Keine Chance auf linke Politik: Grüne Jugend verlässt Partei

Unabhängiger linker Jugendverband soll gegründet werden

  • Pauline Jäckels, Sebastian Weiermann
  • Lesedauer: 5 Min.
Katharina Stolla (l.) und Svenja Appuhn (r.), haben mit dem gesamten Vorstand der Grünen Jugend die Partei verlassen.
Katharina Stolla (l.) und Svenja Appuhn (r.), haben mit dem gesamten Vorstand der Grünen Jugend die Partei verlassen.

Der zweite Paukenschlag innerhalb eines Tages kam bei den Grünen am späten Mittwochabend. Medien berichteten, dass der Bundesvorstand der Grünen Jugend (GJ) geschlossen zurück- und aus der Partei austrete. In den sozialen Netzwerken machte schnell ein Schreiben des zehnköpfigen Gremiums an den Parteivorstand und die Bundestagsfraktion die Runde. Darin beklagt die Führung des Grünen-Nachwuchses, »dass es mittelfristig keine Mehrheiten in der Partei für eine klassenorientierte Politik gibt, die soziale Fragen in den Mittelpunkt rückt und Perspektiven für ein grundsätzlich anderes Wirtschaftssystem aufzeigt«.

Als Beispiele für Regierungshandeln, an dem die Jugend Kritik geäußert hat, nennt die Gruppe das Sondervermögen der Bundeswehr, die Räumung von Lützerath, Asylrechtsverschärfungen und die Haushaltspolitik. Geäußerte Kritik daran habe in keinem Fall etwas ändern können. Das akzeptiere man als innerparteiliche Demokratie. Dadurch habe man sich aber immer mehr als »öffentliche linke Opposition« zur Mutterpartei gesehen. Dauerhaft sei es aber nicht möglich, »gleichzeitig Teil einer Partei zu sein und für eine grundsätzlich andere Politik zu werben, als die eigene Partei umsetzt«.

Lesen Sie hier den Brief des ehemaligen Bundesvorstandes der Grünen Jugend an den Parteivorstand und die Bundestagsfraktion. Wie es jetzt weitergehen soll, erklären die Ausgetretenen hier.

Daraus zieht der Ex-Vorstand der Grünen Jugend Konsequenzen. In der Erklärung heißt es, man wolle gemeinsam mit ehemaligen und langjährigen Mitgliedern der GJ »eine neue linke Jugendorganisation gründen«. Aus GJ-Mitglieder-Kreisen hat »nd« erfahren, wie die Beziehung zur Linkspartei aussehen könnte. Ähnlich wie im Falle der österreichischen Jungen Linken würde der neue Jugendverband zwar vorerst unabhängig bleiben, aber für Die Linke, etwa bei der kommenden Bundestagswahl, Wahlkampf machen. Einzelnen Mitgliedern des neuen Jugendverbandes stünde es dann offen, Mitglied bei der Linkspartei zu werden und direkt für sie zu kandidieren.

Der Vorstand der Grünen Jugend wollte sich gegenüber »nd« nicht dazu äußern, welche Beziehung der neue Verband mit der Linkspartei anstrebt. Zuerst wolle man den nächsten Bundeskongress bestreiten. Dieser findet am 18. bis 20. Oktober 2024 in Leipzig statt – zur selben Zeit hält auch die Linkspartei ihren Bundesparteitag ab, eine halbe Stunde entfernt, in Halle.

Die Linkspartei gibt sich offen für eine Zusammenarbeit. Die linke Jugendorganisation solid schrieb am Donnerstag in einem Instagram-Kommentar unter der Austrittsankündigung: »Wir ziehen unseren Hut vor diesem Mut. [...] Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit für eine befreite Gesellschaft.« Ines Schwerdtner, die als künftige Linke-Vorsitzende gehandelt wird, sagte in einem Pressestatement am Donnerstag: »Der Schritt des Vorstands der Grünen Jugend ist sehr konsequent.« Auch Die Linke sei der Überzeugung, dass es in Deutschland dringend eine linke Kraft brauche, die dafür einstehe, dass die Reichen und Mächtigen »uns das zurückgeben, was sie uns schulden. Eine linke Kraft, die sich für die Menschen stark macht, die dieses Land am Laufen halten«, so Schwerdtner weiter. »Und wir werden gern mit allen an diesem Ziel arbeiten, die für eine starke linke und sozialistische Kraft in diesem Land kämpfen.«

Die Entscheidung des Bundesvorstandes der Grünen Jugend sorgt bei Teilen der Landesverbände offenbar für Unmut. Das dürfte auch an der kurzfristigen Kommunikation zwischen Bundes- und Landesvorstand liegen. Aus GJ-Kreisen heißt es gegenüber »nd«, der Bundesvorstand habe die Entscheidung den Landesvorständen erst am Mittwochabend um 20.30 Uhr bei einem kurzfristig anberaumten Videocall mitgeteilt. In den Landesverbänden sei man teils überrumpelt worden. Mit Omid Nouripour und Ricarda Lang habe sich der GJ-Vorstand vorher abgestimmt und den Noch-Parteivorsitzenden bei ihrer Rücktrittserklärung den Vortritt gelassen.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Luise Schmiedichen vom Landesvorstand der GJ Sachsen ist über den internen Umgang mit der Entscheidung enttäuscht, sagte sie gegenüber »nd«. »Aus linker Perspektive lässt sich dieser Schritt sehr gut nachvollziehen.« Es sei ein konsequenter Schritt, der die Mitglieder des Bundesvorstands betreffe. »Auf persönlicher Ebene finde ich den Umgang des Bundesvorstands mit den Landesverbänden sehr schwierig.« In den sozialen Medien unterstützen aber auch viele GJ-Mitglieder den Schritt des Vorstands.

Auch in der Mutterpartei stößt der Austritt auf ein geteiltes Echo. Zahlreiche jüngere Grünen-Politiker*innen betonten in den sozialen Medien ihre Verbundenheit zur Jugendorganisation und bedauerten die Austritte. Die Münchner Bundestagsabgeordnete Jamila Schäfer etwa erklärte, sie verstehe den Frust, »aber nicht den Weg«. Es brauche »gerade jetzt« eine selbstbewusste Jugend, die sich in die Debatten in der Partei einmischt. Katharina Henneberger, mit der Klimagerechtigkeitsbewegung verbundene Bundestagsabgeordnete der Grünen, schreibt an die Adresse der Ausgetretenen, »lasst uns weiter in Kontakt bleiben und versuchen, neue Banden zu bilden«. Vom »nd« gefragt, was die Austritte für Partei und Fraktion bedeuten, erklärte Henneberger, man müsse sich »kritisch damit auseinandersetzen«, wie man die GJ »besser in Entscheidungsprozesse involvieren« könne. »Mehr Zusammenarbeit, nicht weniger« müsse jetzt die Antwort sein.

Was sich aus dem Aufruf der Grünen Jugend ergibt, bleibt abzuwarten. Vor einigen Jahren schlossen die österreichischen Grünen, nachdem es eigentlich einen Streit über Hochschulpolitik gab, ihren Jugendverband aus. Dieser wechselte dann zur KPÖ und wird allgemein als mitverantwortlich für deren Erfolge in der jüngsten Zeit betrachtet. In Deutschland verließen die Jungdemokraten 1982 die FDP, nachdem diese für die Kanzlerschaft von Helmut Kohl gesorgt hatte. Als JungdemokratInnen/Junge Linke war der Jugendverband linkspolitisch aktiv und führte Kampagnen und Bildungsangebote durch. Seit 2013 ist nur noch der Berliner Landesverband aktiv.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.