- Wissen
- Dr. Schmidt erklärt die Welt
Das Entscheidende beim Lernen ist Neugier
Je älter man wird, umso schwerer fällt es, ein neues Instrument oder eine neue Sprache zu lernen. Wie hoffnungslos ist es?
Angeblich ist man über 40 nicht mehr so gut in der Lage, etwas gänzlich neues zu lernen.
Ja mit dem Lernen im Alter, sofern man denn über 40 schon als alt sehen mag, ist das so eine Sache. Man müsste überhaupt erst mal klären, was man unter Lernen verstehen möchte. Lernen ist ja nicht einfach das, was wir in der Schule machen. Also irgendwelche Jahreszahlen auswendig lernen, Gedichte oder Vokabeln. Es ist im Kern jede Tätigkeit, wo man aufgrund von gesammelter Erfahrung oder neuen Informationen sein Verhalten verändert. Und das findet natürlich auch bei Menschen statt, die über 40 sind. Manche fangen da sogar noch ein Studium an und schließen es erfolgreich ab.
Vorbildlich! Lebenslanges Lernen ist ja seit einigen Jahren voll wichtig in der Bildungsdebatte.
Lebenslanges Lernen ist schon immer da gewesen. Es ist nur früher nicht so aufgefallen, weil es in manchen Geschichtsperioden eben relativ wenige markante Veränderungen im Berufsleben gab, so dass viele Leute im Grunde genommen ihr ganzes Leben verbringen konnten, ohne für ihren Beruf wesentlich Neues lernen zu müssen. Allerdings gab es eine Situation mit großen technischen und Wissensumbrüchen schon früher, beispielsweise in der Renaissance.
Hast du irgendwas erst in höherem Alter erlernt?
Im Prinzip denke ich mal, ist die größte Umstellung, dass sehr viele Sachen, die man früher mit dem Ausfüllen irgendwelcher Papierformulare erledigt hat, heute am Handy oder am Computer erledigt werden. Das fällt Leuten, die wesentlich älter sind, natürlich sehr viel schwerer. Aber dass man auch im späteren Leben noch viel Neues lernen kann, zeigen zum Beispiel die Generationen der Ostdeutschen, die in den letzten Jahren in Rente gegangen sind. Die mussten nach 1990 erhebliche Lernprozesse hinter sich bringen. Angefangen damit, dass man in einem anderen Gesellschaftssystem natürlich andere Normen beachten muss, sich mit einem anderen Amtsdeutsch rumschlagen muss. Und in unserem Beruf mussten sich die Redakteure innerhalb eines Jahres auf den Computersatz umstellen. Da hatten wir einen Kollegen, der damals in den 1990er Jahren schon in Rente war, aber noch stundenweise am Ratgeber mitgearbeitet hat. Und der hat sich innerhalb seiner letzten Jahre beim »nd« noch auf drei verschiedene Systeme für den Computersatz ziemlich erfolgreich eingestellt. Mit dem Computersatz mussten Redakteure ja plötzlich auch noch die Arbeit der Setzer, teilweise auch der Layouter und Metteure mit übernehmen.
Als Universalgelehrter der nd.Redaktion weiß der Wissenschaftsjournalist Dr. Steffen Schmidt auf fast jede Frage eine Antwort – und wenn doch nicht, beantwortet er eben eine andere. Alle Folgen zum Nachhören auf: dasnd.de/schmidt
Abgesehen vom Beruflichen: Manche Menschen fangen erst als Erwachsene an, ein Instrument zu lernen. Ein Meister wird man dann nicht mehr, oder?
Ob es unbedingt ein neues Musikinstrument sein sollte, ist eine andere Frage. Wenn jemand mit 40 oder 50 anfängt, ein Musikinstrument neu zu lernen, wird er das sicherlich mit ausreichend Übung schaffen. Aber kaum so gut, dass es für eine professionelle Karriere reicht. Das hängt aber auch von dem jeweiligen Musikinstrument ab. Bei Geige und Klavier fangen die meisten Leute, die dann später eine Profikarriere hingelegt haben, schon als kleine Kinder an. Bei den meisten Blasinstrumenten geht es erst deutlich später los. Diejenigen in meinem Bekanntenkreis, die jenseits der 40 neu mit einem Musikinstrument anfingen, hatten früher schon mal ein anderes Instrument gelernt. Aus einem Bericht kenne ich noch den Fall eines Vaters, der mit 50 angefangen hat, Schlagzeug zu lernen, weil sein Sohn zu dem Zeitpunkt das gleiche machte.
Also für den eigenen Spaß ist es nie zu spät.
Das größte Problem bei Musik ist übertriebener Ehrgeiz und übertriebene Selbstkritik. Man darf sich nicht mit irgendwelchen professionellen Ansprüchen selbst unter Druck setzen. Das ist wahrscheinlich der Punkt, wo sich das Musikmachen im 20. und 21. Jahrhundert von vergangenen Jahrhunderten unterscheidet. Wenn jemand im 18. und 19. Jahrhundert angefangen hat, ein Instrument zu lernen oder zu singen, dann war der Maßstab des Könnens der Bekanntenkreis. Heute kennt man von praktisch jedem Stück gleich mehrere hervorragende Tonaufnahmen. Solche Vorbilder sind aber kaum erreichbar. Und das dürfte viele, die vielleicht die Idee haben, doch mal mit irgendeinem Musikinstrument anzufangen, bremsen.
Was ist eigentlich die Herausforderung, wenn man ein Musikinstrument lernt? Die Noten, die Technik?
Da stecken immer auch feinmotorische Abläufe drin, die herausfordernd sind. Es gibt Untersuchungen über Leute, die schon seit ihrer Kindheit Geige geübt haben. Da laufen viele Einzelbewegungen dann gar nicht mehr bewusst durchs Gehirn. Denn es würde bei komplizierten Sachen zu lange dauern, wenn die erst die Noten lesen, die dann durchs Gehirn zu den Muskeln gehen, die den Bogen halten und die Saiten greifen. Das würde länger als das Stück dauern. Deswegen sind durch das viele Üben bestimmte motorische Vorgänge eben schon sehr stark automatisiert. Das gilt ja für viele einfachere Sachen auch. Radfahren zum Beispiel oder Schwimmen. Das sind motorische Abläufe, wenn man die erst mal gelernt hat, dann sitzen die ziemlich fest. Wenn man die längere Zeit nicht gemacht hat, sind sie noch da. Wenn man dagegen eine Fremdsprache längere Zeit nicht benutzt hat, dann ist es schon mit einigem Aufwand verbunden, die wieder zu aktivieren.
Angeblich sollen neue Fremdsprachen das Gehirn besonders ankurbeln.
Vermutlich. Aber ein vernünftiges Maß für das, was man erreichen will und kann, ist auch bei Sprachen nötig. Sonst traut man sich gar nicht erst. Inzwischen gibt es auch bei Fremdsprachen immer mehr Seniorenangebote. Und klar, wenn die Teilnehmer schon in der Schule Französisch hatten und jetzt nur ihre Kenntnisse auffrischen, fällt denen das leichter. Eine gänzlich neue Fremdsprache ist aber auch jenseits der 40 noch lernbar. Ein Freund von uns wanderte mit Familie nach Norwegen aus. Natürlich waren seine Kinder schneller fit in der Landessprache, aber er hat das auch gemeistert – neben der Arbeit. Allerdings ist das eine echte Herausforderung. Das sehe ich bei den Deutschkursen für Flüchtlinge, von denen meine Frau erzählt. Wenn Leute schon über 60 sind, ist es sehr schwer. Leichter ist es dann, wenn sie schon mal das Lernen selber gelernt haben. Wer also länger zur Schule gegangen ist, ist im erheblichen Vorteil. Das ist von uns aus immer schwer vorstellbar, aber in vielen Ländern der Erde ist es immer noch so, dass Leute, die vom Land kommen und nicht zu den Wohlhabenden zählen, oft keine größere formelle Bildung erlangen und demzufolge auch mit Techniken des Lernens sehr wenig vertraut sind.
Abgesehen von der Vorbildung. Was macht Lernen mit zunehmendem Alter schwerer? Machen die grauen Zellen schlapp, ist das Hirn schon voll?
Dass hat sicherlich viele Gründe. Von der neurologischen Seite ist das alles aber noch nicht so richtig präzise untersucht, glaube ich. Dass Lernen und die ganze Gedächtnisleistungen recht eng mit dem Belohnungssystem im Gehirn zusammenhängen, so viel weiß man immerhin. Und dass der Botenstoff Dopamin eine ziemlich wichtige Rolle spielt. Wenn im Alter – was durchaus häufig der Fall ist – die Dopaminproduktion im Gehirn abnimmt, kann das ein Grund sein, dass das Gehirn entsprechend weniger gut lernt. Vielleicht kann man diesen Trend der Dopamindefizite auch umdrehen, indem man Neues lernt. Da geht's eben nicht bloß um Kreuzworträtsel und Sudoku. Es muss das Hirn etwas stärker beanspruchen, dass dann möglicherweise auch die Dopaminproduktion wieder etwas Schwung bekommt. Aber das ist soweit ich sehen konnte, nicht mit allzugut mit Studien gestützt.
Was ja wohl stimmt: Wer sein Gehirn nicht mehr fordert, altert schneller. Was ist von Ratschlägen wie »Putzen Sie Ihre Zähne heute mal mit der anderen Hand als üblich« zu halten?
Generell sagen viele, die sich mit Lernprozessen beschäftigen, dass es sehr schlecht für die Lernfähigkeit ist, wenn man zu sehr an irgendwelchen Routinen hängt. Also Dinge immer mal neu angehen. Aber das Entscheidende bei allen Lernprozessen schon in der Schule ist Neugier. Wenn man neugierig bleibt und motiviert ist, schafft man auch in fortgeschrittenem Alter so manches, was jüngeren schwer fiel, weil sie eben gerade gar nicht motiviert waren. Schönes Beispiel ist dafür eigentlich der Russisch- oder Englischunterricht in der DDR. Russisch war für die meisten nur schwierig und eher uninteressant. Was sie gerne hören und lesen wollten, war eher nicht auf Russisch. Umgekehrt brachte Englisch für die meisten bestenfalls ein besseres Verständnis von Pop-Texten. Für den praktischen Gebrauch aber war es auch zweitrangig, denn lange war für die meisten kaum absehbar, dass sie jemals Englisch im praktischen Leben würden brauchen.
I know. You are so right.
Insofern ist die spannende Frage eigentlich immer, ob man sich etwas zutraut und ob man das Gefühl hat, es wäre gut und schön, was Neues zu lernen. Wenn das nicht ist, dann passiert eh nichts.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.