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Weltliga gegen Faschismus: Mit aller Klarheit und Kraft
Ulrich Schneider erinnert an die vergessene Weltliga gegen Faschismus
Ohne Zweifel, es ist ein richtiges Buch zur rechten Zeit: Rechte und rechtsextremistische Parteien und Organisationen, völkische, radikale und antisemitische nationalistische Kräfte sonnen sich in der Wählergunst; die Kriegsgefahr, lange in Europa überwunden geglaubt, nimmt zu. Vielfach wird von Faschisierung gesprochen, ohne exakt zu definieren, was Faschismus eigentlich ist. Antifaschistische Akteure, aber auch die Historiker konzentrieren sich vor allem auf Erklärungen aus den 1930er Jahren, in denen der Faschismus, vor allem in Europa und in der Gestalt des nationalsozialistischen Deutschland, zum allseits bedrohenden und auch herrschenden System geworden war.
Hier nun setzt der Historiker Ulrich Schneider an, der auch als Generalsekretär der Internationalen Föderation der Widerstandskämpfer (FIR) zu den wohl besten Kennern der Materie und des antifaschistischen Widerstands gezählt werden kann. Er macht darauf aufmerksam, dass die kommunistische Weltbewegung in Gestalt der Kommunistischen Internationale sich schon ab 1922 mit dem Problem des Faschismus zu beschäftigen begann. Das war das Jahr, in dem in Italien der Faschist Benito Mussolini Ministerpräsident geworden war, der »Marsch auf Rom« stattgefunden hatte. Auf der anderen Seite blieb die Russische Revolution isoliert, in den anderen Ländern, in denen die Arbeiter und Bauern erfolglos versuchten, dem russischen Beispiel zu folgen, setzte wie in Ungarn, Bulgarien, auf dem Balkan, aber auch in Deutschland ein hemmungsloser Terror ein, der die Herrschaft der besitzenden Klassen sicherte.
Die Reaktion begnügte sich aber nicht mit der Niederlage der Unterdrückten, sie versuchte auch, sich eine Massenbasis zu schaffen. Aus völkischen, ultranationalistischen und terroristischen Bewegungen entstanden Zusammenschlüsse, die sich oft gerne auf das italienische Beispiel beriefen und bald auch außerhalb Italiens als Faschisten bezeichnet wurden.
Clara Zetkin nahm auf dem Plenum des Exekutivkomitees der Kommunistischen Internationale (EKKI) im Juni 1923 eine Beschreibung dieses neuen Phänomens vor und schuf eine Definition, die heute von aktuellem Interesse ist: »Wir müssen uns bewusst bleiben, dass ... der Faschismus eine Bewegung von Hungrigen, Notleidenden, Existenzlosen und Enttäuschten ist. Wir müssen danach trachten, dass wir die sozialen Schichten, die jetzt dem Faschismus verfallen, entweder unserem Kampf eingliedern oder sie zumindest für den Kampf neutralisieren. Mit aller Klarheit und Kraft müssen wir verhindern, dass sie Mannschaften stellen für die Gegenrevolution der Bourgeoisie. Soweit wir jene Schichten nicht für unsere Ideale gewinnen, nicht in Reih und Glied der revolutionären proletarischen Kampfheere ziehen können, muss es uns gelingen, sie zu neutralisieren.« Und weiter sagte sie: »Der Faschismus ist der stärkste, der konzentrierteste, er ist der klassische Ausdruck der Generaloffensive der Weltbourgeoisie in diesem Augenblick.«
Es gab 1923 kaum noch ein Plenum des EKKI, auf dem nicht über die Gefahr des Faschismus gesprochen wurde. In dem Fokus rückte zu dieser Zeit, ein breites Bündnis gegen diese Gefahr zu schaffen, zu dem auch die Aktionseinheit mit Sozialisten, Anarchisten und Syndikalisten gehörte. Natürlich hatte das Verhalten sozialdemokratischer Politiker, die repressiv gegen revolutionäre Arbeiter vorgegangen waren und in Deutschland einen nicht geringen Anteil Schuld an der Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht hatten, nicht förderlich auf die Herstellung der Aktionseinheit gewirkt, aber viele der verantwortlichen Kommunisten jener Zeit schätzten die Gefahr des Faschismus als die weitaus größere ein.
Die Weltliga hat einen Fundus an Recherche, Aufklärung über den Faschismus und zur Bündnisarbeit hinterlassen.
1923 kam es deshalb zur Gründung der Weltliga gegen den Faschismus, auch Antifaschistische Weltliga genannt. Federführend und im Auftrag der Komintern wirkend war hier das Organisationsgenie Willi Münzenberg, der gleichzeitig der KPD gegenüber verantwortlich war. Nutzen konnte er unter anderem auch den Apparat der Internationalen Arbeiterhilfe (IAH), die in vielen Ländern Dependancen hatte. Es gelang ihm, viele der namhaften Intellektuellen jener Zeit zur Mitarbeit in der Liga und an der von 1923 bis 1924 erscheinenden »Chronik des Faschismus« sowie den insgesamt sieben »Heften der Weltliga« zu gewinnen. Ulrich Schneider hat, und das ist besonders zu würdigen, viele der Inhalte der »Chroniken« in sein Buch aufgenommen und somit für den Interessierten – und hoffentlich auch für linke Politikerinnen und Politiker – zugängig gemacht.
Der »Weltliga« war kein langes Leben beschieden. Vor 100 Jahren, im August 1924, erschien die letzte »Chronik des Faschismus«. Grund dafür war nicht nur die Haltung der rechten SPD-Führung bei der Durchführung der Reichsexekutive gegen die Arbeiterregierungen in Sachsen und Thüringen, sondern auch die Änderung der Politik durch den V. Weltkongress der Komintern (Juni/Juli 1924), auf dem durch den Generalsekretär Georgi Sinowjew die Sozialdemokratie zur »Zwillingsschwester das Faschismus« erklärt wurde und die »Sozialfaschismus«-These die Aktionseinheit zwischen Kommunisten und Sozialisten für lange Zeit unmöglich machte. Die »Liga« hat trotzdem, so Ulrich Schneider, einen Fundus an Recherche, Aufklärung und Bündnisarbeit hinterlassen.
Zwei Anmerkungen seien erlaubt: Schneider geht auch auf die Kontroverse um die berühmte »Schlageter-Rede« von Karl Radek ein. Auf demselben Plenum wie Clara Zetkin hatte Radek den von den französischen Behörden in der Zeit der Ruhr-Besetzung erschossenen Freikorpsmann und Rechtsterroristen Albert Leo Schlageter einen »tapferen Soldaten der Konterrevolution« und »Wanderer ins Nichts« genannt und erwähnt, dass Kämpfer gegen den französischen Imperialismus erst dann glaubwürdig würden, wenn sie auch den deutschen Imperialismus bekämpften. Radek erhielt viel Kritik, aber erinnert werden sollte auch daran, dass sich in den nächsten Jahren mehrere prominente frühere Vertreter der Rechten den Kommunisten anschlossen, unter ihnen zum Beispiel Bodo Uhse, Beppo Römer, Richard Scheringer und Hubert von Ranke, der dann im Spanien-Krieg von Hans Beimler mit dem Aufbau der KPD-Abwehr betraut wurde.
Erwähnt werden sollte weiter, dass Ulrich Schneider in diesem Jahr im Papyrossa-Verlag ein fakten- und argumentenreiches Buch über den oft ignorierten Arbeiterwiderstand im Dritten Reich veröffentlicht hat. Dieses Buch sollte komplementär zu dem hier vorgestellten gelesen werden.
Ulrich Schneider: Die »Antifaschistische Weltliga« von 1923/24 in Quellen und Dokumenten. Neue Impulse Verlag, 234 S., br., 16,80 €.
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