Berlin: Erster Freispruch für Palästina-Protest

Noa V. gewinnt den Prozess zur Anklage auf Hausfriedensbruch an der Freien Universität

Noa V.1 wollte die Anklage nicht »individualisieren«, wie V. »nd« sagt, sondern einen politischen Prozess führen.
Noa V.1 wollte die Anklage nicht »individualisieren«, wie V. »nd« sagt, sondern einen politischen Prozess führen.

Sichtlich erleichtert läuft Noa V.1 am Mittwochmorgen aus dem Gerichtssaal des Amtsgerichts Tiergarten. V. studiert Literaturwissenschaften an der Freien Universität Berlin (FU) und wurde in einem knapp zwanzig Minuten dauernden Prozess von der Richterin freigesprochen. Angeklagt war V. wegen Hausfriedensbruchs, da V. sich am 7. Mai 2024 am Protestcamp der »Student Coalition Berlin« (SCB) beteiligte. Dieses stand im Zeichen der Solidarität mit der palästinensischen Zivilbevölkerung und wurde bereits kurz nach dem Aufbau auf dem Campus auf Anlass der Universitätsleitung polizeilich aufgelöst.

Da sich Noa V. nicht – wie in der Anklage behauptet – auf dem Gelände der FU befand, als V. festgenommen wurde, konnte V. auch nicht für Hausfriedensbruch verurteilt werden. Ein Polizeibeamter, der V. festgenommen hatte, sagte vor Gericht aus, dass er V. im Mai 2024 auf einem öffentlichen Gehweg vor dem Universitätsgebäude festgenommen hatte. Die Richterin Karin Nissing sprach V. darum am zweiten Prozesstag frei.

»Ich bin strikt dagegen, dass sie das Gericht zur politischen Bühne machen«, rief die Richterin am Ende des Prozesses lautstark in den Saal – sowohl in Richtung des verteidigenden Rechtsanwalts Benjamin Düsberg als auch in Richtung Zuschauerbank, auf der rund zwanzig Menschen saßen, die dem Aufruf zur solidarischen Prozessbegleitung gefolgt waren.

Die Richterin, die den Prozess nicht politisieren wollte, hat laut Aussagen von Noa V., laut Verteidiger Düsberg und weiterer Zuschauer*innen am ersten Prozesstag nur eine einzige Frage an V. gestellt. »Haben Sie denn auch gegen die Hamas protestiert?« soll sie gefragt haben. V. hatte am ersten Prozesstag in einer Stellungnahme, die »nd« vorliegt, die Beweggründe für die Teilnahme am Protest an der Universität erläutert.

»Wir sind Tag für Tag Zeugen von dem Leiden palästinensischer Menschen. Was sagt das über uns als Menschen aus, wenn wir dieses unermessliche Leiden mitansehen und still bleiben?«, heißt es darin. »Wir sollten es alle als unsere kollektive Pflicht sehen, mit den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, gegen die Verbrechen, die Israel in Gaza begeht, zu protestieren.«

Zum Protestcamp, an dem sich V. beteiligte, wurden vorab vier Forderungen aufgestellt: »Stop des Genozids in Palästina«, »kultureller und akademischer Boykott Israels«, »Schutz akademischer Freiheit und ein Ende der Repression gegenüber Studierenden« sowie die »Anerkennung Deutschlands kolonialen Erbes als Wurzel der gegenwärtigen Mitschuld am Genozid«.

Rund 250 Menschen beteiligten sich an dem Protestcamp, das die Universitätsleitung kurz nach Beginn mit Verweis auf ihr Hausrecht verbieten ließ. FU-Präsident Günter M. Ziegler sagte, dass diese Form des Protests nicht auf Dialog ausgerichtet sei. »Wir stehen für einen wissenschaftlichen Dialog zur Verfügung – aber nicht auf diese Weise«, heißt es in einer Mitteilung aus dem Mai. Unter dem Einsatz von Pfefferspray und Schmerzgriffen nahm die Polizei 79 Personen fest und eröffnete 80 Strafverfahren.

»Dass die Universität auf den Protest mit der Polizei antwortet, finde ich autoritär.«

Benjamin Düsberg Rechtsanwalt von Noa V.

Kurz nach der Räumung des Protests kritisierten einhundert Dozierende in einem offenen Brief die Universität: »Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt. Die Versammlungs- und Meinungsfreiheit sind grundlegende demokratische Rechte, die auch und gerade an Universitäten zu schützen sind.« Die Unterzeichnenden sprachen sich für den Schutz ihrer Studierenden vor Polizeigewalt aus.

Der verteidigende Anwalt Düsberg verweist in seinem Abschlussplädoyer auf das Versammlungsrecht und darauf, dass die Protestierenden ein direktes Anliegen an ihre Universität hatten. Dass diese darauf mit der Polizei antwortete, findet er undemokratisch und autoritär, wie er »nd« sagt. Wie viele Prozesse zum Protestcamp vom 7. Mai 2024 noch folgen, weiß er nicht sicher. Er glaubt, dass der Freispruch von Noa V. Einfluss auf die weiteren Verfahren haben kann.

1Name wurde von der Redaktion geändert.

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