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Klimaschutz ist Menschenrecht
Europäischer Gerichtshof in Straßburg schreibt mit seinem Urteil Rechtsgeschichte
Erstmals in seiner 65-jährigen Geschichte hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Urteile zum Thema Klimawandel gefällt. Verstoßen Regierungen gegen die Menschenrechte, wenn sie nicht genug gegen die Erderwärmung tun? So lautete im Kern die Frage. Die Erwartungen waren hoch, da der Gerichtshof in Straßburg zwei der drei Klagen, die zur Verhandlung standen, als vorrangig eingestuft hatte – ein Zeichen für den hohen Stellenwert, den die Richter der Entscheidung einräumten. Der EGMR gehört zum Europarat, dem neben allen EU-Ländern auch große Staaten wie die Türkei oder Großbritannien angehören, und ist für die Einhaltung der Menschenrechtskonvention zuständig. Die Urteile sind für die Staaten bindend, in der Praxis werden sie aber nicht selten ignoriert.
Zwar wies die Große Kammer des Gerichts am Dienstag zwei der Klagen als unzulässig zurück. Die Schweizer Klimaseniorinnen hingegen waren mit ihrem Anliegen erfolgreich. »Wegen der häufigeren und intensiveren Hitzewellen steigen die Risiken, frühzeitig krank zu werden oder zu sterben, für uns übermäßig an«, argumentierte der Verein, dem mittlerweile rund 2000 Frauen mit einem Durchschnittsalter von 73 Jahren angehören. »Unsere Grundrechte sind bedroht, die zuständigen Stellen tun aber zu wenig, um die Klimaerwärmung auf ein ungefährliches Ausmaß zu begrenzen.« 2020 verklagten sie die Schweiz, scheiterten vor den nationalen Gerichten und landeten schließlich in letzter Instanz in Straßburg.
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Die 17 EGMR-Richter*innen gaben den Seniorinnen nun Recht. Die Schweiz verstößt demnach gegen Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention, der die Achtung des Privat- und Familienlebens und der Wohnung festhält. Zudem liegt ein Verstoß gegen Artikel 6, das Recht auf ein faires Verfahren, vor, da die Schweizer Gerichte den Sachverhalt nicht ausreichend geprüft haben. Dem Argument der Seniorinnen, auch Artikel 2, Schutz des Lebens, sei verletzt, folgte das Gericht aber nicht. Das Urteil gegen die Schweiz kann nicht angefochten werden.
Erfolglos blieb dagegen die Klage des früheren Bürgermeisters der nordfranzösischen Küstenstadt Grande-Synthe. Damien Carême warf Frankreichs Regierung vor, seine Gemeinde nicht genug gegen Überflutungen infolge des Klimawandels zu schützen. Das Gericht wies dies aus formalen Gründen zurück, da Carême mittlerweile als EU-Abgeordneter in Brüssel lebt, deshalb nicht mehr unmittelbar betroffen ist und so die juristisch relevanten Kriterien für den »Opferstatus« nicht erfüllt, den Kläger geltend machen müssen.
Auch die dritte Klage scheiterte aus formalen Gründen. Sechs Jugendliche aus Portugal hatten ihr Heimatland sowie 32 weitere Staaten verklagt, nämlich diejenigen Länder des Europarats, die die meisten Treibhausgasemissionen verursachen, darunter alle Länder der EU. Ihre Klage hatte das meiste Aufsehen erregt, denn noch nie mussten sich so viele Staaten gleichzeitig vor einem internationalen Gericht für ihre Klimapolitik verantworten.
Darin lag aber auch das juristische Problem: Wie das Menschenrechtsgericht nun feststellte, hätten die Kläger*innen zunächst alle innerstaatlichen Rechtsmittel ausschöpfen müssen, statt ohne Umwege direkt vor die höchste europäische Instanz zu ziehen. Auch dass die Jugendlichen nicht nur ihr Heimatland, sondern noch weitere Länder verklagten, sieht der EGMR als unzulässig an. »Zwar ist der Klimawandel zweifellos ein globales Phänomen, das von der Staatengemeinschaft auf globaler Ebene angegangen werden sollte«, heißt es im Urteil. Doch Staaten hätten nur die Verantwortung für das, was auf ihrem eigenen Hoheitsgebiet passiert.
Gerry Liston, der Anwalt der Jugendlichen, kommt dennoch zu einer optimistischen Einschätzung: »Ein Erfolg in einem der drei Verfahren ist das wichtigste Ereignis für den Klimaschutz seit der Unterzeichnung des Paris-Abkommens 2015.« Auch der Jurist Felix Ekardt, der an der erfolgreichen Klimaklage vor dem Bundesverfassungsgericht 2021 gegen die deutsche Regierung mitgewirkt hatte, zieht ein positives Fazit: »Die Auslegungen der Europäischen Menschenrechtskonvention durch den EGMR gelten auch für Deutschland. Bundesregierung und Bundestag müssen deshalb beim Klimaschutz jetzt massiv nachlegen.«
Die Bedeutung des Schweizer Urteils liegt aus Sicht der Umweltstiftung WWF darin, dass der Gerichtshof grundsätzlich anerkannt hat, dass mangelnder Klimaschutz Menschenrechte verletzt. Dies könnte zum Präzedenzfall für weitere Klagen werden. »Das muss der Weckruf für die Regierungen sein, die bisher nicht ausreichend gehandelt haben«, sagte WWF-Vorständin Heike Vesper.
Außerdem sind die Erfolgsaussichten weiterer Verfahren nunmehr gestiegen. Ein halbes Dutzend weiterer Klimaklagen ist bereits beim EU-Menschenrechtsgericht anhängig, darunter auch eine Klage von neun Jugendlichen und jungen Erwachsenen gegen die Bundesregierung.
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