Amnesty besorgt über Repression gegen Palästina-Solidarität

Amnesty International bereiten deutsche Einschränkungen von Meinungs- und Versammlungsfreiheit im Zusammenhang mit Palästina-Solidarität große Sorgen

Die Versammlungsfreiheit ist als Artikel 8 im Grundgesetz verankert. Wie sieht das derzeit für die Palästina-Solidarität aus?

Wir beobachten aktuell, dass es immer wieder zu teils unverhältnismäßigen Einschränkungen kommt und Diskursräume stark verengt werden. Das äußert sich in Verboten, umfassenden Auflagen für Versammlungen, teils unverhältnismäßiger Polizeigewalt und anderen Maßnahmen, die wir als menschenrechtswidrig kritisieren.

Kann man da einen Anfang ausmachen?

In Berlin wurden 2021 anlässlich des Nakba-Tages erstmals pauschale umfassende Versammlungsverbote verhängt. Nachdem die Geschehnisse nach dem 7. Oktober eskaliert sind, kam es vermehrt zu behördlichen Repressionen.

Stichwort Nakba-Tag – worum geht es dabei?

Interview

Paula Zimmermann ist Juristin und setzt sich bei Amnesty International in Deutschland als Fachreferentin für Meinungs- und Versammlungsfreiheit für den Schutz von Grund- und Menschenrechten ein. Sie beschäftigt sich vor allem im Rahmen der Kampagne »Protect the Protest« mit Protestbewegungen weltweit sowie mit Themen rund um Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

Nakba bedeutet Katastrophe. Der 15. Mai ist in der palästinensischen Kultur ein zentraler Gedenktag zur Erinnerung an Vertreibung und Flucht in den Jahren 1947 bis 1949.

In Springer-Medien und inzwischen auch anderen Tageszeitungen werden Protestierer gegen den Gaza-Krieg konsequent als »Israel-Hasser« oder »Juden-Hasser« bezeichnet. Wie steht Amnesty dazu?

Wir beobachten die Diffamierung und Stigmatisierung mit allergrößter Sorge. Mediale Hetzkampagnen schaffen auch ein gesellschaftliches Klima, das Protestierende pauschal kriminalisiert und als antisemitisch und gewaltvoll abstempelt. Das kann rassistische Ressentiments bestärken. Wenn dann Mitglieder der Bundesregierung solche Wertungen unreflektiert übernehmen, führt das zu einer absoluten Verrohung des Diskurses.

Wann kam es eigentlich an Hochschulen in Mode, die Polizei zu rufen, wenn Studierende demonstrieren?

Auch dort gilt der Schutzbereich der Versammlungsfreiheit. Das heißt, das ist ein öffentlicher Raum, in dem gerade eben auch Meinungsaustausch und Diskussion stattfinden soll. Gleichzeitig konkurriert damit das Hausrecht der Hochschule. Und das muss dann gegeneinander abgewogen werden. Dass hier sofort zum Hörer gegriffen und als Standardoption die Polizei auf die eigenen Studierenden losgelassen wird, betrachten wir mit großer Sorge.

2019 hat sich der Bundestag in einer Resolution zu der Antisemitismus-Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) bekannt. Kritiker warnten, dass dies in Deutschland als Regulierungsinstrument missbraucht würde …

Wir hatten schon im vergangenen Jahr gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen einen Appell an die Vereinten Nationen gerichtet, der gerade davor warnt: Diese Definition führt dazu, dass Kritik an der israelischen Regierung oft pauschal als antisemitisch eingeordnet wird.

Nach dem 7. Oktober gab es Shitstorms, Autor*innen wurden eingeschüchtert, Veranstaltungen abgesagt, Menschen haben ihre Stellen verloren. Werden diese Vorfälle irgendwo gesammelt und dokumentiert?

Nein, leider nicht. Das macht es tatsächlich auch sehr schwer, sich davon ein umfassendes Bild zu verschaffen und die Dinge menschenrechtlich zu bewerten.

Ist Deutschland nach dem 7. Oktober in Bezug auf Gewährung von Versammlungsfreiheit und Meinungsfreiheit im Ranking der Länder gesunken?

Amnesty nimmt da keine Einordnung vor. Es gibt aber mit Civicus eine anerkannte Organisation, die genau das betont hat. Man hat schon den Eindruck, dass die Grenzen des Sagbaren stark verschoben wurden.

Welche Aussagen sind aus Ihrer Sicht ein No-Go?

In erster Linie bestimmt dies das Strafrecht – bei Äußerungen, die zu Gewalt aufrufen, Terror billigen oder Persönlichkeitsrechte Dritter verletzen, endet die Meinungsfreiheit. Aussagen wie zum Beispiel »Boykott Israel« fallen nicht pauschal darunter. Wir plädieren dafür, hier den Grundsatz der Grundrechtsdogmatik, nämlich im Zweifel für die Meinungsfreiheit hochzuhalten und im Einzelfall zu entscheiden.

Amnesty wird wegen wiederholter Kritik an Israel selbst Antisemitismus vorgeworfen. Wie geht die Organisation damit um?

Den Vorwurf weisen wir entschieden zurück. Wir haben uns insbesondere nach Veröffentlichung unseres Apartheidsberichts zu Israel und den besetzten palästinensischen Gebieten damit auseinandergesetzt sowie Sensibilisierungs- und Schulungsangebote für unsere Mitarbeiterinnen und Ehrenamtliche geschaffen. Unsere Kritik an der israelischen Regierung stützt sich auf konkrete Nachweise von Menschenrechtsverletzungen an Palästinenserinnen und richtet sich eben nicht gegen das jüdische Volk oder Israel als jüdischen Staat.

Welche Forderungen hat Amnesty im Hinblick auf den Nakba-Tag am Mittwoch in Deutschland?

Wir appellieren an die Versammlungs- und Polizeibehörden, von pauschalen Versammlungsverboten abzusehen. Dort, wo es zu Ausschreitungen kommt, muss die Polizei streng verhältnismäßig agieren und etwa Schmerzgriffe unterlassen. Außerdem appellieren wir an politische Entscheidungsträger*innen, Äußerungen zu unterlassen, die Protestierende pauschal diffamieren und kriminalisieren. Die Grundrechtsausübung darf eben nicht unter den politischen Vorbehalt deutscher Staatsräson gestellt werden.

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