Antifaschistische Suchbewegungen

Die Tagung »Was war Faschismustheorie?« befasste sich mit historischen Formen – und suchte dabei auch ein Verständnis der Gegenwart

Die »Nazi-Mutter« mit Kind in den 1930er Jahren: Auch dieses Phänomen versuchten Faschismustheorien zu erklären.
Die »Nazi-Mutter« mit Kind in den 1930er Jahren: Auch dieses Phänomen versuchten Faschismustheorien zu erklären.

»Warum wollen wir unsere eigene Unterwerfung?« So lautete eine Leitfrage des Workshops »Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung«, der Mitte September am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) stattfand. Ob diese Frage wirklich den Kern faschistischer Vergesellschaftung trifft, sei zunächst dahingestellt. Die Bemühungen der Organisatoren jedenfalls, das Thema Faschismus auch im bürgerlichen Wissenschaftsbetrieb zu platzieren, reagieren auf eine drängende Frage unserer Zeit. Entsprechend bildete die gegenwärtige globale Faschisierung, trotz der Schwerpunktsetzung auf die historische Dimension, das erklärte Erkenntnisinteresse des Workshops. Anders als es der – für den Wissenschaftsbetrieb typisch intellektualistische – Untertitel vermuten ließ, wurde am KWI mit klarem politischen Anliegen und letztlich auch mit Blick auf eine antifaschistische Praxis diskutiert. Zumindest die Abendveranstaltung war tatsächlich für ein allgemeines Publikum geöffnet. Auch (leider immer noch) bemerkenswert: ein hoher FLINTA-Anteil und viele politisch Aktive unter den Referent*innen, dafür kaum Professor*innen.

Braucht es eine Systematik?

Aufgebaut war der Workshop aus fünf Panels, welche die historische Dimension mit der normativen verbanden: »1919–1933: Erste Erklärungen eines neuen politischen Phänomens«, »Um 1968: Warum wird man Faschist*in?«, »1964–2024: Über den historischen Faschismus hinaus«, »1955–1991: Geschichtswissenschaft & Faschismustheorie: Eine komplizierte Beziehung« und »1974 ff.: Der Faschismusbegriff im kulturellen Leben der Bundesrepublik«. Die Spezifik der gewählten Zeiträume wurde nicht in allen Fällen plausibilisiert und schien eher der Notwendigkeit geschuldet, die verschiedenen Forschungsprojekte der Referent*innen nachträglich zu systematisieren. Denn so politisch das Thema auch sein mag, der Workshop steht dennoch im Kontext der Wissenschaft als Arbeitsplatz. Dass die historischen Faschismustheorien nicht systematisch vorgestellt und diskutiert wurden, hängt sicher auch mit dieser Tatsache zusammen.

Hilfreich in Hinblick auf eine Systematisierung der Faschismustheorien nach dem Holocaust und dem Zweiten Weltkrieg war der Vortrag von Fernando Esposito (Universität Konstanz), der allerdings erst im vierten, also vorletzten Panel stattfand. Unter dem Titel »Faschismustheorie und Modernekritik« präsentiert Esposito »drei Vignetten« aus der Geschichte der Faschismustheorie. Die erste Vignette bestand in einem »Buch der Stunde Null«, die 1949 erschienene »Dialektik der Aufklärung« von Theodor W. Adorno und Max Horkheimer, und die damit einhergehende »Konstitution der Faschismustheorie« im Rahmen des »Aufstiegs der Soziologie zur Leitwissenschaft« in der Nachkriegs-BRD. In der Politisierungsbewegung der 1960er und 70er Jahre, maßgeblich vorangetrieben durch die Studentenbewegung, habe die Faschismustheorie als »eine Art Brücke zur Gesellschaftskritik« fungiert, die in jener Zeit stark kapitalismuskritisch ausgerichtet war. Der richtige Hinweis auf die Verbindungen jener Faschismustheorien mit antirassistischer und antikolonialer Theoriebildung, etwa bei Herbert Marcuse und Angela Davis, durchbrach zumindest im Ansatz den – auch in einem Pausengespräch bereits kritisierten – Eurozentrismus des Workshops: Was ist mit China, Japan, dem Trikont?

Die zweite Vignette befasste sich unter Rückgriff auf das Werk »Modernity and the Holocaust« (1985) des britischen Soziologen Zygmunt Baumann mit den Entwicklungen der 1980er Jahre: Hier sei in der Faschismusdebatte zunehmend der Begriff der Moderne an die Stelle des Kapitalismus getreten; auch Baumann habe sich »von der Kapitalismuskritik abgewandt«. Die dritte Vignette bildete die anglophone Faschismusforschung und ein angenommener »Herbst der Theorie« in den 1990er Jahre ab, die weniger von Theoriebildung geprägt gewesen seien als von der Erzählung teils stark ästhetisierter »Faschismusgeschichten« aus (vermeintlicher) historischer Distanz.

Eingeleitet hatte Esposito seinen Vortrag mit einem Zitat des französischen Postmarxisten Jean-François Lyotard aus dem Jahr 1986: »Jede der großen Emanzipationserzählungen … ist in den letzten fünfzig Jahren sozusagen in ihrem Prinzip verstümmelt worden«. Vor dem Hintergrund dieser Wahrheitsskepsis, der Signatur der Postmoderne, ist dann auch die vom Referenten später aufgeworfene Frage zu betrachten, ob der gegenwärtigen Wissenschaft eigentlich eine »Makrotheorie« zur Erklärung unserer Gegenwart fehle, mit der auch der aktuelle Faschismus erklärt, beziehungsweise verstanden werden könnte.

Dies wiederum führt mich zurück zur These der Organisatoren, eine geschlossene Faschismustheorie sei gar nicht notwendig, im Gegenteil würden gerade die formalen und inhaltlichen »Sollbruchstellen«, die titelgebenden Heterodoxien innerhalb der Theoriebildung dem Gegenstand gerecht. Genauer betrachtet wurde diese These gleich im ersten Panel von Caroline Adler (Universität Hamburg), unter dem Titel »Faschistische Armaturen. Walter Benjamins Theorien des deutschen Faschismus«. Sie bezog sich hier allein auf Benjamins publizistisches Werk, das tatsächlich per definitionem kein geschlossenes Theoriegebilde darstellt, sondern tagesaktuell intervenierte.

In der Beschäftigung mit explizit politischen Texten Benjamins wäre die Auseinandersetzung mit dem Essay »Der Autor als Produzent« interessant gewesen, verfasst als – vermutlich letztlich nie gehaltene – »Ansprache im Institut zum Studium des Fascismus in Paris am 27. April 1934«. Darin entwirft der marxistische Philosoph unter anderem eine antifaschistische Handlungsanweisung für Intellektuelle, deren Diskussion gerade diesem Workshop beziehungsweise den Teilnehmenden gut zu Gesicht gestanden hätte. Für Benjamin war klar: Faschismustheorie hat Kapitalismuskritik zu sein. Diese Tatsache wurde auf dem Workshop immerhin rege diskutiert, aber auch zurückgewiesen: »Ist es denn überhaupt eine Faschismustheorie, wenn sie so allgemein ist? Wir wollen ja nicht die Welt verändern, nur eine Faschismustheorie entwickeln.« Wie sich dieser Defätismus zu Max Horkheimers Diktum verhält, »Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen«, sei den geneigten Leser*innen überlassen.

Braucht es eine Patriarchatskritik?

Viel berechtigte Aufmerksamkeit erhielt der patriarchale Aspekt des Faschismus, insbesondere aus psychoanalytischer und trans politischer Perspektive. Es war dieser Ansatz, mit dem die Frage nach dem »Warum« der persönlichen Faschisierung untersucht wurde. Besonders hervorzuheben sind hier die Beiträge »Die Nazi Mutter. Zur Geschichte und Wirkmächtigkeit einer Fantasie« von Yanara Schmacks (The Graduate Center, CUNY) und »Verfallsphantasien. Faschismus und Trans Panic« von Maxi Wallenhorst (Leuphana-Universität Lüneburg). Wallenhorst sprach über das rechte Feindbild Trans-Identitäten, ein wichtiges Versatzstück in dem notwendigerweise geklitterten faschistischen Weltbild. Unter dem Kampfbegriff »Gender-Ideologie« versammele sich die zunehmend internationalisierende Rechte. Die Diffamierung von trans Personen als »degeneriert« in diesem Kontext gehöre, so eine Diskussionsbeitrag, demselben Begriffskreis an wie die NS-Vorstellung einer »entarteten« Kunst.

Einen materialistischen Beitrag zu einer aktuellen Faschismustheorie liefert der Begriff der Petromaskulinität.

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Yanara Schmacks befasste sich anhand der Rezeption von nationalsozialistischen Erziehungsratgebern in den 1970er und 80er Jahren mit einem besonderen Aspekt bundesrepublikanischer Vergangenheitsbewältigung: die Diskussion um weibliche Täterschaft. Gegen von Margarete Mitscherlichs Diktum des »Antisemitismus als Männerkrankheit« (1983) bestanden Psychoanalytikerinnen wie Sigrid Chamberlain und Ute Benz darauf, dass auch Frauen im NS Täterinnen waren. Anhand der unreflektierten Reproduktion des »Phantasmas der kalten Mutter« verwies die Referentin hier aber ganz richtig auf die auch von den »68er«-Frauen verinnerlichte Misogynie. Ein Diskussionsbeitrag stellte hier einen Bezug zur DDR her, die übrigens ansonsten, ebenso wie die anderen »nicht-westlichen« Staaten, im Workshop eine Leerstelle bildete: Nicht nur die »Nazimutter«, sondern auch die sozialistische Frau, berufstätig und deshalb abwesend, sei in der BRD als »kalte Mutter« inszeniert worden, der die westlich-demokratische Frau als positives Gegenbild gegenüberstehe; so seien die Ex-DDR-Bürgerinnen etwa noch in den 1990ern für das Erstarken des Rechtsradikalismus im Osten verantwortlich gemacht worden. In den 1990er und 2000er Jahren, so Schmacks, habe die Fokussierung auf problematische NS-Mütterlichkeit vor allem der (misogyn fundierten) Schuldabwehr gedient: Anstelle der politisch-gesellschaftlichen Schuld gegenüber den NS-Opfern stehe die familiäre Schuld der Frau gegenüber dem eigenen Kind.

Einen brauchbaren materialistischen Beitrag zu einer aktuellen Faschismustheorie liefert der Begriff der Petromaskulinität, der in den psychoanalytisch informierten Beiträgen zuerst fiel. Sie bezeichnen die starke männliche Dominanz unter den rechten Bewegungen, die von der Leugnung der Klimakrise bei Verteidigung eines fossilen Lebenswandels, Verschwörungstheorien und Antifeminismus«. Mit dem Bezug auf Fossilität und das fortbestehende Patriarchat beschreibt Petromaskulinität reale Elemente der aktuellen kapitalistischen Vergesellschaftung – beziehungsweise ihrer Krisen, insbesondere in der Klimakrise, die ja alle anderen derzeitigen Krisen ebenso grundiert wie einschließt. Vor diesem Hintergrund wird klar: »Warum wollen wir unsere eigene Unterwerfung?« ist eigentlich die falsche Frage. Umgekehrt wird ein Schuh draus: Nicht die Unterwerfung ist das Begehren, das der Faschismus erfüllt, sondern das Erleben von Handlungsfähigkeit; die Unterwerfung anderer anstelle des Erlebens der eigenen Ohnmacht. Das Aufgehen in der völkischen Masse wird so lange ein attraktives Angebot sein, wie es die Klassengesellschaft gibt. Zu diesem Wesen des Faschismus lieferte der Workshop am KWI, auch wenn er sich eines normativen Zugangs letztlich enthielt, doch wichtiges Anschauungsmaterial.

Der Workshop »Was war Faschismustheorie? Epistemologie, Poetik und Medialität einer heterodoxen Gattung«, organisiert von Morten Paul und Stephan Höhne, fand vom 18. bis 20. September am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) statt.

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