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Berlin: Klimaneustart startet Volksinitiative
Ab Samstag werden Unterschriften für die Bauwende gesammelt
»Wenn die Zementproduktion ein Land wäre, stände sie auf Platz drei der größten CO2-Emittenten«, sagt Gerrit Naber von der Initiative Klimaneustart. Gerade im Gebäudesektor müsse viel mehr passieren, um auch in Berlin das selbst gesteckte Ziel zu erreichen, bis 2045 klimaneutral zu werden.
Die Gruppe Klimaneustart will den Senat jetzt mit einer neuen Volksinitiative zum Handeln auffordern. Ab Samstag werden deshalb Unterschriften gesammelt. Das Ziel ist, bis September die nötigen 20 000 Unterschriften zusammenzubekommen, um anschließend zum Ende des Jahres das Anliegen ins Abgeordnetenhaus zu tragen.
Sechs Forderungen hat die Initiative an die Landespolitik. So sollen mithilfe eines Bestandsregisters leer stehende und nutzbare Räume in der Stadt digital erfasst werden. Vor dem Abriss von Gebäuden müsse die Prüfung von deren Nutzungspotenzialen verpflichtend werden. Leerstand soll stärker sanktioniert werden als bisher. Die Initiative fordert, dass ein CO2-Budget für Neubau- und Sanierungsprojekte aufgestellt wird. Außerdem soll bei der Entwicklung neuer Quartiere ein verpflichtender Standard in die Bauleitplanung aufgenommen werden, der zu ausreichend Stadtgrün und der nötigen Infrastruktur im Sinne lebenswerter Wohnorte verpflichtet.
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Zum Start der Kampagne erklärten Experten aus unterschiedlichen mit dem Bauen im Zusammenhang stehenden Organisationen ihre Unterstützung für die Volksinitiative. »Bauwende bedeutet nicht, dass nicht mehr gebaut wird, sondern dass richtig gebaut wird«, so Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein. Er kritisierte das vom Senat erarbeitete Schneller-Bauen-Gesetz als »ideenlos«, weil es lediglich Vorgaben streiche und keine eigenen Impulse setze.
Auch die Forderung von Kanzler Olaf Scholz (SPD), dass es »wie in den 70er Jahren« neue Stadtteile brauche, sah Bartels kritisch. Selbst wenn man mit dem Bau dieser Stadtteile beginne, entstünden damit erst langfristig neue Wohnungen. Viel schneller würde es gehen, vorhandene Baulücken in Berlin auszunutzen, zeigte sich Bartels überzeugt. »Der Senat fasst das aber nicht an«, sagte er.
Auch leer stehende Büroflächen könnten zunächst einmal zu Wohnraum umfunktioniert werden, so der Vorschlag des Bündnisses hinter der Volksinitiative. »Es entstehen Tag für Tag neue Bürogebäude, die dann teilweise ungenutzt bleiben«, sagte Leonie Wipf. Auch gebe es in manchen Straßenzügen einen deutlich sichtbaren Leerstand an Gewerbeflächen im Bestand.
Von bis zu 100 000 zusätzlichen Wohnungen geht Sebastian Bartels vom Berliner Mieterverein aus, die entstehen könnten, würde man die Baulücken in Berlin ausnutzen und nicht genutzte Gewerbeflächen in Wohnraum umwandeln. Auch dazu brauche es solch ein Kataster, das die leer stehenden Räume in der Stadt erfasst, wie es die Initiative fordert.
Ob das Abgeordnetenhaus und der Senat die Forderungen der Initiative übernehmen, ist fraglich. Eine Volksinitiative zielt anders als ein Volksentscheid nicht darauf ab, dass die Berliner über ein politisches Vorhaben oder einen Gesetzesvorschlag abstimmen. Nach erfolgreichem Einreichen der Stimmen muss sich das Abgeordnetenhaus lediglich mit dem Vorhaben beschäftigen, und die Vertreter der Initiative erhalten das Recht, im zuständigen Ausschuss des Abgeordnetenhauses angehört zu werden.
Erfolg hatte die Initiative Klimaneustart bereits mit zwei Volksinitiativen. So war die Grundlage für die Erklärung der Klimanotlage durch den Senat 2019 solch eine Massenpetition der Initiative. Auch die Einberufung des Klimabürger*innenrates 2021 geht auf eine erfolgreiche Unterschriftensammlung zurück.
Im vergangenen Jahr wollte die Initiative mit einem Volksentscheid strenge Zielvorgaben für den Klimaschutz erreichen. Sie wollte das Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetz ändern. Berlin sollte bis 2030 klimaneutral werden, statt wie in dem Gesetz bislang vorgesehen bis 2045. Zwar erhielt der Gesetzesvorschlag der Initiative bei der Abstimmung am 26. März 2023 eine Mehrheit von knapp über 50 Prozent der Stimmen. Es wurde allerdings das erforderliche Quorum an Ja-Stimmen von einem Viertel aller Wahlberechtigten mit 18 Prozent nicht erreicht.
Grund für die geringe Wahlbeteiligung war auch der Abstimmungstermin. Dem Wunsch der Initiative, zusammen mit der Wahl des Abgeordnetenhauses am 12. Februar 2023 über den Volksentscheid abzustimmen, konnte nach Angaben von Innensenatorin Iris Spranger (SPD) und Landeswahlleiter Stephan Bröchler auch aus organisatorischen Gründen nicht entsprochen werden.
Der Volksentscheid war sogar unter Akteuren umstritten, die selbst für mehr Klimaschutz werben. So nannte Berlins damalige Umweltsenatorin Bettina Jarasch (Grüne) das Anliegen unrealistisch. Auch von linken Mieterschützern wurde kritisiert, dass der Passus im bestehenden Gesetz gestrichen werden sollte, wonach Klimaschutzmaßnahmen keine Mieterhöhungen zur Folge haben dürfen, und Auswirkungen auf Mietpreise vom Senat bezuschusst werden sollten.
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