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Wie liebenswert ist ein Serienmörder?
Ein langer Weg zum Happy End: Die Tom-Ripley-Romane von Patricia Highsmith sind wieder im Handel
Im Zuge des Erfolgs der auch von der Kritik als besonders gelungenen gefeierten Netflix-Serie »Ripley« von Steven Zaillian, mit Andrew Scott in der Hauptrolle, hat der Diogenes-Verlag die Ripley-Romane von Patricia Highsmith neu aufgelegt. Zunächst mordet Thomas »Tom« Ripley aus niederen Beweggründen. Er lebt als kleiner Trickbetrüger in armen Verhältnissen in New York, kann sich aber das Vertrauen eines reichen Werftbesitzers erschleichen, der ihn an die italienische Amalfi-Küste schickt, um seinen verlorenen Sohn Richard »Dickie« Greenleaf, der dort wohlhabend und unbekümmert in der Meeressonne als Maler dilettiert, in die USA zurückzuholen. Ripley ist von dessen Lebensstil fasziniert und suggeriert ihm, sein Freund zu sein. Auf einem gemeinsamen Rudertrip besiegelt er die Freundschaft, um Dickie dann hinterrücks zu erschlagen und die Leiche im Meer zu versenken. Danach nimmt er für eine Weile die Identität des Toten an und bessert seine Finanzen auf. Damit ist die Geschichte aber nicht zu Ende.
Patricia Highsmith ließ ihrem 1955 veröffentlichten Roman »Der talentierte Mr. Ripley« vier Fortsetzungen folgen, die letzte 1991. In drei davon wird weiter gemordet. Doch das Motiv ändert sich. Es ist nicht mehr Habgier, die den nur am Anfang skrupellosen Ripley antreibt, sondern reine Notwendigkeit: Ständig ist ihm jemand auf den Fersen, will ihn der Polizei ausliefern oder sich an ihm rächen; Leichen tauchen plötzlich aus Kellern auf oder auch aus dem Kanal, in dem Ripley sie zuvor versenkt hat; und es gibt sogar Epigonen, die seine Verbrechen kopieren.
Dies alles erzählt Highsmith nicht ohne Sympathie für den Bösewicht. Ripley macht eine Entwicklung durch, zum Guten, auch wenn es nicht zur moralischen Integrität reicht, denn er sühnt keine einzige seiner Taten. Doch ist er zu manch abstruser Wendung fähig: Im dritten Roman der Serie, »Ripley’s Game«, mordet der Titelheld sogar aus Nächstenliebe, wie er sie interpretiert, weil er anderen Menschen, die in Not geraten sind, helfen will; etwa einem Todkranken, den er mittels zweier Morde, gerechterweise an ausgesprochenen Schurken, in die Lage versetzt, wenn schon nicht mehr für sich selbst, so doch posthum für seine hinterbliebene Familie sorgen zu können.
Die Entwicklung dieser Hauptfigur geht über dreieinhalb Jahrzehnte. In dieser Zeit machte auch die Autorin gravierende Veränderungen durch. Highsmith hatte immer in offenen lesbischen Beziehungen gelebt und beruflich wie privat den aufrechten Gang gewählt. Weil Alfred Hitchcock 1951 ihren Debütroman »Strangers on a Train« verfilmt hatte, war die 1921 in Texas geborene Highsmith, die ihre literarische Karriere als Comic-Texterin begonnen hatte, schon früh weltbekannt. Wie ihre Hauptfigur Tom Ripley zog sie es vor, in Europa zu leben. 1991 wurde sie für den Literaturnobelpreis vorgeschlagen, den dann aber Nadine Gordimer erhielt.
Weil sie keine Kompromisse kannte, gingen Partnerschaften regelmäßig in die Brüche und zur Überarbeitung zurückerhaltene Manuskripte wanderten in den Papierkorb. In den letzten Jahren vor ihrem Tod 1995 wirkte Highsmith zunehmend verbittert. Der Blick zurück war einer im Zorn. Er galt einstigen Freundinnen, denen die Vereinsamte keine geringe Mitschuld an ihrer persönlichen Misere gab. Highsmiths letztes Domizil war ein festungsähnliches Ungetüm im Tessin, mehr Bunker denn Bungalow; das Wohnen geriet zur Verschanzung und der Alkoholkonsum stieg.
Was blieb, war der berufliche Erfolg. Jeder Highsmith-Roman wurde ein Bestseller. Legendär sind die Partys im Haus ihres Schweizer Verlegers Daniel Keel, dem Gründer des Diogenes-Verlags, auf denen sich Highsmith prächtig zu amüsieren schien, wie unzählige Fotos dokumentieren. Meist zeigen sie Highsmith im trauten Gespräch mit Männern, die auch in ihren Romanen grundsätzlich besser als die Frauen wegkommen. Häufig machte Highsmith aus ihren Protagonistinnen Hassobjekte, die opportunistisch bis zur Selbstverleugnung agieren. In solchen Frauenfiguren spiegeln sich Highsmiths Männer wider: gebrochene, aber durchaus sympathische Antihelden, die still gegen das Klischee rebellieren, aber nicht aus ihrem biologischen Panzer herauskönnen. Transgender war damals noch kein Thema. Doch Ripley ist ein Meister im Spiel der Identitäten, mit Maskerade und falschen Pässen. Im vierten Roman verkleidet er sich auch einmal sehr feminin, um seine Gegner zu täuschen.
Fast alle Highsmith-Romane haben männliche Protagonisten, die fast allesamt scheitern. Erst morden sie, dann werden sie selbst zu Opfern – eines fiesen Konkurrenten, einer verständnislosen Gesellschaft oder eines skrupellosen, rachsüchtigen Polizisten. Nur selten überleben Highsmiths Helden das Ende der Handlung. Und nur einer kommt davon: Tom Ripley.
Vor diesem Hintergrund ist es nur logisch, dass Daniel Keels Diogenes-Verlag die Ripley-Romane alle neu aufgelegt hat. Man sollte sie mit besonderem Augenmerk auf die Beziehungsgeschichten der Hauptfigur (noch einmal) lesen, warum nicht in einem Rutsch? Sämtliche Romanzen in diesen Romanen spielen sich unter Männern ab. Frauen stören da nur. In erster Linie verfolgen die weiblichen Charaktere materielle Ziele. Durch ihren rücksichtslosen Egoismus verhindern sie die wahre Liebe.
Auch Ripley lebt auf seinem Landsitz bei Paris in einer nur formal existierenden Partnerschaft. Seine Ehe mit Héloïse, unvermittelt ohne jede Vorgeschichte zu Beginn des zweiten, erst 1970 erschienen Romans der Reihe, »Ripley under Ground«, eingeführt, ist freudlos. Immerhin ist Héloïse tolerant und verzeiht Ripley seine Morde, die er ihr in einer schwachen Stunde beichtet. Madame Ripley geht ohne Kommentar oder Gefühlsregung einfach zur Tagesordnung über.
Damit sind Ripleys Probleme freilich nicht gelöst. Seine Lieben bleiben unerfüllt, die Romanzen schlummern unter der Oberfläche – und enden jäh. Seine erste große Liebe Dickie Greenleaf wird der Existenzsicherung geopfert. Im zweiten Roman muss Ripley den neurotischen Maler und Fälscher Bernard Tufts, der ihn liebt und kein Land mehr sieht und sich am Ende nur noch rächen will, in den Selbstmord treiben – aus Notwehr. Der todkranke Freund in »Ripley’s Game«, den er schützen will, wird von der Mafia erschossen. »Der Junge, der Ripley folgte«, weckt zwar als 16-jähriger, der seinen Vater im Affekt umgebracht hat, in Tom väterliche Gefühle, doch auch er bringt sich schließlich um. Ripleys Ehe mit Héloïse bleibt selbstverständlich kinderlos.
Erst im fünften und letzten Band, »Ripley under Water«, erschienen 1991, erlebt Tom Ripley sein Happy End. Eine Andeutung findet sich bereits in »Ripley under Ground«. Während Bernard Tufts Ripley ebenso verhalten wie vergeblich anschmachtet, fühlt dieser sich zu Ed Banbury, einem der Anführer der Fälscherbande, hingezogen. Nicht nur Ripley, auch der Leserschaft bleibt die sich entwickelnde Zuneigung lange verborgen. Ed verharrt in einer Nebenrolle, um später, im letzten Roman, beinahe zeitglich mit zwei von Ripley in einem Kanal entsorgten Leichen wieder an der Oberfläche zu erscheinen. Doch Ripley wird, anders als in den Bänden zuvor, kein Mord mehr abverlangt. Zwar gibt es zwei Todesopfer, doch sterben beide durch eigenes Verschulden. Einziger illegaler Akt in diesem abschließenden Werk ist die Verdeckung einer vergangenen Straftat. Endlich wird es Ripley ermöglicht, seine kriminelle Vergangenheit zu den Akten zu legen.
Ripley hat eine Zukunft, sogar eine zu zweit, mit Ed Banbury. In ihr wird das Verbrechen keine Rolle mehr spielen, sondern nur die Liebe. Ripley, heißt es im vorletzten Satz des Romans, »warf Ed ein kurzes Lächeln zu, und sie gingen zum Wagen zurück«. Der Weg zum gemeinsamen Glück ist frei.
Bleibt die Frage: Wie viel Ripley ist in Patricia Highsmith? Am Ende von fünf Ripley-Romanen ist die Hauptfigur immer noch und absehbar in Freiheit. Das ist höchst amoralisch, legt man religiöse Werte, juristische Maßstäbe und gesellschaftliche Konformität als Maßstab zugrunde. Mit all dem hatte Highsmith nichts am Hut.
Alle fünf Ripley-Romane sind in deutscher Übersetzung bei Diogenes erschienen.
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