischer Witz
Gegen die preußische Ironieerziehung
Der Christ lacht nicht. Haben Sie schon irgendwo gelesen, wie Jesus lacht? Wenn ja, dann haben Sie das in einem jüdischen Witz gelesen. Oder Sie haben es gelesen, weil Jesus einen jüdischen Witz gelesen hatte, denn bei einem jüdischen Witz müssen alle lachen, sogar Jesus. Dabei weiß man bisweilen nicht, ob man bei einem jüdischen Witz überhaupt lachen darf. Allerdings weiß man es erst im Nachhinein nicht, vorher hat man ohnehin schon gelacht, denn bei einem jüdischen Witz müssen alle lachen, sogar wenn sie im Nachhinein nicht hätten lachen dürfen. »Mojsche, kannst du mal einen Antisemitismuswitz machen?« »Nur gegen Geld!« Lacht man da jetzt? Jüdische Witze und jüdische Geschichten, das ist bekannt, sind immer sowohl zum Weinen als auch zum Lachen. Die Frage ist immer: mehr das eine oder mehr das andere? Mehr zum Lachen – dann nennt man es jüdische Geschichten. Mehr zum Weinen – dann nennt man es jüdische Geschichte.
Und wo wir schon bei Geschichten sind, erzähle ich euch dazu auch eine Geschichte, die von jemandem handelt, und zwar von niemand anderem als Aaron Eppelzweig. Wenn man nämlich von jemandem behaupten kann, dass er typisch jüdischen Witz besitze, dann von Eppelzweig, denn bei ihm und seinen Geschichten müssen alle furchtbar lachen, und so wäre es auch mit dieser Geschichte, aber Aaron Eppelzweig hatte zu seinem jüdischen Witz auch noch das jüdische Aussehen, sozusagen als Beigabe. Wenn man nämlich von jemandem behaupten kann, er sehe typisch jüdisch aus, was man natürlich nur behaupten kann, wenn man selbst Jude ist, und auch dann nur, wenn man entweder typisch jüdisch aussieht oder eigens erwähnt, dass man Jude ist, wenn man das also von jemandem behaupten kann, dann gerade auch von Aaron Eppelzweig. Dies wäre an sich nicht so schlimm, aber Eppelzweig befand sich auf der Flucht und traf nachts auf eine Schar angetrunkener deutscher Soldaten mit Hund. Auch das wäre noch nicht so schlimm, denn Eppelzweig blieb zunächst unbemerkt. Dann aber bellte der Hund ihn an, die Soldaten kamen herbei und freuten sich, dass der Jude ihnen selbst zugelaufen war. Einer setzte das Maschinengewehr an und schrie: »Jude?« Eppelzweig antwortete: »Nein.« »Nein?«, fragte der Deutsche ungläubig und zeigte dem Eppelzweig auf die Nase. »Nein? Warum dann hier so viel?« »Das?«, gab Eppelzweig zurück. »Hier viel, dort auch viel.« Und zeigte sich zwischen die Beine. Die angetrunkenen Soldaten mussten furchtbar lachen, weil bei Aaron Eppelzweig alle furchtbar lachen mussten, klopften ihm auf die Schulter und ließen ihn laufen. Sie wussten offenbar nicht, was typisch jüdischer Witz ist.
Alexander Estis, freischaffender Jude ohne festen Wohnsitz, schreibt in dieser Kolumne so viel Schmonzes, dass Ihnen die Pejes wachsen.
Denn jüdischer Humor ist natürlich nicht dasselbe wie deutscher Humor. Deutscher Humor – ich würde gern sagen, das ist ein breites Feld, aber … Nein, es ist natürlich nicht wahr, dass die Deutschen keinen Humor hätten. Sie haben viel. Sie halten ihn nur streng unter Verschluss und lassen ihn allein zu strafvollzugsbehördlich festgelegten Freilaufzeiten hinaus. Hat der Witz einen Passierschein? Vielleicht darf er ja hier gar nicht hin. Vielleicht ist es ein ziellos vagabundierender Kalauer ohne festen Wohnsitz? Ob er sich überhaupt ausweisen kann als Witz? Vielleicht ist er ja auch nur ein getarnter Ernst?
Das ist preußische Ironieerziehung. Man muss schon genau wissen, wann und worüber man lacht. Es ist ja auch schön peinlich, wenn man an der falschen Stelle lacht. Aber noch schöner peinlich ist, wenn man an der richtigen Stelle nicht lacht. Ein deutscher Witz ist, wenn du lachst, weil er witziger ist als die Realität. Ein jüdischer Witz ist, wenn du nur lachst, obwohl die Realität noch trauriger ist. Wie Mordechaj Bronfen immer sagte: Ein alter jüdischer Witz lautet, er stelle neue deutsche Realität dar.
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