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Mütter und Kinder zuerst
Zugang zur Staatsbürgerschaft erhöht Bildungs- und Arbeitsmarktintegration in Zuwanderungsfamilien
Eine einfache Anerkennung von Berufsabschlüssen sowie eine frühe Vergabe der deutschen Staatsbürgerschaft sind elementar, wenn es darum geht, die Erwerbsbeteiligung zugewanderter Mütter und die Bildungschancen ihrer Kinder zu erhöhen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Wichtig sei außerdem ein guter Zugang zu Plätzen in Kindertagesstätten, wie Katharina Spieß, Direktorin des BiB, bei der Vorstellung der Studie betonte. Ihre Forschung nimmt zugewanderte Frauen in ihrer Rolle als Mütter, (Ehe-)Partnerinnen und Erwerbstätige in den Blick.
»Mütter mit Migrations- und Fluchthintergrund werden in der Familienpolitik als spezifische Gruppe kaum erfasst«, stellte Johannes Hauenstein, Vorstand der Stiftung Ravensburger Verlag, bei der Vorstellung der Studie fest. Das hätte sich spätestens 2022 herausgestellt, als die Stiftung in Zusammenarbeit mit dem grünen Familienministerium die Bedürfnisse von Familien während der Covid-Pandemie herausarbeiten sollte. Schnell wurde klar, zu den gesonderten Bedürfnissen von Frauen mit Fluchtgeschichte gab es wenig Erhebungen. Ein Beispiel: Die Kita-Schließungen während der Pandemie trafen sie im Besonderen, denn Kitas waren für sie seltene Orte der Teilhabe geworden.
Sie bilden außerdem eine große und stetig wachsende Bevölkerungsgruppe in Deutschland. »Mehr als jede dritte Mutter mit minderjährigen Kindern hat in Deutschland Zuwanderungsgeschichte«, stellt Spieß fest. Mütter mit Zuwanderungsgeschichte definieren die Studienautorinnen als im Ausland geborene Frauen, die nach Deutschland zugewandert sind und mit mindestens einem minderjährigen Kind im Haushalt leben. Einige Wissenslücken über sie soll die BiB-Studie schließen.
»Mehr als jede dritte Mutter mit minderjährigen Kindern hat in Deutschland Zuwanderungsgeschichte.«
Katharina Spieß
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
So stellte sich heraus: Mütter mit Zuwanderungsgeschichte, deren Kinder die deutsche Staatsbürgerschaft haben, unterstützen ihre Kinder intensiver bei Schulaufgaben. Auch beispielsweise ältere Geschwister, die die Staatsangehörigkeit selbst nicht haben. Woran das liegt, darüber können die Studienautorinnen nur Vermutungen anstellen, wie Ko-Autorin Elena Ziege sagte.
Klar sei jedenfalls: Der frühere Zugang zu Staatsangehörigkeit verringert Bildungsungleichheiten. Das stehe dem Argument entgegen, dass die Staatsbürgerschaft erst nach »erfolgreicher Integration« erfolgen solle. Eine Staatsbürgerschaft könne vielmehr als »Katalysator für die Einleitung in den Integrationsprozess« gesehen werden, schreiben die Wissenschaftlerinnen.
Das zeigte die Evaluation der Reform des deutschen Staatsbürgerschaftsgesetzes von 1999. Ab 2000 erhielten Kinder zugewanderter Eltern die deutsche Staatsbürgerschaft bei ihrer Geburt, wenn ein Elternteil seit mindestens acht Jahren und mit unbefristetem Aufenthaltsrecht in Deutschland lebte. Der Anteil jener Kinder an der Bevölkerung blieb seit 2000 konstant.
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Die Studienautorinnen nehmen aufgrund ihrer Ergebnisse an, dass sich auch die Veränderungen im Staatsbürgerschaftsrecht der Ampel-Regierung von 2024 positiv auf mütterliche Unterstützung und den kindlichen Schulerfolg auswirken werden. Sie ermöglichen den Erwerb der Staatsbürgerschaft schon, wenn sich ein Elternteil des Kindes seit fünf Jahren in Deutschland aufhält.
Ein weiterer wichtiger Moment war der Beschluss des »Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes« 2012. Berufsabschlüsse, die außerhalb der EU erworben wurden, werden seitdem schneller und transparenter anerkannt. Dadurch stiegen die Anträge aus Drittstaaten und damit auch die Arbeitsmarktintegration von Müttern stark an. Ihre Belastung durch Sorgearbeit sank dadurch aber nicht. Das führte, so wie bei Frauen ohne Zuwanderungsgeschichte, zu einer Doppelbelastung. Zur Sorgearbeit gehören unter anderem Kindererziehung, Altenpflege oder Arbeit im Haushalt.
Bei der Anerkennung von Berufen stehen dennoch weiterhin einige Hürden im Weg. Auf »nd«-Nachfrage verwies Ko-Autorin Lidia Gutu darauf, dass die Anerkennung von Berufen immer noch Ländersache sei, was Antragstellerinnen gerade bei Umzügen große Steine in den Weg lege. So müssten betroffene Personen das Prozedere beispielsweise nach einem Umzug von Berlin nach Bayern von Neuem starten. »Berufliche Anerkennungsverfahren müssen in den Ländern vereinheitlicht werden«, fordert sie deswegen.
»Berufliche Anerkennungsverfahren müssen in den Ländern vereinheitlicht werden.«
Lidia Gutu
Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung
Abhilfe geschaffen werden kann vor allem durch einen guten Zugang zu Kinderbetreuung, wie das Forschungsteam feststellte. »Der Kitabesuch hängt eng mit Teilhabe und Integration der Mütter am Arbeitsmarkt zusammen«, bestätigt Spieß. Dabei sei noch deutlich Luft nach oben. Nur 37 Prozent der Mütter in der Untersuchung hatten ein Kind in der Kita.
Die volkswirtschaftliche Bedeutung der neuen Erhebung bestätigt der Sozialbericht des Statistischen Bundesamtes (Destatis), des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung und des BiB. Es gebe zwei Gruppen, die den Arbeitskräftemangel maßgeblich mindern könnten: Menschen mit Einwanderungsgeschichte sowie Schutzsuchende, sie stellen mehr als ein Viertel der Erwerbspersonen, und Mütter.
Ohne Zuwanderung sinkt die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland bis 2040 außerdem um zehn Prozent, stellte die Bertelsmann-Stiftung in einer neuen Studie am Dienstag fest. Bis dahin brauche es deswegen rund 288 000 zusätzliche internationale Arbeitskräfte.
Bleibt die Zuwanderung aus, wären Thüringen, Sachsen-Anhalt und das Saarland besonders von einem Rückgang der Arbeitskräfte betroffen. Laut Susanne Schultz, Migrationsexpertin der Bertelsmann-Stiftung, biete das reformierte Fachkräfteeinwanderungsgesetz neue Möglichkeiten – zugleich brauche es aber eine »ausgeprägte Willkommenskultur in Behörden, Unternehmen und Kommunen sowie längerfristige Bleibeperspektiven«.
Für Spieß sei das Fachkräfteinwanderungsgesetz ein zweischneidiges Schwert, wie sie auf »nd«-Nachfrage erklärte. Durch das Gesetz zur Fachkräfteeinwanderung von 2023 können Personen aus Drittstaaten das Anerkennungsverfahren durchlaufen, wenn sie sich bereits in Deutschland befinden. Es sei für Frauen mit Kindern gut, weil sie dadurch mehr Unterstützung bei der Anerkennung bekämen. Zugleich sei es aber für Einzelpersonen deutlich einfacher als für Mütter mit Kindern, das damit einhergehende Risiko einzugehen. Denn was, wenn die Anerkennung schiefgehe?
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