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  • 8. März / Frauenkampftag

Die Stimme als Waffe

Seit zehn Jahren lädt das Festival »Jenseits von Nelken und Pralinen« Feminist*innen aller Länder nach Berlin

Rappen auf Hindi, Marathi, Tamil und Englisch: »Wild Wild Women« aus Mumbai
Rappen auf Hindi, Marathi, Tamil und Englisch: »Wild Wild Women« aus Mumbai

»Das kling ein bisschen wie Revolution«, sagt Kasia Kailoweit am Freitagabend im Berliner Club Gretchen. Kailoweit arbeitet in einem Spandauer Frauenzentrum. Den Frauenkampftag läutet sie wie viele andere mit Hip Hop, Beatbox und Breakdance ein. Bei der zehnten Ausgabe des Berliner Festivals »Jenseits von Nelken und Pralinen« treten nationale und internationale Künstler*innen auf. Was sie eint: Ihre Liebe zu Rap und Feminismus.

Ein lautes »Hey« hallt durch den Kreuzberger Club, als die Performer*innen der »Escandalera Company« die Drumsticks über ihren Köpfen aufeinander schlagen. Einige von ihnen tragen an ihre Körper gebundene Trommeln, manche halten ein einem Schellenkranz ähnelndes Instrument in den Händen. Sie kommen aus Chile, Brasilien sowie Katalonien und haben sich vor sechs Jahren als ein Schulprojekt gegründet, um Frauen und nicht-binäre Menschen für Tanz und Musik zu begeistern.

Ihre persönliche Freude an der Bewegung sieht man den neun Künstler*innen an. Immer wieder lächeln sie einander an, wenn sie sich während der Performance in die Augen schauen. Eine positive Ausstrahlung, die auch das Publikum ansteckt: Paare tanzen miteinander, Frauen twerken oder heben eine Faust in die Luft. Ein Sound, der vielleicht die eine oder den anderen an gut organisierte Frauenkampftagsmärsche erinnert.

Seit nunmehr einem Jahrzehnt organisiert das Frauenkollektiv mit dem Festival am Vorabend zum 8. März einen musikalisch-politischen Auftakt. Als Frauen aus der ehemaligen DDR erinnern sie mit dem Titel ihres Festivals an das Symbol der Arbeiter*innenbewegung, die Nelke. »Als Geschenk zum Internationalen Frauentag« sei sie fester Bestandteil der Sozialisation der Gründer*innen des Kollektivs gewesen, wie Sprecherin Kati »nd« erklärt.

Nach der Wende habe der Tag für die ostdeutsch Sozialisierten an Bedeutung verloren, so Kati weiter. Ganz unabhängig von ihrer Geschichte will das Kollektiv heute mit dem Festival ausdrücken: »Nichts gegen Blumen und Schokolade, ist nett, nehmen wir, und den ganzen Rest nehmen wir uns auch!« Am Freitag ist das vor allem eine Bühne für Frauen im Hip Hop.

Diese Bühne nutzt auch Prychia, französische*r, Vize-Weltmeister*in im Beatboxen von 2023. Als Prychia zur Weltmeisterschaft antrat, seien nur zehn Frauen mit von der Partie gewesen, wie Prychia auf der Bühne berichtet. Prychia wechselt in der Performance zwischen kräftigem Beatbox und zartem Gesang.

Frauen sowie Menschen, die lesbisch, intersexuell oder nicht-binär sind, seien im vergangenen Jahrzehnt deutlich sichtbarer geworden, meint Kati: »Nicht nur auf der Bühne, auch als Veranstalterinnen, Technikerinnen, Produzentinnen.« Am Freitag sind auch die Plätze hinter dem DJ-Pult und der Kamera von Frauen besetzt.

Themen wie Machtmissbrauch, Sexismus und fehlende Geschlechtergerechtigkeit lägen offen auf dem Tisch und würden lauter und fordernder thematisiert – auch im Rap und Hip Hop, so Kati von »Jenseits von Nelken und Pralinen«. Sie verweist auf Initiativen wie Keychange, deren Ziel es ist, Geschlechtergerechtigkeit in der Musikindustrie durchzusetzen. Gerade die Hauptstadt sei vergleichsweise sehr weit vorn, was musikalische Kollektive mit feministischem Anspruch anbelangt.

Dennoch sei die Musikindustrie ein »zutiefst patriarchales System«, meint Kati. Wie schwer es ist, sich als Frau in der Musikindustrie durchzusetzen, berichtet der Hauptakt des Abends: »Wild wild women« nennt sich ein Frauenkollektiv aus Mumbai. Im indischen Sari stehen sie auf der Bühne, rappen über den weiblichen Körper und die anerzogenen Unsicherheiten, die damit einhergehen – auf Hindi, Marathi, Tamil und Englisch.

»Ich habe mir einen Namen gemacht / Ich heilte durch den Schmerz, lebte durch die Scham / Und jetzt lebe ich / Wo ich in Frieden bin«, rappen sie auf Englisch. Für die indischen Frauen sei die Deutschlandpremiere im Gretchen etwas ganz Besonderes, wie sie sagen. »Wir lieben diesen Ort, weil hier so viele Frauen sind«, sagt eine von ihnen. Hinter ihr lodert ein Feuer auf dem Bildschirm, auf dem das Veranstaltungslogo zu sehen ist. Zum Abschluss wirft sie ein T-Shirt von »Wild Wild Women« ins Publikum. »Revolutionäre Frauen« steht darauf geschrieben.

Vor allem mit Blick auf die politische Lage und den derzeitigen Backlash, der die Rechte um Gleichheit und Freiheit jenseits von Geschlecht und Herkunft betreffe, seien Veranstaltungen wie »Jenseits von Nelken und Pralinen« immer noch sehr wichtig und notwendig, findet Kati vom Festival-Kollektiv. Auf die Frage, was dieses Jahr die wichtigsten Themen zum Frauenkampftag seien, verweist sie auf ein Zitat der französischen Feministin Simone de Beauvoir: Man dürfe nie vergessen, »dass eine politische, wirtschaftliche oder religiöse Krise dafür ausreicht, dass die Rechte der Frauen infrage gestellt werden«.

Wie viel Kraft aus einem Abend voll mit feministischem Rap geschöpft werden kann, wird spätestens spürbar, als alle Künstler*innen nach fünf Stunden Programm gemeinsam auf die Bühne springen. Unter ihnen ist auch die Neuköllner Rapperin »Nashi44« sowie zwei Künstler*innen, die den bekannten Songtext von Haftbefehl zu »Chabos wissen, wer die Mama ist« umgedichtet haben. Sie rappen über die Rolle von Müttern in der Gesellschaft.

Der Saal bebt, als alle Künstler*innen das Festival mit dem chilenischen Protestlied »Un violador en tu camino« (deutsch: ein Vergewaltiger auf deinem Weg) beenden. Es ist bereits nach ein Uhr morgens am 8. März in Berlin: Die erste Stunde des Frauenkampftags 2025 hat geschlagen.

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