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Rebellion in Lederhosen
»Wilde Bühne«: In Leipzig erinnert ein Theaterprojekt an jugendliche Opposition in der NS-Zeit
In der NS-Zeit konnten auch bunte, karierte Skihemden und knappe Lederhosen ein Zeichen der Rebellion sein. Diese Kleidung trugen junge Menschen in Leipzig, die damit in den 30er Jahren schon rein äußerlich auf Abstand zum Einheitsbraun der Nazi-Uniformen gingen. Dem Repressionsapparat des NS-Staats sei die unangepasste »Gleichtracht«, zu der teils auch rote Halstücher gehörten, ein Dorn im Auge gewesen, sagt der Historiker Sascha Lange: »Wiederholt sprach die Gestapo Trachtenverbote aus.«
Die bunten Hemden und Lederhosen waren Erkennungszeichen der Meuten: Gruppen von jungen Menschen, die es in vielen Leipziger Stadtteilen gab. Sie trafen sich in Kneipen und auf Plätzen, teils fuhren sie gemeinsam an Badeseen oder aufs Land. Schätzungen zufolge gehörten den Meuten, von denen es eine sehr große Zahl gab, rund 1500 Jugendliche an. 400 sind namentlich bekannt. Lange spricht von der »größten informellen Jugendbewegung in Deutschland in jener Zeit«.
Ähnliche unangepasste Jugendgruppen gab es auch in anderen deutschen Städten. Zu den bekanntesten gehörten die Edelweißpiraten in Köln und anderswo im Ruhrgebiet. Während diese eher unpolitisch waren, handelte es sich in Leipzig um Arbeiter und Lehrlinge mit einem oft »linkssozialistischen« Selbstverständnis, sagt Lange. Gleichwohl waren die Meuten keine vordergründig politischen Gruppierungen. Zwar wurden teilweise Flugblätter verteilt oder Mitglieder und Heime der Hitlerjugend angegriffen. Im Kern aber ging es eher um Unangepasstheit als expliziten Widerstand. »Der kleinste gemeinsame Nenner war, selbstbestimmt die Freizeit verbringen zu wollen«, sagt Lange.
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In der auf Gleichschaltung ausgerichteten Diktatur wurde auch das indes als Verweigerung gedeutet, die hinzunehmen das System nicht bereit war. Ab 1938 gab es Verhaftungen und Anklagen, teils wegen Vorbereitung zum Hochverrat. »Von rund 90 Jugendlichen wissen wir, dass sie angeklagt wurden«, sagt Lange. Viele mussten ins Gefängnis oder in ein Jugendheim.
Trotz des beachtlichen Ausmaßes jugendlicher Verweigerung gegenüber dem NS-Staat in Leipzig sind die Meuten in der Stadt bis heute wenig bekannt. In der DDR seien sie »kein Teil der Erinnerungskultur« gewesen, sagt Lange. Dort stand der kommunistische Widerstand im Fokus. Erst 1987 interviewte eine Geschichtsstudentin aus Rostock einige Zeitzeugen. Später sprach auch Lange mit einstigen Meuten-Mitgliedern, sichtete Protokolle der Gestapo und Akten von Gerichten. Seine Publikationen gelten heute als Standardwerke zum Thema, dem mittlerweile auch das Jugendbuch »Bis die Sterne zittern« von Johannes Herwig gewidmet war und das 2019 in zwei Inszenierungen am Schauspiel Leipzig und dem Theater der Jungen Welt (TDJW) aufgegriffen wurde.
In dem Haus widmet man sich dem Stoff jetzt erneut: in einem Projekt mit dem Titel »Sounds of Resistance«, das seit Juni läuft und im Frühjahr 2025 im ersten Leipziger Erinnerungsort für die Meuten münden soll. Dass ein solcher entstehen soll, hatte das Jugendparlament der Stadt beantragt; der Stadtrat fasste 2022 einen entsprechenden Beschluss und stellte Geld bereit. Mit der Umsetzung wurde das TDJW beauftragt, das für die inhaltliche Vorbereitung auch finanzielle Unterstützung von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung, Zukunft erhält.
Das Projekt, bei dem sein Haus mit der Deutschen Oper am Rhein in Duisburg kooperiere, habe drei Ziele, sagt Dramaturg Florian Heller. Zum einen soll gemeinsam mit einer Gruppe Leipziger Jugendlicher ein »erinnerungskulturelles Musiktheaterprojekt« erarbeitet werden, für das der renommierte Regisseur Schorsch Kamerun gewonnen wurde. Die Leipziger Premiere von »Wilde Bühne: Meuten Memorial Movement« ist für den 25. April 2025 auf dem Lindenauer Markt geplant. In Duisburg feiert eine Inszenierung namens »House of Resistance« als szenisches Konzert am 8. Mai 2025 Premiere. In Leipzig soll zudem der Erinnerungsort auf dem Lindenauer Markt direkt vor dem Theater eingeweiht werden. Und schließlich soll bis Mai 2025 ein Klangarchiv entstehen, das Schulklassen und anderen Gruppen die Befassung mit den Meuten auch unabhängig von konkreten Orten ermöglicht.
Ein passenderer Ort als das TDJW hätte sich für das Thema kaum finden lassen. Zum einen sind es vom Theater nur wenige Meter bis zur Georg-Schwarz-Straße, deren unteres Ende in den 30er Jahren wegen zweier Kinos, Kneipen und Eiscafés als »Reeperbahn« bekannt war. Sie war Treffpunkt für die gleichnamige Meute, eine der größten in der Stadt mit bis zu 100 Jugendlichen. Sie hätten, schreibt Lange, mit erheblichem Selbstbewusstsein den »öffentlichen Raum in ihrem Wohnviertel behauptet und sich gegen die Staatsjugend behauptet«. Erst eine groß angelegte Razzia im Juni 1939 setzte dem ein Ende.
Zum anderen biete das Thema Meuten für die Jugendlichen, mit denen das Theater bei dem Projekt zusammenarbeitet, viele aktuelle Anknüpfungspunkte, sagt Florian Heller. Interessant sei etwa, wie Jugendkultur vor 90 Jahren und in späteren Jahrzehnten ausgelebt worden sei und welche Rolle bestimmte Dresscodes dafür gespielt hätten: »Ich kann mich an Zeiten erinnern, als man die Gesinnung an der Schnürsenkelfarbe erkannte.« Spannend sei auch, wie wichtig der öffentliche Raum für die Meuten gewesen sei und wie sich das seither verändert habe: »Heute hat sich das womöglich weitgehend in den digitalen Raum verlagert.«
Ronja Kindler wiederum, Theaterpädagogin im Meuten-Projekt, findet die Frage interessant, »was es braucht, um den Mut aufzubringen, sich einzusetzen«, und welche Rolle Gruppen spielen, wenn es darum gehe, politische Haltung zu zeigen. Das sei auch für heutige Jugendliche eine »sehr zeitgemäße« Frage. Rebelliert wird dabei freilich aus ganz unterschiedlichen Motiven; das Spektrum reicht von Klimaklebern bis zu jungen Nazis, die sich im Widerstand gegen das verhasste System sehen. Dass diese das Meuten-Projekt vereinnahmen könnten, fürchten die Theatermacher aber nicht. »Wir vertreten eine politische Haltung, die Demokratie und Menschenrechte in den Mittelpunkt stellt«, sagt Kindler. Das TDJW, fügt Heller hinzu, sei »kein Ort, an dem sich Leute mit gefestigtem rechtem Weltbild wohlfühlen würden«.
Für den Dramaturgen und seine Kollegen hält das Projekt einige Herausforderungen bereit. So ist die Geschichte der Meuten kaum geeignet, um über einzelne Protagonisten erzählt zu werden. Es handle sich um ein Gruppenphänomen mit sehr unterschiedlichen Akteuren, von denen viele noch nicht genauer bekannt sind. »Ich halte es nicht für möglich und ratsam, das an Einzelbiografien darzustellen«, sagt Lange. Heller ist überzeugt, dass die künftige Inszenierung eher auf »Vielstimmigkeit« setzt: »Dafür ist Schorsch Kamerun ja ohnehin bekannt.«
Eine spannende Frage ist auch, wie das künftige »Memorial« für die Meuten aussehen könnte. Einen klassischen Gedenkort mit Stele und Schrifttafel hielten weder der Historiker noch die Theaterleute für passend. Ronja Kindler hofft auf einen »lebendigen Erinnerungsort, der junge Leute und Anwohner zur Partizipation einlädt«. Und Sascha Lange sagt, er würde es zwar »sehr begrüßen«, wenn die Meuten »stärker im kollektiven Gedächtnis von Leipzig verankert« würden. Dazu brauche es aber nicht unbedingt einer »Visualisierung im Stadtbild«. An den Wendeherbst 1989 werde mit einem jährlichen Spaziergang um den Ring erinnert. Der Jugendopposition in der NS-Zeit könne womöglich auch mit einem jährlichen Festival gedacht werden. Bunte Skihemden und Lederhosen müssen dabei ja nicht unbedingt getragen werden.
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