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Fahnenstress bei Brandenburger Physikern
Rüstungskonzerne aus Israel könnten von deutscher Technik profitieren
In drei Jahren könnte ein fliegendes Teleskop die Weltraumbeobachtung revolutionieren: Eine Rakete des SpaceX-Konzerns soll einen Satelliten mit einem beispiellos großen Sichtfeld ins All befördern. Der Weitwinkel dieses Ultrasat ist 200-mal größer als die bisher empfindlichsten Vorgänger. Die Technik biete »einen großen Raum für zufällige Entdeckungen«, heißt es vom israelischen Weizmann-Wissenschaftsinstitut, dem mit Israels Weltraumbehörde die Leitung und Finanzierung der Weltraummission obliegt.
Mit zwei Rüstungskonzernen stammen auch die wichtigsten Industriepartner aus Israel: Das Raumschiff wird von Israel Aerospace Industries (IAI) gebaut, das Teleskop mit elektro-optischen Sensoren vom Konkurrenten Elbit. Weiterer wichtiger Teilnehmer ist der Brandenburger Ableger des Deutschen Elektronen-Beschleunigers (DESY) in Zeuthen, der zur Helmholtz-Gemeinschaft gehört. Die dort angestellten Forscher entwickeln die hochauflösende UV-Kamera für das Superteleskop. Neben bahnbrechenden neuen Erkenntnissen soll die Ultrasat-Mission auch »die Weltgeltung der israelischen Raumfahrtindustrie sowie das internationale Ansehen Israels« stärken.
Unter den an Ultrasat beteiligten Forschern gibt es jedoch seit Monaten Streit wegen einseitiger Positionierung des DESY zum Nahost-Konflikt. Als sofortige Reaktion auf die Mordtaten von Hamas und Palästinensischem Dschihad am 7. Oktober hatte das Direktorium eine Erklärung veröffentlicht. »DESY ist vielfältig mit israelischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern und israelischen Partnerinstituten verbunden«, heißt es darin. Man trauere »mit unseren israelischen Freunden, Kolleginnen und Kollegen« um die Opfer. Vier Wochen später wurde an den DESY-Standorten Hamburg und Zeuthen eine israelische Fahne aufgehängt.
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An beiden Standorten gibt es zusammen rund 3000 Beschäftigte aus aller Welt. Rund 40 von ihnen arbeiten an Ultrasat. Unter ihnen sind auch Menschen aus arabischen Staaten und auch aus Palästina. Die im Internet nachzulesende Erklärung und die Tatsache, dass alle Mitarbeiter während der Gaza-Offensive zur israelischen Flagge aufsehen mussten, haben Angehörige des DESY am 23. Februar in einem Offenen Brief an die Leitung kritisiert.
Man verfolge die Geschehnisse in Israel und Palästina mit großer Sorge und begrüße die Verurteilung der Taten des 7. Oktober, heißt es darin. Und weiter: »In diesem Kontext empfinden wir es als einen Schlag ins Gesicht, dass die inzwischen fast 30 000 Opfer auf der palästinensischen Seite, von denen fast die Hälfte Kinder sind, weiterhin vollständig von DESY ignoriert werden.« 160 Mitarbeiter fordern, die israelischen Flaggen durch eine Friedensfahne zu ersetzen oder auch palästinensische zu hissen.
Derartige Bekundungen waren aber unerwünscht: Anfang Dezember hatte ein Mitarbeiter sein Fahrrad mit einer Palästinafahne ausgestattet und in Zeuthen nahe des Eingangs abgestellt. Die Leitung ließ es nach drei Tagen wegräumen.
Wie passt das zur persönlichen »Meinungsäußerungsfreiheit«, die laut einem Schreiben des Zeuthener DESY-Direktors Christian Stegmann allen Mitarbeitern zustehe? »Das anonyme Aufstellen einer Flagge am Eingangsbereich im öffentlichen Raum des Institutes gehört nicht dazu«, erklärt Stegmann dem »nd«, und weiter: »Andere Zeichen zur Solidarität mit Opfern in Gaza von Mitarbeitenden sind weiterhin auf dem Institutsgelände.«
Das entgegen dieser Behauptung entfernte Fahrrad gehörte dem Techniker Martin Renzmann. Vielen Kollegen sei er als Besitzer bekannt gewesen, sagt Renzmann zum »nd«.
Die Israelfahne blieb bis zum 8. März am Eingang hängen. Dann habe man »erkannt, dass die Symbolik der israelischen Flagge auch anders als intendiert aufgenommen werden kann«, und diese abgenommen, erläutert Stegmann. Der Belegschaft hatte das Direktorium angekündigt, stattdessen ein »Zeichen gegen Antisemitismus« aufhängen zu wollen, was bislang aber noch nicht erfolgte.
Man kann nicht sagen, dass Direktorium habe sich einer Diskussion zu dem internen Konflikt verweigert, davon zeugen jedenfalls Dutzende Nachrichten verschiedener Chats, die dem »nd« vorliegen. Stegmann lud schließlich im Januar und Februar zu zwei Gesprächen in die Kantine, um »einander offen zuzuhören und Fragen zuzulassen«. Das Abhängen der Israelfahne stand dabei jedoch nie zur Debatte, bekräftigte Stegmann in einem internen DESY-Chat.
Für das zweite Gespräch lud das Direktorium für die Moderation die Amadeu-Antonio-Stiftung ein. Diese Stiftung hat sich nach dem 1990 in Eberswalde von Neonazis ermordeten Angolaner Amadeu Antonio benannt. Im Nahost-Konflikt verortet sich die Stiftung aufseiten Israels, bezeichnet den Vorwurf des Genozid in Gaza als Lüge und hat eine eigene, sehr strenge Definition von Antisemitismus entwickelt, die eine Kritik am Staat Israel schwierig macht.
»Wer sie kennt, weiß, dass die Methoden und die Ausrichtung der Amadeu-Antonio-Stiftung in dieser Frage nicht geeignet waren, einen geschützten neutralen Rahmen für Menschen arabischer Herkunft zu bilden«, meint Techniker Renzmann. Der Moderator habe keinen eigenen inhaltlichen Beitrag gehalten, sagt jedoch Direktor Stegmann, und sieht in der Einladung kein Problem. Andere sehen darin einen weiteren Beleg für Einseitigkeit.
»Das Direktorium muss endlich seine Doppelstandards ablegen und in den Statements auf unserer Webseite allen unseren betroffenen Kollegen Mitgefühl ausdrücken«, erklärt Wissenschaftler Rolf Bühler. Wenn das Direktorium politische Aussagen im Namen des ganzen Institutes tätige, solle die Belegschaft ein demokratisches Mitspracherecht bekommen, wünscht er sich.
Mit dem Ultrasat wollen die beteiligten Forscher Supernovae, sich verändernde Sterne, Gravitationswellen und andere galaktische Phänomene untersuchen und helfen, die Entstehung des Universum zu erklären. Die beteiligten Firmen Elbit und IAI stellen aber auch hochmoderne Waffensysteme her. Diese werden vom israelischen Militär auch in Gaza eingesetzt. Elbit hat mehrere Mitarbeiter zum Campus in Zeuthen entsandt.
Einige DESY-Mitarbeiter fürchten deshalb, dass ihre technischen Entwicklungen in Israel militärisch genutzt werden könnten. Auch Bühler hält es für möglich, die Weitwinkeltechnologie aus Ultrasat in Aufklärungssatelliten zu nutzen.
Abwegig ist das nicht: Elbit und IAI haben vor zwei Jahren mit dem Eros C-3 bereits einen ähnlichen Satelliten ins All geschossen. Anders als Ultrasat schaut dieses Teleskop auf die Erde. »Stellen Sie sich vor, Sie stehen auf dem Berg Hermon, dem nördlichsten Punkt Israels, und können die Menschen in der über 450 Kilometer entfernten südlichen Stadt Eilat beobachten«, lobt der Hersteller die »unglaublichen Sichtleistungen« der eingebauten Sensoren.
Wenn beim Start alles gut geht, bleibt der Ultrasat drei Jahre auf einer geostationären Umlaufbahn, der mitgeführte Treibstoff würde sogar für sechs Jahre reichen. Alle anfallenden Daten werden in Echtzeit an Bodenstationen übertragen und an die beteiligte Forschungsgemeinschaft weitergeleitet.
Die erwarteten Ausgaben für das Ultrasat-Projekt betragen rund 92 Millionen Euro. Für einen Satelliten mit derartigen Fähigkeiten ist das außerordentlich günstig. Auch von den niedrigen Herstellungskosten für die gemeinsam entwickelte Weltraumtechnologie könnten israelische Rüstungskonzerne zukünftig profitieren.
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