Auf dem Höhepunkt

Schmusen, Kuscheln, Streicheln: Woher kommt die Obsession diverser Leitmedien, Politik sprachlich mit Petting gleichzusetzen?

Sieht doch schon sehr kuschelig aus mit den Blumen und dem Tee.
Sieht doch schon sehr kuschelig aus mit den Blumen und dem Tee.

Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft nicht viele Journalistinnen und Journalisten einer Beschäftigung zugeführt werden sollten, in welcher ihnen die Sprache nicht mehr länger im Weg ist: dem Metzgerhandwerk, dem Reinigen von Kanalrohren oder dem Schreiben von Bestsellern beispielsweise.

Im Internet, im Radio und im Fernsehen wird ja schon seit Jahren ungehemmt so geredet, dass man den Eindruck bekommt, die »totale Rückverdummung Deutschlands«, die einst von der APPD gefordert wurde, sei ein bereits vollständig und überaus erfolgreich abgeschlossener Prozess: An die Mischung aus hilflosem Reklamegestammel, stahlharter Propaganda und astreiner Deppensprache (»Ansprechpartner«, »Fortschrittskoalition«, »Demokratie-Check«, »Toleranzfenster«, »Kundenerlebnis«), die in den hiesigen Medien freimütig und bislang ungestraft praktiziert wird, sind die Hörer und Zuschauer schon so sehr gewöhnt, dass sie, natürlich ohne es zu bemerken, selbst so sprechen, als seien sie kaputte Internet-Bots oder Klone von Markus Lanz. Selbst Studierende der deutschen Sprache und Literatur fragen sich ja heute, um welche neue, ihnen noch unbekannte Influencerin es sich eigentlich bei »Emilia Galotti« handelt, oder halten den »Grünen Heinrich« für ein Sextoy. Infantilisierung und Ideologisierung sind allgegenwärtig, ja ergänzen einander aufs Schönste, nicht nur in der Medienwelt.

Doch unter Presseleuten und in Zeitungsredaktionen, wo eine ausgeprägte Denk-, Lese- und Schreibschwäche praktisch Einstellungsvoraussetzung ist, ist es natürlich am schlimmsten. Dort kommt, die branchenübliche Kombination aus Wurschtigkeit und Halbalphabetentum sozusagen verschärfend, auch noch die Neigung zahlreicher Beschäftigter hinzu, Begriffe, die man aus dem Kosmos der Erotik kennt, in inflationärer Weise auf die Sphäre der Politik anzuwenden: Nicht selten liest man davon, dass ein Wirtschafts- oder Außenminister gegenüber irgendeinem totalitären Regime »auf Schmusekurs geht«, dass sich eine Partei mit einer anderen »ins Bett legt« bzw. mit ihr »ins Bett will«, dass die Bundesregierung mit der Auto-Lobby »kuschelt« oder auf Parteitagen »Streicheleinheiten verteilt« bzw. »verabreicht« werden.

Die gute Kolumne

Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute

Schmusen, Kuscheln, Streicheln, gemeinsam ins Bett: Woher kommt diese unter Redakteuren und sogenannten freischaffenden Presseleuten weit verbreitete Petting-Obsession? Ist hier ein bei Journalistinnen und Journalisten im Unbewussten schlummerndes, nicht ausgelebtes Bedürfnis nach einem intensiven Austausch von Zärtlichkeiten mit Politikerinnen und Politikern im Spiel? Gibt es unter im Medienbetrieb Tätigen ein gesteigertes Interesse am erotischen Spiel und am Vollzug geschlechtsverkehrsvorbereitender Handlungen mit politischen Funktionsträgerinnen und -trägern des (deutschen) Staates? »Schmusekurs«, »Kuschelkurs«, »Kuschelpolitik«: Hat, wer so schreibt, vielleicht eine sexuelle Neigung neuer Art, bei der ein bohrendes Verlangen nach körperlicher Berührung durch Mitglieder des Deutschen Bundestags und eine innige Lust an Navigationstechniken miteinander verschmelzen? Will, auf der beständigen Suche nach dem ersehnten Oxytocin-Kick, der »Spiegel«- oder »Welt«-Leitartikler, wenn er in sein tiefstes Inneres schaut und ehrlich zu sich selbst ist, in Wirklichkeit nichts anderes als Björn Höcke mal untenrum anfassen bzw. dem Ali Chamenei zärtlich den Bart oder die Eier kraulen?

Es wird ein Rätsel bleiben, solange sich nicht die Wissenschaft (Psychologie? Hirnforschung? Sprachwissenschaft? Publizistik?) einmal intensiv mit derlei Fragen beschäftigt. Fest steht: Abgenudelte Sprachbilder, die aus dem Bereich der Sexualität sadomasochistischer Spielart stammen, sind im deutschen Journalismus weit weniger beliebt, weswegen man Überschriften wie »Deutsche Wirtschaft: Stiefelleckerei bei den Mullahs« vergeblich sucht.

Sicher ist jedenfalls: An erotisch aufgeladenen (und anderen) Zeitungsphrasen wird im deutschen Journalismus auch künftig kein Mangel sein. Wenngleich, was ihre Verbreitung betrifft, der – hmm – vorläufige Höhepunkt erreicht sein mag.

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