- Politik
- Klimaschutz
Klimaschutzgesetz der Ampel: Ende der Verpflichtungen
Mit der Neuregelung wurden verbindliche Vorgaben für einzelne Bereiche abgeschafft
Die Debatte vor Verabschiedung der Änderungen im Klimaschutzgesetz (KSG) durch die Fraktionen der Ampel-Regierung hatte etwas Skurriles. Ausgerechnet die Redner*innen von CDU und CSU empörten sich über die Verwässerung des Regelwerkes, das die Vorgängerregierung von Union und SPD geschaffen hatte. Von einem »schwarzen Tag für den Klimaschutz« sprach etwa Anja Weisgerber (CSU) – und wählte damit dieselben Worte wie wenige Minuten zuvor die Linke-Bundesvorsitzende Janine Wissler.
Zu Beginn hatte bereits Andreas Jung (CDU) beklagt, mit ihrer Änderung sorge die Ampel für die »Entkernung des Klimaschutzgesetzes« und mache es zum »Papiertiger«. Jung betonte, Flexibilität zwischen den sogenannten Sektoren gebe es bereits im bisherigen KSG. Wenn ein Ministerium nicht in der Lage sei, bei Verfehlung der Klimaziele in seinem Bereich kurzfristig für eine Senkung der Emissionen zu sorgen, könne die Bundesregierung sich auf schnell umsetzbare Maßnahmen in einem anderen Bereich einigen. Mit der Gesetzesänderung bestehe dagegen kein Handlungsdruck mehr. Die einzelnen Ministerien würden »in dieser Legislatur zu nichts mehr verpflichtet, und das ist das Gegenteil von Nachhaltigkeit«. Weiter stellte Jung klar, dass Verkehrsminister Volker Wissing (FDP) mit der Androhung von Fahrverboten Druck auf die Ampel-Partner ausgeübt und »einen Popanz aufgebaut« habe, obwohl die Notwendigkeit dafür nie bestanden habe.
Tatsächlich werden mit der Novelle die einklagbaren sogenannten Sektorziele zur Senkung der Treibhausgasemissionen abgeschafft, also verbindliche Vorgaben im Zuständigkeitsbereich jedes einzelnen Ministeriums. Nur das Gesamtziel muss erreicht werden. Sofern also der Energiesektor wie im vergangenen Jahr sein Soll »übererfüllt« hat, hat es künftig keine Konsequenzen mehr, wenn die Ziele im Verkehrssektor eklatant verfehlt werden. Ein Nachsteuern ist künftig nur noch vorgeschrieben, wenn das Gesamtziel zwei Jahre in Folge nicht erreicht wird.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Erwartungsgemäß verteidigten Politiker*innen der Regierungsparteien ihren Kompromiss, obgleich er ein erneutes Einknicken von SPD und Grünen vor der FDP bedeutet. Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge pries das Gesetz als eines, mit dem nicht mehr aus dem Rückblick Maßnahmen entwickelt würden, sondern mit sinnvollen Prognosen. »Wir schauen nicht auf Einmaleffekte, sondern auf dauerhaft sinnvolle Klimaschutzmaßnahmen«, sagte Dröge mit Blick auf die durch Lockdowns und Reiseverbote in der Corona-Pandemie bedingte zeitweilig überdurchschnittliche Emissionsminderung.
Auch habe »jeder Sektor weiterhin ein Ziel«, beteuerte Dröge, die zudem auf das seit Regierungsantritt der Ampel Erreichte hinwies. Der Ausbau der Kapazitäten zur Stromgewinnung aus erneuerbaren Quellen gehe »in rasantem Tempo voran«. Erstmals sei Deutschland in der Lage, das Emissionsziel für 2030 einzuhalten. Dagegen wolle die Union ausgerechnet den EU-Beschluss zum »Ausstieg aus dem fossilen Verbrennungsmotor« rückabwickeln.
Tatsächlich möchten CDU und CSU das Verbrenner-Aus rückgängig machen, also das EU-weite Verkaufsverbot für Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035. Allerdings konnten sie sich innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP) damit nicht durchsetzen: Im Mitte März beschlossenen EVP-Programm zur Europawahl am 9. Juni taucht die Forderung nicht auf. Darauf wies SPD-Fraktionsvize Mathias Miersch in der Debatte hin und bemerkte süffisant, dass bei den Konservativen auf EU-Ebene offenbar mehr Sachverstand herrsche als in den Unionsparteien.
Im Programm von CDU und CSU zur Europawahl heißt es noch immer, man wolle »das Verbrennerverbot wieder abschaffen und die deutsche Spitzentechnologie des Verbrennungsmotors erhalten und technologieoffen weiterentwickeln«.
Miersch beteuerte derweil, auch mit dem neuen Gesetz dürfe »kein Gramm CO2 mehr ausgestoßen werden«. Da für Maßnahmen in einigen Sektoren aber mehr Zeit nötig sei, »brauchen wir die Flexibilität der Sektoren untereinander«, so Miersch. Die Verbindlichkeit der Minderungsziele im Verkehr und bei Gebäuden werde allein durch bei Verfehlungen drohende EU-Strafzahlungen sichergestellt.
Linke-Chefin Wissler nannte das neue KSG dennoch eine »Lizenz zum Nichtstun«. Es befreie den Verkehrssektor »quasi von den Klimazielen« und sei somit eine »Lex Wissing«, sagte sie mit Blick auf das Agieren des Verkehrsministers. Finanzminister Christian Lindner empfahl Wissler in Anspielung auf die FDP-Forderungen nach mehr Kürzungen beim Bürgergeld, wenn er »Arbeitsverweigerung sanktionieren« wolle, solle er bei seinem Parteifreund Wissing anfangen. Der sei die »personifizierte Blockade der Verkehrswende«, wolle mit 150 Millionen Euro den Bau von »Flugtaxis für Reiche« fördern, statt angemessen in den Ausbau des Schienenverkehrs zu investieren. Zugleich verweigere er sich der Einführung des Emissionen deutlich mindernden Tempolimits auf Autobahnen.
Gegen das Gesetz stimmte neben Union und Linkspartei auch die AfD. Letztere lehnte es allerdings ab, weil sie den Klimawandel für »natürlich« und nicht für menschengemacht hält, wie ihr Abgeordneter Karsten Hilse betonte. Die Neuregelung muss noch abschließend im Bundesrat beraten werden.
Aktive der Umweltorganisation Greenpeace demonstrierten anlässlich der Abstimmung mit projizierten Leuchtzeichen am Reichstagsgebäude gegen die Verwässerung des Gesetzes. Auch Fridays for Future (FFF) und die Deutsche Umwelthilfe beteiligten sich an Protestaktionen vor dem Parlament. FFF-Sprecherin Helena Marschall kommentierte: »Die Bundesregierung macht sich lächerlich und gefährdet unsere Zukunft. Nach wiederholten Rechtsbrüchen, weil sie immer wieder mit Ansage durch ihre eigenen Klimaziele gerasselt ist, verändert sie einfach die Gesetzeslage.« Marschall hält die Neuregelung für verfassungswidrig und fordert den Bundesrat auf, dagegen zu stimmen.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.