DDR und China: Die Diplomaten

75 Jahre China – 75 Jahre DDR. Eine Entdeckung im Reich der Mitte

  • Frank Schumann
  • Lesedauer: 6 Min.
Blick in die Ausstellung im Rabe-Museum von Nanjing
Blick in die Ausstellung im Rabe-Museum von Nanjing

Neun Fotografien an einer Wand. Kein Zufall. Neun steht in der chinesischen Zahlenmythologie für langlebiges, irdisches Glück. Auch für den Kaiser, den vom Himmel Gesandten. Acht Bilder zeigen bundesdeutsche Kanzler beim Shakehands mit Chinas führenden Politikern, das neunte Motiv rechts außen in der untersten Reihe wirkt neben all diesen »Kaisern« unauffällig und unscheinbar. Nur der Begleittext entschlüsselt den Inhalt des Gruppenbildes vor der chinesischen Flagge: »Johannes König und die von ihm geleitete Diplomatische Mission der DDR beim Vorsitzenden Mao Zedong. Der deutsche Missionschef tritt am 24. Juni 1950 offiziell seinen Dienst in China an.«

Ich erinnerte mich einer Anfrage vor zwei Jahren. Man bat mich, etwas über die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Deutschland und China vor 50 Jahren mitzuteilen. Das lehnte ich mit dem Hinweis ab, dass diese Beziehungen weitaus älteren Datums seien. Für mich war und ist auch die DDR Deutschland. Und die DDR hatte bereits unmittelbar nach ihrer Konstituierung am 7. Oktober 1949 die eine Woche zuvor gegründete Volksrepublik China anerkannt. Nun, der Blick der anfragenden Redaktion reichte nur bis zum Harz und in das Jahr 1972, weshalb sich das Thema für mich erledigt hatte.

Johannes König kam aus Arnstadt, und als die DDR ihn zum Leiter der diplomatischen Mission machte, war er 47 und Chefredakteur der »Sächsischen Zeitung« in Dresden. Für die Aufgabe in China qualifizierte ihn ein mehrjähriger Aufenthalt in Shanghai, wohin er mit seiner jüdischen Frau Anfang 1939 emigriert war. Dort hatte er als Korrespondent für die sowjetische Nachrichtenagentur TASS gearbeitet und nebenbei auch als politischer Leiter der KPD in der südchinesischen Hafenstadt.  

Für Mao war die DDR Deutschland.

Die chinesische Seite äußerte intern wiederholt Unmut darüber, dass sowjetische Funktionäre auf diese und andere Weise sich in ihre Beziehungen mit der DDR einmischten. Im April 1950 hatte der sowjetische Botschafter in Beijing dem DDR-Außenminister »im Namen der Zentralen Volksregierung der Chinesischen Volksrepublik« mitgeteilt, dass diese bereit sei, »Herrn Johannes König als Diplomatischen Vertreter der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik in der Chinesischen Volksrepublik zu empfangen«. Moskau entschied also auch diese Kaderfrage nach Gutsherrenart. Die chinesische Führung war jedoch an direkten Beziehungen zu Berlin interessiert, ohne den Umweg über Moskau. Zum Empfang in der Mission am 7. Oktober 1951, dem zweiten Jahrestag der DDR, waren 180 Gäste gekommen, darunter Zhou Enlai und viele weitere Regierungsmitglieder sowie Pablo Neruda mit Frau und Julius Fuciks Witwe, die das KZ Ravensbrück überlebt hatte; ihr Mann, ein berühmter tschechischer Schriftsteller, war 1943 in Berlin-Plötzensee ermordet worden. Auch Song Quingling, die Witwe des 1925 verstorbenen Präsidenten Sun Yat-sen, dem »Vater der Nation«, war erschienen. Zehn Jahre später, als sich die Beziehungen der DDR zu China wegen des chinesisch-sowjetischen Konflikts verschlechterten, verbuchte es die Botschaft bereits als großen Erfolg, wenn ein Vize-Außenminister zu einem Empfang in die DDR-Vertretung kam.

1950 schien die DDR noch ein Interregnum zu sein, Volkskammer und Regierung trugen das Adjektiv »provisorisch«. Drei Jahre später stellte Moskau die DDR zur Disposition, um die Einbindung der Bundesrepublik in das westliche Bündnissystem zu verhindern. Die chinesische Führung bekannte sich demonstrativ zur DDR. Mao schrieb im Oktober 1953 an den »teuren und großen Freund« Wilhelm Pieck, den Präsidenten der DDR, dass er »die freundschaftlichen Beziehungen, die in so glücklicher Weise zwischen der Volksrepublik China und der Deutschen Demokratischen Republik bestehen, aufrechtzuerhalten, zu festigen und enger zu gestalten« beabsichtige. Abschließend brachte Mao seinen Wunsch »für das Gedeihen Deutschlands zum Ausdruck«. Mit Deutschland war die DDR gemeint. Aus chinesischer Sicht war die ostdeutsche Republik Vertreterin ganz Deutschlands, denn die Bundesrepublik sollte erst 20 Jahre später die Volksrepublik diplomatisch anerkennen.

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Im Bericht an das Außenministerium in Berlin über die Akkreditierung wurde hervorgehoben, dass König und die anderen DDR-Diplomaten »von drei Wagen des Vorsitzenden Mao Zedong von der Botschaft abgeholt wurden«. Und weiter: »Vor dem Eingang zum Amtssitz des Vorsitzenden hatten rechts das Orchester und links eine Ehrenkompanie Aufstellung genommen.« Das mag heutzutage alles ein wenig albern und banal klingen, doch damals – wenige Jahre nach dem Weltkrieg (nebenan in Korea tobte schon der nächste) und angesichts der Tatsache, dass die DDR allenfalls mit einem halben Dutzend Staaten diplomatische Beziehungen unterhielt – war das von eminenter Bedeutung für die junge zweite deutsche Republik. Botschafter König übergab Mao sein Beglaubigungsschreiben und hatte später noch eine etwa anderthalbstündige Unterredung mit Mao in Anwesenheit von Premier Zhou Enlai.

König, der parallel die Interessen der DDR auch in Korea und Vietnam vertrat, sollte 1955 Botschafter in Moskau werden und war seit 1958 in der Mongolei zweitakkreditiert. Nach seiner Rückkehr aus der Sowjetunion 1959 wurde er Vize-Außenminister und im April 1965 als Botschafter nach Prag geschickt. Dort verstarb er im Januar 1966.

Natürlich erzählt das eingangs erwähnte Protokollbild das alles nicht. Es biete aber Anlass, um über den Beginn der deutsch-chinesischen Beziehungen nachzudenken, für deren Entstehung und Entwicklung die DDR viel geleistet hat. Das wird heutzutage gern vergessen.

Dieses und weitere Fotos und Dokumente entdeckte ich in John Rabes Haus in Nanjing. Rabe war in den 30er Jahren Vertreter der Firma Siemens in China. Er gilt in China als der Oskar Schindler Asiens, denn er rettete einigen Hundert Chinesen das Leben. Diese flüchteten in sein, also Siemens’ Anwesen vor den Japanern, die am 13. Dezember 1937 die seinerzeitige Hauptstadt besetzten. Binnen sechs Wochen massakrierten sie etwa 300 000 Menschen in der Stadt. Das NSDAP-Mitglied Rabe berichtete Hitler über diese Barbarei und bat ihn, mäßigend auf Tokio einzuwirken, schließlich hatten beide Staaten Ende 1936 einen Antikominternpakt geschlossen und waren somit auch völkerrechtlich miteinander verbunden. Rabe erhielt keine Antwort aus Berlin, aber nach seiner Rückkehr nach Deutschland 1938 alsbald Auftrittsverbot. Er durfte über die Verbrechen der Japaner, deren Zeuge er in Nanjing geworden war, nicht mehr öffentlich berichten. So verlegte er sich aufs Schreiben, machte aus sechs Tagebüchern eines und hoffte noch immer, Hitler damit zum Umdenken zu bewegen.

Dann ging Hitlerdeutschland unter. Rabe wurde – auch durch den Ausweis seines zutiefst menschlichen Handelns in Nanjing durch chinesische Behörden – 1946 entnazifiziert. Im Jahr darauf schickte Siemens den 65-Jährigen in Rente. Am 5. Januar 1950 verstarb Rabe an den Folgen eines Schlaganfalls in Berlin, er wurde auf dem Luisenkirchhof III am Fürstenbrunner Weg in Westend beigesetzt. Das Grab wäre vermutlich schon längst eingeebnet und der Stein verschwunden, wenn dies nicht die Chinesen verhindert hätten. Der Grabstein befindet sich, wie ich selbst feststellen konnte, seit 1997 in der Nanjinger Massaker-Gedenkstätte. Auf dem Berliner Friedhof steht ein Stein, den Chinesen für das nunmehrige Berliner Ehrengrab gestiftet haben. Dort trifft man sich nicht nur an Jahrestagen.

Das Haus in Nanjing, in dem Rabe von 1932 bis 1938 lebte, gehört heutzutage zur Universität und ist ein Museum. Es wurde mit deutschen Mitteln nach der Jahrtausendwende restauriert und firmiert nun als »Forschungszentrum für Frieden und Versöhnung«. Es gibt dort viel Interessantes zu sehen und zu lesen. »Die Ausstellung versucht, die politischen Fallstricke zu umgehen. Es wird wenig über die japanische Invasion und viel über die internationale Sicherheitszone berichtet. Und an Rabes Nazi-Vergangenheit erinnert nur die Kopie eines ›Entnazifizierungsdokumentes‹«, schrieb die »FAZ« am 1. November 2006 über die Eröffnung. Worin bestanden die »politischen Fallstricke«? Dass die Chinesen die japanischen Invasoren als das bezeichneten, was sie waren: Mörder.

Als Nanking bezeichneten die Kolonisatoren während ihrer Herrschaft die Millionenstadt. Heutzutage trägt die 2500-jährige Metropole wieder den ursprünglichen Namen Nanjing (wie auch Peking Beijing heißt). Überflüssig zu erwähnen, dass die am 21. Mai 1988 vereinbarte Städtepartnerschaft mit Leipzig korrekt »Nanjing« ausweist.  

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