• Politik
  • Bündnis Sahra Wagenknecht

BSW: Scharfe Angriffe gegen Thüringer Abweichler

Parteispitze macht Front gegen Funktionäre in Thüringen – bis hin zu indirekten Ausschlussdrohungen

Nicht mehr einträchtig bester Laune: Thüringer BSW-Vorsitzende Steffen Schütz und Katja Wolf sowie Parteigründerin Sahra Wagenknecht
Nicht mehr einträchtig bester Laune: Thüringer BSW-Vorsitzende Steffen Schütz und Katja Wolf sowie Parteigründerin Sahra Wagenknecht

Im Bündnis Sahra Wagenknecht ist die erste schwere Auseinandersetzung ausgebrochen. Nachdem sich das Thüringer BSW im Rahmen der Sondierungsgespräche für eine künftige Landesregierung mit CDU und SPD auf eine Formulierung zu den Fragen von Krieg und Frieden geeinigt hat, reagierte die Bundesebene des BSW mit scharfer Kritik.

So hat die Parteivorsitzende Wagenknecht die Erfurter Einigung als Fehler bezeichnet. Die Formulierung bleibe in der Frage von Krieg und Frieden »leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück«, erklärte sie gegenüber dem »Spiegel«. Wagenknecht hatte schon vor den Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg eine kritische Positionierung zur Haltung der deutschen Regierung in Sachen Ukraine-Krieg zur Bedingung einer Regierungsbeteiligung gemacht. Das hatte sie in persönlichen Gesprächen bekräftigt, zu denen die CDU-Politiker Voigt und Kretschmer und der SPD-Politiker Woidke nach Berlin gereist waren.

In Thüringen hatten die Verhandler von CDU, BSW und SPD nach langwierigen Verhandlungen zu Wochenbeginn eine mögliche Präambel für einen Koalitionsvertrag vorgestellt. Darin heißt es, viele Menschen im Land würden die angekündigte Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland als Abschreckung gegen Russland kritisch sehen. Bürger im Freistaat sähen die Stationierung kritisch. Zugleich werden die unterschiedlichen Positionen der beteiligten Parteien skizziert. So heißt es, dass CDU und SPD sich »in der Tradition der Westbindung und Ostpolitik« sehen. Das BSW stehe »für einen kompromisslosen Friedenskurs«. Zu Thema Waffenlieferungen an die Ukraine werden unterschiedliche Auffassungen konstatiert. Damit fehlt in dem Papier ein klares Nein zur Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland ebenso wie ein klares Nein zu deutschen Waffenlieferungen an die Ukraine. Beides hatten sowohl Wagenknecht als auch die Thüringer BSW-Leute immer verlangt.

Dagegen heißt es in einer entsprechenden Vereinbarung zwischen SPD und BSW in Brandenburg, dass beide Parteien – nicht nur die Bürger wie in Thüringen – eine Raketenstationierung kritisch sehen. Man wolle sich für eine diplomatische Lösung »durch Verhandlungen mit den Konfliktparteien mit dem Ziel von Waffenstillstand und dauerhaftem Frieden« einsetzen. Und weiter: »Der Krieg wird nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden können.« Eine Formel, die den Forderungen Wagenknechts weiter entgegenkommt. Deren Kritik an den Thüringern hat sich das sächsische BSW angeschlossen, das ebenfalls in Sondierungen mit CDU und SPD steht.

Schon zuvor hatte Sahra Wagenknecht persönlich mehrfach in die Thüringer Verhandlungen eingegriffen und die eigenen Leute zurückgepfiffen. Unter anderem hatte das Thüringer BSW eine Einigung der drei Parteien zur sogenannten Friedensformel bestätigt und nur Stunden später wieder zurückgenommen, nachdem sich BSW-Vertreter aus Berlin einer Fraktionssitzung in Erfurt zugeschaltet hatten.

Dass die Thüringer BSW-Verhandler hinter den Erwartungen Wagenknechts zurückgeblieben sind, löst nun scharfe Reaktionen in der noch jungen Partei aus. Dabei werden andere BSW-Funktionäre offenbar in einem Spiel mit verteilten Rollen deutlicher als Wagenknecht. In einem Gastbeitrag für das Portal T-online fahren der BSW-Bundesschatzmeister Ralph Suikat und die Parlamentarische Geschäftsführerin der BSW-Gruppe im Bundestag, Jessica Tatti, eine scharfe Attacke gegen die beiden Thüringer Landesvorsitzenden Katja Wolf und Steffen Schütz. Diese seien »auf dem besten Weg, das BSW zu einer Partei zu machen, von der es nicht noch eine braucht«, schreiben sie. Sie werfen Wolf und Schütz »einen schweren politischen Fehler« vor, »wenn sie sich dem transatlantischen Treueschwur eines Friedrich Merz beugen. Mehr noch, sie tappen in eine Falle.« Suikat und Tatti vermissen im Erfurter Kompromisspapier zentrale BSW-Forderungen, was »für mögliche Verhandlungen über landespolitische Fragen nichts Gutes erwarten« lasse. Die BSW-Wähler hätten »mehr verdient als zwei Seiten voller blumiger Worthülsen«.

Suikat und Tatti legen ein Treuebekenntnis zu ihrer Vorsitzenden ab (»Wir stehen hinter Sahra Wagenknecht und ihrer Haltung.«) und weisen die Thüringer darauf, dass »nicht vorrangig« landespolitische Positionen und Kandidaten zum Wahlerfolg beigetragen haben, sondern »Sahra Wagenknecht und ihre Präsenz im Wahlkampf, unsere Positionen zu Frieden und Corona-Aufarbeitung«. Deshalb müsse sich das in einer möglichen Regierung abbilden – »ansonsten muss man es sein lassen – und zwar jetzt«. Wenn die Glaubwürdigkeit auf dem Spiel stehe, sei es besser, »aus der Opposition heraus gegen die falsche Politik einzustehen, die andere Parteien machen ... Wer das nicht kapiert, wird vielleicht schnell Ministerin, ist aber in unserer Partei falsch.«

Der BSW-Europaabgeordnete Friedrich Pürner fordert in einem Beitrag auf dem rechten Portal »Tichys Einblick« sogar direkt, die Sondierungsgespräche in Thüringen abzubrechen. Entweder die BSW-Verhandler in Erfurt hätten »sich über den Tisch ziehen lassen, weil man um jeden Preis mitregieren möchte, oder man hatte gar kein Interesse für die Inhalte und Programmatik des BSW«, schreibt Pürner, der laut Medienberichten dieser Tage gemeinsam mit einem AfD-Politiker auf einem Burschenschaftstreffen über die Corona-Aufarbeitung diskutierte. Pürner erwähnt mehrfach Katja Wolf als eine Art Hauptschuldige und erklärt, es dürfe »nicht der Eindruck entstehen, dass Politiker der Linken, die das sinkende Schiff verlassen haben oder dies wollen, in das BSW wechseln, um sich dann Posten und Ämter zu erwerben. Diese Goldgräberstimmung in unserer Partei gilt es zu unterbinden.« Wolf war viele Jahre Landes- und Kommunalpolitikerin der Linken gewesen.

Inzwischen hat der BSW-Bundesvorstand nachgelegt und Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung in Thüringen vorgegeben. In einer Sondersitzung am Mittwochabend wurden laut Bericht der »Berliner Zeitung« die Thüringer Verhandler einstimmig aufgefordert, die außenpolitischen Positionen zu konkretisieren. Kritisiert werden neben der Friedensfrage auch vermeintlich zu vage Vereinbarungen bei Wohnungsbau, Verfassungsschutz und Corona-Aufarbeitung. Verlangt wird eine deutlichere Handschrift des BSW. Sei dies nicht möglich, solle man in die Opposition gehen, so die Aufforderung Berlin nach Erfurt.

Damit stellt sich der BSW-Bundesvorstand gegen den Thüringer Landesvorstand, der aufgrund der bisherigen Vereinbarungen in Koalitionsverhandlungen gehen möchte. Die Bundesführung um Wagenknecht macht deutlich, dass sie dem nicht stattgeben will. Das BSW sei nicht »als letzte Machtreserve für ein Weiter-so gewählt« worden, heißt es in dem Beschluss vom Mittwochabend in Richtung Thüringer Landesvorstand. Kompromissfähigkeit und Pragmatismus dürften »nicht der Vorwand sein, um Ministerämter und Staatssekretärsposten auch um den Preis des Bruchs zentraler Wahlversprechen besetzen zu können«. Das dürfte ausdrücklich an die Adresse der Landesvorsitzenden Wolf und Schütz gerichtet sein.

Begleitet werden diese öffentlich vorgetragenen innerparteilichen Angriffe von BSW-Aktivisten oder -Sympathisanten, die in den sozialen Netzwerken Stimmung machen. So schrieb ein Nutzer auf dem Portal X (früher Twitter): »Wolf gehört aus dem BSW rausgeschmissen!« Ein anderer Nutzer äußerte die Vermutung, Wolf sei ein U-Boot, das die Wagenknecht-Partei bis zur Bundestagswahl zerstören solle.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.