Marx aus der Finanzierung abgeschoben

Das Buch »Marx und Engels über Migration« will der Kreis Oder-Spree der Linksfraktion nicht bezahlen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 5 Min.

Die in die USA übergesiedelten Iren schicken Geld nach Hause, mit denen die Angehörigen ihre eigene Reise bezahlen können. »Jeder Trupp, der dieses Jahr auswandert, zieht nächstes Jahr einen anderen Trupp nach.« Welche Folgen das für die zurückgebliebenen irischen Arbeiter hatte? »Dass die relative Überbevölkerung heute so groß ist wie vor 1846, dass der Arbeitslohn heute ebenso niedrig steht und die Arbeitsplackerei zugenommen hat.« Oder: Die ungesund anstrengende Arbeit der Bäcker von London ist so mörderisch, dass sie in der Regel nicht älter als 41 Jahre werden. »Und dennoch ist der Londoner Arbeitsmarkt stets überfüllt mit deutschen und anderen Todeskandidaten für die Bäckerei.«

Diese und andere Äußerungen der Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels zitiert Artur Pech in seinem Buch »Marx und Engels über Migration«. In einem Anhang, der gut die Hälfte der 246 Seiten zählenden Publikation ausmacht, fügt er die Originalquellen bei. »Einführung für den politischen Gebrauch« lautet der Untertitel.

In gewisser Weise gibt Artur Pech Nachhilfeunterricht in Marxismus und zeigt auf, welche Schlussfolgerungen sich aus dieser Weltanschauung für die Asylpolitik ergeben – Nachhilfe für seine Genossen in der Linken und auch für jene, die zum Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gewechselt sind. Die Einschätzung, dass seine Auffassungen weder zu den Positionen der früheren Bundesvorsitzenden Katja Kipping passen noch zu denen der Bundestagsabgeordneten Wagenknecht, »ist wohl korrekt«, bestätigt Pech. Sozialistische Politik dürfe weder die Analyse der materiellen Triebkräfte und der objektiven Verhältnisse mit ihren Wirkungen auf den Migrationsprozess rundweg als fremdenfeindlich verteufeln, noch sich in einem linken Beitrag zu einem von kapitalistischen Interessen geleiteten Migrationsmanagement erschöpfen, sagt er, wobei für ihn infrage steht, ob ein solcher Beitrag überhaupt ein linker Beitrag sei.

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Pech nennt die Gegenpole »offene Grenzen« und Abschottung. Er befasst sich schon lange mit dem Thema, hat es auch am Beispiel polnischer Erntehelfer aufgearbeitet, denen in Deutschland das Kindergeld für ihre in der Heimat lebenden Töchter und Söhne verweigert werden sollte. Wer das Thema Migration aus marxistischer Sicht bearbeite, »musste früher und muss auch jetzt bereit sein, sich zwischen alle Stühle zu setzen«, sagt Pech.

In seinem Buch schildert er einerseits, wie Zuwanderung schon vor fast 200 Jahren benutzt wurde, um die Löhne der Arbeiter zu drücken, und wie Zuwanderung sich auch dann auf die Lage der Ausgebeuteten auswirkt, wenn es einen gesetzlichen Mindestlohn gibt. Andererseits zeigt er, wie Menschen brutal abgeschoben werden, wenn sie als Arbeitskräfte durch den technischen Fortschritt überflüssig geworden sind. Den Ausweg sehen Marx und Engels in der sozialen Revolution.

Die Stichworte lauten Wert der Ware Arbeitskraft oder auch Angebot und Nachfrage. Pech vermag es, komplizierte Sachverhalte verständlich darzulegen. Insofern darf sich jeder glücklich schätzen, der eins der 450 Exemplare erhalten hat, die von der Linksfraktion des Kreistags Oder-Spree kostenlos verteilt worden sind. Artur Pech ist der Fraktionsvorsitzende. Er erhielt kein Honorar. Die Freiexemplare gab es vom Verlag im Gegenzug für einen Druckkostenzuschuss von 1724,31 Euro aus Geldern der Fraktion. Den vom Verlag Neue Impulse aufgedruckten Preis von 9,90 Euro muss nur zahlen, wer außerhalb des Landkreises lebt oder auch einfach keines der Freiexemplare abbekam.

Dies hat nun aber dazu geführt, dass der Landkreis der Linksfraktion den Zuschuss für den Monat Mai nicht auszahlte. Bei der »sachlichen und neutralen Prüfung der eingereichten Verwendungsnachweise« für das Haushaltsjahr 2023 habe sich herausgestellt, dass ein eingereichter Beleg nicht anerkannt werden könne und es zu einer Rückforderung kommen werde, teilt Kreissprecherin Karolin Ring auf Nachfrage mit. Die Rückforderung solle mit den Mitteln verrechnet werden, die jetzt nicht zur Auszahlung gekommen sind.

Eine inhaltliche Begründung fehlt, aber die hat Artur Pech nach eigenen Angaben am 30. April von einer Mitarbeiterin des Kreistagsbüros erhalten, die ihm wörtlich mitgeteilt habe: »Das Buch ›Marx und Engels über Migration‹ kann nach Rücksprache mit meiner Vorgesetzten nicht zur Abrechnung angesetzt werden, da es sich hierbei nicht um Öffentlichkeitsarbeit handelt, die ausschließlich die Arbeit der Fraktion im Kreistag darstellt.«

Pech betrachtet die Verweigerung der Mittel als Machtmissbrauch, Versuch der Zensur und Teil einer völlig verfehlten Migrationspolitik. Er legte Widerspruch ein und kündigte juristische Schritte an. »Die dem Landkreis zur Unterbringung zugewiesenen Personen müssen menschenwürdig untergebracht werden. Dieses Problem ist nicht mit Gemeinheiten gegen Geflüchtete à la Bezahlkarte zu lösen«, erklärt der Kommunalpolitiker. »Notwendig ist vielmehr, eine Politik des Krieges und der Ausplünderung anderer Länder zu beenden, die Menschen in die Flucht treibt. Wer nicht flüchten muss, muss auch nicht untergebracht werden.« Das sei sehr wohl ein kommunales Thema, denn die beklagte »Überforderung der Kommunen« sei eine Folge auch dieser deutschen Politik.

Im Vorwort seines Buches hat Pech noch ausführlicher dargelegt, wie viel »Marx und Engels über Migration« mit der Kommunalpolitik in Oder-Spree zu tun habe. Für die Unterbringung der angekündigten Zahl von Geflüchteten fehlten Kapazitäten, für die Schaffung der Kapazitäten fehle das Geld. Wenn dann als Notlösung auf Turnhallen zurückgegriffen werden müsse, schaffe dies böses Blut und produziere die »vielzitierte Fremdenfeindlichkeit«. Nun gebe es viele Möglichkeiten, damit umzugehen. »Die eigentlich naheliegendste wäre es, die erforderlichen Kapazitäten vorzuhalten und das den Kommunen auskömmlich zu finanzieren.« Aber das sei offenkundig nicht beabsichtigt.

Wie einerseits Geflüchtete als unerwünscht eingestuft und abgeschoben werden und andererseits arme Länder durch die Auswanderung von Fachkräften ausgeplündet werden, beschreibt Pech unter anderem am Beispiel albanischer Ärzte. Etwas mehr als 1000 von ihnen behandeln in Deutschland Patienten, während es in ihrer Heimat nur rund 5000 Mediziner für eine Bevölkerung von 2,8 Millionen Menschen gebe und die Arztdichte viel geringer sei als in Deutschland. Die Bundesrepublik spart sich so 200 000 Euro pro Arzt für deren Studium und Albanien verliert eine geringere, aber für albanische Verhältnisse ebenfalls hohe Summe.

Artur Pech: Marx und Engels über Migration, Neue Impulse Verlag, 246 S. (brosch.), 9,90 €.

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