Mietenstopp von Pankow bis Konstanz

Mieter*innenvereine, Gewerkschaften und Selbstvertretungen setzen mit einem bundesweiten Aktionstag ein Zeichen für eine progressivere Wohnpolitik

Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen ganz links, neben ihm Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds. Gemeinsam mit Gewerkschaften und Selbstvertretungen setzen sie sich für einen Mietenstopp ein.
Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen ganz links, neben ihm Lukas Siebenkotten, Präsident des Deutschen Mieterbunds. Gemeinsam mit Gewerkschaften und Selbstvertretungen setzen sie sich für einen Mietenstopp ein.

Mindestens einmal im Monat trifft sich die Berliner Gruppe »Pankow gegen Verdrängung«. Diesen Samstag sitzen um die 20 Personen in der »Hellen Panke« und diskutieren über die Situation im Kiez. Nach der Wende wurden hier hunderte Häuser mit öffentlichen Fördermitteln saniert, die Miethöhe begrenzt und Eigenbedarfskündigungen ausgeschlossen. Diese tausenden sogenannten »Sozialbindungen« sind zum großen Teil bereits ausgelaufen, übrig sind nur noch unter 1000 Wohnungen.

»Das hängt wie ein Damoklesschwert über uns«, sagt Annarose Schröder. Die 67-Jährige wohnt seit ihrer Geburt im Kiez, ihre Wohnförderung läuft im Oktober aus. Sollte sich daran nichts, ändern wird sie, alle Schonfristen einberechnet, ihre Wohnung mit 74 Jahren verlassen müssen. Diese Woche ist die Versammlung von »Pankow gegen Verdrängung« aber nur eine Veranstaltung von vielen. Das Bündnis Mietenstopp hat zu einem bundesweiten Aktionstag aufgerufen.

Das Bündnis setzt sich inzwischen seit 2020 für Mietregulierungen ein. Getragen wird es von Mietervereinen wie dem Deutschen Mieterbund, Sozialverbänden wie dem Paritätischen, dem Deutschen Gewerkschaftsbund und Selbstvertretungen wie der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe oder eben »Pankow gegen Verdrängung«. Der Mietenstopp, wie das Bündnis ihn definiert, umfasst begrenzte Mieterhöhungen, eine schärfere Mietpreisbremse und eine sozial verträgliche Wärmewende.

»Die Mietenbewegung muss sich gut vernetzen und organisieren, um eine Chance zu haben.«

Bündnis Mietenstopp

Seit 2020 scheinen die Forderungen nicht bei der Bundesregierung anzukommen, wie das Bündnis gegenüber »nd« eingesteht. Die Einschätzung: Die Forderungen umzusetzen werde jetzt, angesichts des gesellschaftlichen Rechtsrucks, nicht leichter. »Die Mietenbewegung muss sich gut vernetzen und organisieren, um eine Chance zu haben«, heißt es.

Diese Chance zu haben, bedeutet auch, sich gegenüber dem anderen großen Player in der Debatte um Wohnknappheit zu behaupten: der Immobilienindustrie. Erst vergangene Woche veröffentlichte das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft Köln eine Studie, laut der 372 000 neue Wohnungen pro Jahr gebaut werden müssen, um der deutschen Wohnungsknappheit zu begegnen. Davor war das Institut von 308 000 Wohnungen ausgegangen. Die neuen Zahlen seien unter anderem auf gestiegene Zuwanderung zurückzuführen.

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Unsozialer Wohnungsbau

In eine ähnliche Kerbe schlagen die wohnpolitischen Vorhaben der Ampel. Zum Mietrecht finden sich im Koalitionsvertrag nur dezente Eingriffe. Dafür sollten pro Jahr 400 000 neue Wohnungen fertiggestellt werden. Bislang steht das Bundesbauministerium von Klara Geywitz (SPD) bei 295 000 Wohnungen. Selbst wenn das Bauministerium seine Ziele erreicht, bräuchte es auf diesem Weg über 40 Jahre, um allen Haushalten mit überhöhten Mieten eine Wohnung anzubieten, errechneten der Sozialwissenschaftler Andrej Holm und der Rechtsanwalt Benjamin Raabe. Und auch das nur, wenn nicht jährlich 60 000 bis 80 000 Sozialwohnungen durch auslaufende Bindungen wegfallen würden. So wie es gerade in Pankow mit der Wohnung von Annerose Schröder geschieht.

Die Zunahme der Bevölkerung ist nicht die Ursache der Probleme am Wohnungsmarkt.

Dabei ist die Zunahme der Bevölkerung nicht die Ursache der Probleme am Wohnungsmarkt. Ausschlaggebend sind viel mehr der demographische Wandel sowie der ungleich verteilte Wohlstand. Die Zahl der Privathaushalte stieg laut Statistischem Bundesamt von 1991 bis 2019 um 17,7 Prozent, die der Haushaltsmitglieder aber nur um 3,3 Prozent. Dieser Trend wird sich bis 2040 drastisch verstärken. Wohnungsbau ohne reglementierende Maßnahmen wird den Status Quo demnach nicht ändern.

Die effektivste Methode, um Wohnen in Deutschland wieder leistbar zu gestalten, wäre öffentlicher Wohnungsbau mit dauerhaften Mietpreis- und Belegungsbindungen. Dies ist aber ein langwieriger Prozess und funktioniert unter der Ampel allenfalls in abgeschwächter Form. Ein Schritt in diese Richtung ist die von Geywitz Anfang Juni verkündete sogenannte »Neue Wohngemeinnützigkeit«, die Förderung des Baus bezahlbarer Wohnungen.

»Davon hatten wir uns viel erhofft«, heißt es vonseiten des Bündnisses Mietenstopp. »Nun ist lediglich ein Mikro-Projekt davon übriggeblieben.« Der Mieterbund bemängelte nach Verkündung des Gesetzes vor allem die fehlenden Investitionszulagen. Eine gesetzliche Mietpreisbegrenzung sei deswegen der effektivste Weg zu einer sozialen Wohnpolitik, schlussfolgern Holm und Raabe.

Sechs Jahre ohne Mieterhöhung

Das Bündnis Mietenstopp will Kompetenzen im Wohnbereich von den Ländern an den Bund verlagern. So fordert es Mieterhöhungen in angespannten Wohnungsmärkten bundesweit sechs Jahre lang auszusetzen. Dazu gehören insbesondere Ballungszentren wie Berlin, München, Hamburg, Frankfurt oder Köln. Dieser Forderung schließt sich zum Aktionstag auch die SPD München an. Dort liege der Quadratmeterpreis inzwischen bei 20 Euro.

In weniger angespannten Gebieten fordert das Bündnis eine maximale Mieterhöhung von sechs Prozent in drei Jahren. Auch mit dieser Forderung hatte sich die SPD vergangenen Herbst aus der Sommerpause zurückgemeldet, geschehen ist seither aber nichts. Bundesweit will das Bündnis Mietenstopp eine Kappungsgrenze von zehn Prozent in drei Jahren. Der Koalitionsvertrag der Ampel sieht vor, die Kappungsgrenze von 15 auf elf Prozent zu senken. Auch das ist bisher nicht passiert. Die Kappungsgrenze gibt an, wie hoch die Miete im Vergleich zur ortsüblichen Vergleichsmiete steigen darf.

Zuständig für Mietenpolitik ist das von Marco Buschmann (FDP) geführte Justizministerium. Mit der FDP sei keine progressive Mietenpolitik zu machen, urteilte Ulrike Hamann-Onnertz vom Berliner Mieterverein vergangene Woche im Vorfeld einer Veranstaltung der Immobilienlobby. Bisher hat die Ampel nur die Mietpreisbremse verlängert. Dieses Instrument funktioniere jedoch in seiner jetzigen Ausprägung nicht, so das Bündnis Mietenstopp. Dafür müssten die Ausnahmen für bestehende höhere Mieten und bei erstmaliger Vermietung nach Modernisierungen gestrichen werden.

»Jetzt können wir nicht die Hände in den Schoß legen«

Annarose Schröder Pankow gegen Verdrängung

Energiesparende Modernisierungen sind das Stichwort der dritten Ampelpartei. Mit dem Wärmepumpengesetz hatten sich insbesondere die Grünen unbeliebt gemacht. Um die Kosten für Modernisierungen ökosozial zwischen Mietenden, Vermietenden und Staat aufzuteilen, hatten der Deutsche Mieterbund und der Bund für Umwelt und Naturschutz im April ein Konzept vorgeschlagen, das sogenannte »Drittelmodell«.

Ideen gibt es also viele, an ihrer Umsetzung hapert es aber. Deswegen will das Bündnis Mietenstopp aber nicht aufgeben: »Ganz im Gegenteil, wir stehen auf und machen weiter. Was sonst?«, teilt es »nd« mit. In Berlin Pankow ist Annarose Schröder nach dem Treffen ihrer Gruppe in ähnlich kämpferischer Stimmung. »Jetzt können wir schließlich nicht die Hände in den Schoß legen«, resümmiert sie.

Ein Vorbild für das Bündnis ist die Mieter*innenbewegung in Spanien, die sich durch eine breite Kooperation mit der Klimagerechtigkeitsbewegung und Gewerkschaften auszeichnet. Das Vorbild merkt man dem Bündnis an. Als am Wochenende Fotos von verschiedenen Aktionen aus Köln, München oder Konstanz in den sozialen Medien auftauchen, stammen einige davon vom DGB.

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