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Der Klient kooperiert nicht!
Der Kapitalismus hat super Wörter erfunden, um uns das Leben im Hamsterrad möglichst schmackhaft anzupreisen
Mit Speck fängt man Mäuse. Mit Sprache lenkt man das Denken der Menschen. (Na ja, sagen wir besser: das, was heute vom Denken noch übrig geblieben ist.) Ich bin mir nicht sicher, ob in einer besseren Zukunft eine sich progressiv verstehende Linke nicht gut daran täte, sich intensiver als bisher mit Sprache zu beschäftigen.
Der Müll heißt heute nicht grundlos »Wertstoff«. Und Bürgergeldempfänger werden hierzulande heute offiziell als »Klienten« bezeichnet. Was klingen soll, als handele es sich bei ihnen um freche, sich selbst ermächtigende, nach Gutsherrenart handelnde Forderungssteller, die es wagen, Ansprüche anzumelden. »Klient: eine Person, die jemanden beauftragt, ihre Interessen zu vertreten«, heißt es im Wörterbuch. So weit sind wir in Deutschland also schon, möchte man da ausrufen: Jetzt erteilen die armen Schlucker bereits Aufträge! Und missbrauchen vor aller Augen unsere überforderten deutschen Ämter als ihre »Interessenvertretung«! Denen scheint’s ja wirklich zu gut zu gehen!
Thomas Blum ist grundsätzlich nicht einverstanden mit der herrschenden sogenannten Realität. Vorerst wird er sie nicht ändern können, aber er kann sie zurechtweisen, sie ermahnen oder ihr, wenn es nötig wird, auch mal eins überziehen. Damit das Schlechte den Rückzug antritt. Wir sind mit seinem Kampf gegen die Realität solidarisch. Daher erscheint fortan montags an dieser Stelle »Die gute Kolumne«. Nur die beste Qualität für die besten Leser*innen! Die gesammelten Texte sind zu finden unter: dasnd.de/diegute
Unter einem »Klienten« stellt man sich dann unweigerlich einen dandyhaft gekleideten Schnösel vor, der Sachen sagt wie: »Wenn mein Bürgergeld diesen Monat ausbleiben sollte, werde ich die Angelegenheit meinem Rechtsanwalt übergeben müssen. Die Verfahrenskosten gehen zu Ihren Lasten.« Bürgergeldempfänger, so lernen wir also, stellen schamlos Forderungen, lassen ihre Interessen vertreten und sind auch sonst privilegiert.
Der »Klient« – dazu verpflichtet, seinem Patron zu huldigen und ehrerbietig vor ihm das Haupt zu beugen – soll aber auch gefälligst spuren, wenn man ihm Kommandos erteilt. Er soll alle möglichen Schikanen erdulden, jederzeit zu erniedrigenden Tätigkeiten gezwungen werden können. Heute heißt das aber anders. Heute spricht man von »kooperieren«. »Wenn Leistungsbezieher mit dem Jobcenter nicht kooperieren«, müssen sie sich schließlich nicht wundern, wenn sie obdachlos werden oder hungern müssen. So sprechen nicht nur deutsche Ämter und Politiker, sondern auch Konzernchefs und Mafiabosse: »Keine Sorge, wir haben Mittel und Wege, diese Leute zur Kooperation zu bewegen.«
Auch der Bundesarbeitsminister bedient sich einer Ausdrucksweise, die lange Zeit dem Kriegsfall und internationalen gewalttätigen Konflikten vorbehalten war: »Die Sanktionsmöglichkeiten gegen Totalverweigerer werden wir daher verschärfen.« Wer so redet, wer unbewaffneten Bürgergeldempfängern mit »härteren Konsequenzen« droht und »scharfe Maßnahmen« ankündigt, der will anscheinend nicht verbergen, dass hier tatsächlich ein erbarmungsloser Feldzug geführt wird, und zwar gegen Menschen, deren einziges Vergehen darin besteht, auf Sozialleistungen angewiesen zu sein.
Mit der tatsächlichen Realität hat diese lebensfeindliche Sprache der Technokratie, die mit allerlei Kampfvokabeln (»Leistungserschleichung«, »Arbeitsverweigerung«, »Graubereich«, »Totalsanktionen«) gespickt ist, die Arbeitslose in die Nähe von Kriminellen rücken sollen, längst nichts mehr zu tun. Sie steckt voller Euphemismen und unverständlicher, bizarrer Neologismen, hat sich vom Alltag der Menschen vollständig abgekoppelt. Teils ist sie selbst zum reinen Maßregelungs- und »Sanktionsinstrument« mutiert, teils ist sie reine Propagandasprache und Mittel zur Denunziation.
Die in der Sphäre der Politik und der Medien geführte öffentliche Diskussion um Bürgergeld und Arbeitslosenunterstützung ist gekennzeichnet durch die fortgesetzte Verwendung und Reproduktion dieses Jargons, der vor allem zwei Funktionen hat: 1. legitime Ansprüche an einen sogenannten Sozialstaat als unverschämten Egoismus zu denunzieren; 2. unschuldige Menschen zu stigmatisieren und gefügig zu machen.
Wer beispielsweise – in einem Staatswesen, das sich »freiheitlich« nennt (und sich etwas darauf einbildet) – im Zusammenhang mit Menschen, die einen Rest Würde und Selbstbestimmung zu bewahren versuchen, indem sie Unzumutbares zurückweisen, von »Totalverweigerern« spricht, betreibt bewusst Hetze gegen Menschen.
Es kann mehr als einen Grund dafür geben, dass eine 58-jährige, arbeitslos gewordene Lehrerin nicht zum Aufsammeln von Hundehaufen im Park gezwungen werden möchte. Vielleicht gibt es auch gute Gründe dafür, dass jemand in dieser Gesellschaft gar nicht (mehr) auf herkömmliche Art einer Arbeit nachgehen möchte. Und vielleicht möchte er das nicht, weil er erkannt hat, dass Arbeit im Kapitalismus falsch organisiert, falsch verteilt, entwürdigend, verblödend, sinnlos, gesundheitsschädigend, stumpfsinnig, gesellschaftsaffirmativ, systemstabilisierend oder umweltgefährdend (oder alles zusammen) ist. Und vielleicht ist die Entscheidung dieses Menschen in gewisser Weise geradezu vorbildlich und zukunftsweisend.
Sicher ist jedenfalls: Tatsächlich sind nicht die vermeintlichen »Totalverweigerer« ein Problem, sondern eine reaktionäre Politik, die Menschen ausschließlich als auszubeutende und restlos zu verwertende Arbeitskraftbehälter betrachtet.
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