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FIND: Eine Kugel für den Nazi
Im Rahmen des Festivals Internationale Neue Dramatik fragt Tiago Rodrigues danach, wie mit Rechtsextremen umzugehen ist: Aushalten oder wegballern?
Die Familie kommt zusammen, drei Generationen. Irgendwo auf dem Land, im Süden Portugals. Korkeichen wachsen, viele Korkeichen. Das Ganze hat etwas Idyllisches. Und doch gibt es die alten Konflikte und kleinen Reibereien. So ist Familie. Aber die starke Verbindung zwischen den acht – nennen wir sie alle Catarina – ist wirklich nicht zu leugnen.
»Catarina e a beleza de matar fascistas« (Catarina und die Schönheit, Faschisten zu töten) heißt der Theaterabend des portugiesischen Regisseurs und künstlerischen Leiters des berühmten Festivals in Avignon, Tiago Rodrigues, der beim Festival Internationale Neue Dramatik an der Schaubühne am Lehniner Platz zu sehen war und ein hörbar irritiertes Publikum zurückließ.
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Catarina Eufémia, so erfahren wir im Laufe der Vorstellung, war eine einfache Landarbeiterin, die wegen ihres Kampfes für bessere Arbeitsbedingungen 1954 von Schergen der Salazar-Diktatur getötet wurde. Seit diesem Tag eint die Familie, die wir auf der Bühne begleiten, ein Vermächtnis. Jedes Jahr tötet ein Familienmitglied einen Faschisten, dessentwegen eine unschuldige Frau sterben musste. Das ist Gerechtigkeit, das ist familiäre Pflicht. Jedes Jahr wird ein jedes Familienmitglied zu einer Catarina. Jedes Jahr wird ein Leichnam vergraben und eine Korkeiche gepflanzt. Mehr als 70 Bäume zieren mittlerweile den Hain.
Eine junge Catarina, sie gehört der vierten Generation an, soll in diesem Jahr das erste Mal zur Pistole greifen. Sie hat einen Parlamentsabgeordneten hinters Licht geführt und bringt ihn aufs Land. Aber – sie kann es nicht. Hier beginnt der Konflikt der Generationen. Hier stellt sich die Frage nach der Verantwortung des Einzelnen. Was ist Familienbande? Was ist Antifaschismus?
Rodrigues zeichnet klare, lebendige Figuren. Seine Dialoge kommen den Spielern leicht über die Lippen. Sein großer Stoff, der unter anderen Vorzeichen für eine groteske Komödie getaugt hätte, hat das Format zur Tragödie.
Das Zögern und Streiten wird bestraft. Diejenigen, die Jahr um Jahr für die gute Sache getötet haben, werden bald selbst von Kugeln getroffen. Der Faschist überlebt. Und nach zwei kurzweiligen Stunden, in denen wir mit all den Catarinas und Positionen Bekanntschaft machen durften, ergreift für kaum erträgliche 25 Minuten ein Nazi das Wort.
Mit dem Ruf nach Recht und Ordnung geht es los. Die Worte werden schärfer, der Ton lauter, die Forderungen radikaler. Was wir hören, ist bald nur noch Faschismus in Reinform. Aber hier ist keine Catarina, uns von diesem Elend zu erlösen. Das Publikum ist ratlos. Einige gehen, einige pfeifen. Es wird gebuht, das Buhen verklingt wieder. Erneut gibt es Zwischenrufe, dieses Mal lauter. Allerdings – der Faschist wird nicht schweigen, bis er gesagt hat, was er sagen will.
Die Inszenierung fragt überlaut, wie mit Faschisten umzugehen ist – und sie verweigert jede Antwort. Zur Waffe greifen kann man schließlich nicht. Kann man es doch? Wer aber die extreme Rechte gewähren lässt, wird auch mit anhören müssen, was doch niemand mehr hören wollte. Viel mehr, als äußerst unbequeme Fragen auf diese zwingende Art zu stellen, kann Theater kaum leisten.
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