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Tijan Sila erhält Bachmann-Preis: Keine Spielchen

Tijan Sila hat in Klagenfurt mit einem Postjugoslawien-Text gewonnen

Da bleiben: Der Bachmann-Preisträger 2024 Tijan Sila (hinten) umarmt den Juror Philipp Tingler.
Da bleiben: Der Bachmann-Preisträger 2024 Tijan Sila (hinten) umarmt den Juror Philipp Tingler.

Tijan Sila hat den Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen, bei den 48. Tagen der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt. »Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde« hieß sein Text, ein Auszug aus dem Roman, an dem er gerade arbeitet und der 2026 erscheinen soll, als Fortsetzung seines Romans »Radio Sarajevo« aus dem vergangenen Jahr. Es wäre sein dritter langer autofiktionaler Text über seine Kindheit und Jugend, erst in Jugoslawien und dann als Flüchtling aus Jugoslawien in Deutschland.

Sila wurde 1981 in Sarajevo geboren, flüchtete während der Belagerung der Stadt und kam 1994 nach Kaiserslautern, wo er immer noch wohnt und als Berufsschullehrer arbeitet. Die Belagerung von Sarejevo im Bosnienkrieg durch die jugoslawische Volksarmee beziehungsweise das, was von ihr unter hauptsächlich serbischem Kommando noch übrig war, dauerte von 1992 bis 1996, sie gilt als die längste militärische Belagerung des 20. Jahrhunderts.

In seinem Debütroman »Tierchen unlimited« erzählte Sila 2017 kontrast- und temporeich vom Aufwachsen in Sarajevo unter Beschuss und dann unter Neonazis in der pfälzischen Provinz, wo sein Held feststellen muss, »dass die Deutschen trotz des vielen Demokratiegelabers genauso fiese Bestien waren wie der Rest Europas«. In »Radio Sarajevo« schildert er dann »eine Jugend zwischen Blauhelmen und Bon Jovi«, wie sich Micky Beisenherz ausdrückte.

Der Bürgerkrieg im zerfallenen Jugoslawien ist ein Musterbeispiel für die Ethnisierung ursächlich ökonomischer Konflikte; für eine barbarische Identitätspolitik, wie sie auch von den Rechten politisch sehr erfolgreich vorangetrieben wird, befeuert vom Neoliberalismus, der jede Form einer ausgleichenden Gesamtheit in Frage stellt. Die Menschen werden an der Wirtschaft wahnsinnig und denken, das hätte irgendetwas mit ihrer Person zu tun, oder gar mit einem sogenannten Volk. Von der vermaledeiten Religion mal ganz zu schweigen.

»Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde«, Silas Siegertext in Klagenfurt, erzählt auf ebenso unterhaltsame wie deprimierende Weise von der Flucht eines Elternpaars in den Irrsinn nach der Flucht aus dem Irrsinn in Bosnien. Sie sind arbeitslos, eine Germanistin und ein Bibliothekswissenschaftler, deren »kommunistische Doktortitel« nun wertlos sind. Der Sohn und Erzähler besucht sie und wird von der Mutter verdächtigt, die Seiten gewechselt zu haben, er weiß nur nicht, welche Seiten sie da meint. Als wäre immer noch Krieg. Sie sagt ihrem Sohn, dass er keine »Spielchen« mit ihr spielen soll. Er will in sein altes Kinderzimmer flüchten, aber darin hat sein Vater einen Berg von alten Elektrogeräten aufgetürmt. Um sie zu reparieren und dann zu verkaufen, wie damals in Jugoslawien, einem Land, das es nicht mehr gibt. Und dann spürt der Sohn wieder wie damals im Bunker die »Furcht auseinanderzubrechen«. Wie ein Mantra sagt er, dass er da bleibt. Er will nicht vor seinen Eltern fliehen, aber keinesfalls zurück in die Vergangenheit.

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