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Unwort toxisch: Bücher für den Giftschrank

Mittlerweile ist alles toxisch: Männer, Frauen, Chefs oder Mütter. Kein Wunder also, dass es der Begriff nun auch auf zwei Buchtitel geschafft hat

  • Paula Irmschler
  • Lesedauer: 5 Min.
Zusammen was verändern, radikal und organisiert? Nee. Die unendliche Happyness ist nur noch im eigenen Ich zu finden.
Zusammen was verändern, radikal und organisiert? Nee. Die unendliche Happyness ist nur noch im eigenen Ich zu finden.

Es gab mal eine Zeit, da war das Wort »toxisch« noch originell. Es war kreativ, es war lyrisch, es war Britney. Mittlerweile ist es überall – im Internet, im Alltag und natürlich auch auf Buchtiteln. Da vor allem auf Lebensratgebern, in denen es darum geht, wie man, quasi in der Tradition von Marie Kondo, Überflüssiges aus seinem Leben entfernt. Statt um Dinge geht es aber nun um Menschen. Man muss sein Gegenüber immer wieder prüfen, um es als schlecht und gefährlich zu enttarnen. Im Feminismus hat das Wort schon längst Einzug gehalten – vor allem in Form von »toxischer Männlichkeit«. Gemeint ist die Form von Männlichkeit, bei der Männer sich selbst und anderen schaden – als ob es eine gute Form von Männlichkeit gäbe. Mittlerweile kann aber sowieso alles toxisch sein. Freundschaften, Familienmitglieder, Chefs, Regeln, Reaktionen und Angewohnheiten. All das hat das Potenzial, uns an Selbstliebe, am Funktionieren und am Fortkommen zu hindern. Deshalb muss man Toxisches aus seinem Leben entfernen – da hilft keine Therapie und kein Entgegenkommen, kein Stoppen, sondern nur Reinigung.

Die beiden aktuellen Buchtitel, die das esoterische Wort aus der Ratgeberbubble rausholen, profitieren von seinem Siegeszug. »Toxisch« tritt an, Begriffe wie Macht, Gewalt und Missbrauch zu ersetzen – wie zuvor das Wort »problematisch« schon die Wörter rechts, rassistisch oder faschistisch verdrängt hat –, um es schließlich als Zuschreibung auf alles, was man doof findet, ausweiten zu können. Es darf eben alles nicht mehr so dolle sein. Sophia Fritz hat ein Sachbuch mit biografischen Anleihen geschrieben (»Toxische Weiblichkeit«), Frédéric Schwilden einen Poproman (»Toxic Man«). Hätten beide andere Titel gewählt, wären sie den Inhalten ihrer Bücher eher gerecht geworden, beide haben sich aber offensichtlich für die kommerziell sicherere Bank entschieden – fair enough.

Für Schwilden scheint der Begriff als eine Art roter Faden zu funktionieren: Jeder Mann im Roman ist auf irgendeine Weise beschädigt vom Patriarchat, jede Frau hat irgendwie darunter gelitten. Ein bisschen will er wohl auch provozieren – schließlich lässt er seinen Protagonisten immer wieder dumme Vorurteile über junge Linke abfeuern, die darauf schließen lassen, dass der Autor keine persönlich kennt, sondern nur ab und an auf seltsamen Instagram-Seiten rumhängt.

Schwildens Protagonist findet, den Leuten ginge es generell zu gut heutzutage. Armut gibt es im Roman nur in Form von Obdachlosen und Bettlern, die einem ab und an über den Weg laufen. Diese armen Randfiguren benutzt er, um seinen Bürgi-Roman, in dem es zwischen Ausstellungen und Partys um den Verlust des Vaters und eigenes Vaterwerden geht, eine Portion Street zu verpassen, er will sich nicht vorwerfen lassen, komplett blind zu sein, schon klar. Ansonsten ist er komplett blind für und unberührt von realen Verhältnissen.

Fritz hingegen will sich den Ausdruck »Toxische Weiblichkeit«, den sie bei Antifeministen gelesen hat, feministisch aneignen, ohne jedoch zu definieren, was toxisch überhaupt bedeutet – und darüber vielleicht darauf zu kommen, dass sich der Begriff nicht eignet, um Verhältnisse zu erklären, sondern nur vage Zuschreibungen liefern kann.

Fritz geht den Weg der meisten aktuellen Feminismus-Bücher, sie versucht – ausgehend von ihrer eigenen Sozialisierung – größere Zusammenhänge zu erklären und bleibt dabei meist bei Individualisierungen, auch wenn sie manchmal auf Strukturen, das System oder den Kapitalismus hinweist – aber eher so, als würde es um den Himmel gehen, unter dem wir nun mal leben müssen. Dass es etwas jenseits des Kapitalismus geben könnte, ist nicht vorstellbar, der Appell besteht darin, an sich selbst und seinem Umfeld zu arbeiten. Auch in diesem Buch befinden wir uns in bürgerlichen Verhältnissen, indem man natürlich unter sexistischer Sozialisierung gelitten hat, unter popkulturellen Bildern, die das Selbstbild negativ beeinflusst haben, aber von ausbeuterischen Verhältnissen ist man wenig berührt – man kann der eigenen Zurichtung mit Gesprächen, Kursen, Massagen, Therapie und Coaching beikommen.

In beiden Büchern erfährt man etwas über Geschlecht, über Liebe, Sexualität und die Komplexität von Betroffenheit und Tätersein, und beide Bücher sind sprachlich gelungen und versammeln kluge Gedanken. Radikal sind sie aber an keiner Stelle. Die Autor*innen leben in Bubbles, in denen man sich erzählt, dass jede*r seines Glückes Schmied sein kann. Frauen und Männer – das ist bei beiden einfach so passiert, es ist kaum mehr als »die Bilder«, die wir gesehen haben und die uns vorgelebt wurden.

Das Thema Klasse denken beide natürlich irgendwie mit, aber eine Rolle spielt es nicht. Ein Roman hat natürlich auch nicht die Aufgabe, auf eine solche Spurensuche zu gehen, im Sachbuch findet sie aber leider auch nicht statt. Hinter den Forderungen von Fritz, die richtig sind – Ehrlichkeit, nicht so hart zu sich sein, Grenzen setzen, andere Frauen und sich selbst in die Verantwortung nehmen – steckt kein größeres Ziel, keine Utopie. Das liegt auch an diesem ungeeigneten Wort »toxisch«, das nahelegt, dass es immer nur um Verhalten, aber nie um Verhältnisse gehen kann. Fritz mag sich den Begriff angeeignet haben, ein Gewinn ist das aber nicht.

Wenn man nicht von kapitalistischer Macht und Gewalt sprechen will, wird man aber nicht erklären können, wieso es diese Zurichtungen in Bezug auf Geschlecht und Klasse gibt und wieso wir da nicht einfach so rauskommen. In der toxischen Bubble ist Klasse ein Nebenschauplatz. Probleme, die sich aber genau daraus ergeben, werden individualisiert und die Adressaten letztlich zu Egoismus bestärkt, auf dass unser einziges Ziel das Weiterkommen als Einzelne ist – natürlich auch mittels Konsum.

Der Romanautor weiß wenigstens, dass er auf dieser Spur unterwegs ist. Als Feministin sollte man sich aber überlegen, in welchem System Frauen wirklich frei von eigener und der Zurichtung anderer Frauen sein können. Dafür muss man sich nicht mehr mit sich selbst beschäftigen, sondern mehr mit allen anderen, gemeinsam, organisiert, politisch und radikal.

Sophia Fritz: »Toxische Weiblichkeit«, Hanser, geb., 192 S., 22 €.
Frédéric Schwilden: »Toxic Man«, Piper, geb., 288 S., 22 €.

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