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Roma in Berlin: Asyl statt Saisonarbeit
Kein sicheres Herkunftsland: Roma aus Moldau fordern Schutz und Bleiberecht in Berlin
Unverzichtbar und trotzdem unterbezahlt: Beschäftigte in der Niedriglohnbranche, wie etwa im Baubetrieb, der Gastronomie, der Reinigung und des Kurierdiensts, sind fester Bestandteil unserer Stadt. Betroffen von schlechten Arbeitsbedingungen und Löhnen sind vor allem marginalisierte Menschengruppen. Sergiu Lopată vom Berliner Beratungszentrum für Migration und Gute Arbeit (Bema) berät viele Roma aus der Republik Moldau. Auf einer Podiumsdiskussion in der Volksbühne zur Situation von moldauischen Roma in Berlin berichtete er am vergangenen Dienstag von den Problemen, mit denen sie zu ihm kommen. Eingeladen hatte das Bündnis gegen Antiziganismus und für Roma-Empowerment (Bare) und die Hildegard-Lagrenne-Stiftung.
Sieben-Tage-Wochen, die Auszahlung eines Taschengeldes anstelle des Lohns, fehlende Krankenversicherung – all das sei keine Seltenheit, sagt Lopată. Oft finde die Unterbringung beim Arbeitgeber statt, eine zusätzliche Abhängigkeit. Auf Kündigungen folgten unmittelbar Zwangsräumungen, von denen mitunter ganze Familien betroffen seien, schildert der Berater. »Da kontaktieren wir dann den Arbeitgeber, bereiten Klagen vor und setzen die Rechte der Arbeitnehmer durch.«
Seit der Einstufung Moldaus als sicheres Herkunftsland ist die Chance auf Asyl in Deutschland für Geflüchtete stark eingeschränkt. Wer hier stattdessen auf dem Weg der Arbeitsmigration Fuß fassen will, hat zwei Möglichkeiten. Erwünscht sind die Menschen aus Moldau von der Bundesregierung entweder als Fachkräfte, um den eigenen Mangel aufzufangen, oder als Saisonarbeiter*innen in der Landwirtschaft. Das Saisonarbeits-Kontingent von 1500 solcher Arbeitskräfte aus Moldau wurde allerdings 2024 bereits früh im Sommer aufgebraucht. Und auch der Weg, als Fachkräfte nach Deutschland zu migrieren, steht besonders Roma kaum offen. »Ja, wie, ohne Bildung?«, fragt Lopată. Denn die Gruppe wird in der Republik Moldau erwiesenermaßen stark diskriminiert, benötigte Bildungs- und Berufsabschlüsse fehlen dadurch.
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Roma erfahren in Moldau eine existenzbedrohende strukturelle Ausgrenzung, sodass sie das Land verlassen, um Schutz zu suchen. Dieser Umstand sollte in Deutschland eigentlich kein Streitpunkt sein. Emily Barnickel vom Flüchtlingsrat Berlin weist darauf hin, dass sich Berichte aus Rechtsberatungen, einer Studie des Vereins Pro-Asyl und der Länderbericht des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bamf) im Grunde decken. So ist beim Bamf die Rede von erheblichen Defiziten im Schutz von Roma und »erhöhter Vulnerabilität und gesellschaftlicher Marginalisierung – insbesondere im Bildungs- und Arbeitsbereich«.
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Avram Sarban beantragte genau aus diesen Gründen vor drei Jahren mit seiner Familie in Berlin Asyl. Er berichtet in der Volksbühne von seinen Erfahrungen, die zur Flucht aus seinem Heimatland geführt haben. »In meiner Grundschule gab es eine Extra-Klasse für Roma«, sagt er. Die Eltern der Mitschüler*innen forderten die Trennung ein, weil sie ihre Kinder nicht zusammen mit Roma-Kindern unterrichten lassen wollten. »Ich habe in Moldau ständig Diskriminierung erlebt«, sagt er. Sarbans Eltern blieb der Zugang zum Arbeitsmarkt aufgrund von mangelnder Schulbildung verwehrt. Für Roma ist es in Moldau schwierig, unter den Bedingungen des strukturellen Ausschlusses Zugang zu existenzsichernden Löhnen oder Sozialleistungen zu erhalten.
Kein Wunder also, dass Roma aus Moldau in Berlin nicht nur Arbeit, sondern auch Schutz suchen. In Asylverfahren haben sie allerdings schlechte Karten, weil ihre Diskriminierungserfahrungen nicht als Fluchtursache anerkannt werden. Ihre Aussichten haben sich noch stärker reduziert, seit Moldau trotz der bekannten Diskriminierung, der Besetzung Transnistriens durch Russland und der Skepsis des Europäischen Gerichtshofs im Dezember 2023 als sicheres Herkunftsland eingestuft wurde.
Gruppenspezifische Diskriminierung, wie im Fall der Roma aus Moldau, seien ein blinder Fleck im deutschen Asylrecht, erklärt der Rechtsanwalt Andreas Eibelshäuser. Theoretisch sei im Asylrecht zwar vorgesehen, »kumulative Diskriminierung« als Verfolgung und Fluchtursache anzuerkennen. Dafür müsse aber immer im Einzelfall nachgewiesen werden, dass die geflüchtete Person selbst eine starke Diskriminierung in jedem Lebensbereich erfahre. »Man muss immer individuell zeigen: Darum ist es bei mir anders oder schlimmer, als bei allen anderen«, sagt Eibelshäuser. In der Praxis sei das aber kaum möglich. Einerseits erfordere es ein hohes Maß an Bildung und Abstraktion, um alle alltäglichen Situationen, in denen man benachteiligt, angefeindet oder ausgeschlossen werde, als Formen derselben Diskriminierung zu erkennen und darstellen zu können. Andererseits geben die Asylbehörden Menschen aus Moldau dazu gar nicht erst die Möglichkeit, so der Rechtsanwalt. »Die Interviews sind so konzipiert, dass sie in zehn Minuten durch sind, und dann kommt zwei Tage später der Ablehnungsbescheid.« Nur bei schweren Krankheiten stiegen die Erfolgsaussichten.
»Ich habe in Moldau ständig Diskriminierung erlebt.«
Avram Sarban
Hildegard-Lagrenne-Stiftung
Menschen, die auf Asyl hoffen, rät der Rechtsanwalt, vor dem Antrag Beratung hinzuzuziehen und dann einen möglichst konsequenten Schulbesuch und ein schnelles Erlernen der deutschen Sprache. »Der Schulbesuch sollte absolut priorisiert werden.« Daraus könne dann mit einiger Zeit eine Bleibeperspektive entwickelt werden. Eine realistische Forderung an den Berliner Senat sei dabei, eine Schulbesuchsduldung durchzusetzen, meint Eibelshäuser. So sichere man sich zudem gut ausgebildete Zukunftskräfte. »Davon hätten dann alle was.«
Avram Sarbans Familie steht genau aus diesem Grund, der schnellen und guten Schulanbindung der Kinder, der Weg zum Aufenthaltsrecht offen. Ihm hat damals Emily Barnickel als Beraterin vom Flüchtlingsrat geholfen, erzählt er. »Sie hat mich motiviert, meinen Schulabschluss zu machen.«
Barnickel sieht in Berlin eine Perspektive für Roma aus Moldau, wenn es gelingt, das »Anti-Abschiebe-Engagement« zu stärken. »Das ist die Stellschraube, an der wir drehen können.« Es wäre für die Vier-Millionen-Einwohner-Stadt Berlin einfacher, den 5000 Moldauer*innen, deren Asylanträge abgelehnt wurden, ein Bleiberecht zu gewähren, als sie abzuschieben.
Barnickel sieht Berlin und Deutschland auch historisch in der Verantwortung, da die systematische Verfolgung und massenhafte Ermordung der Sinti und Roma durch die Nationalsozialisten maßgeblich zur prekären Lage in Europa beigetragen hat. »Deutschland hat eine historische Pflicht, Rechte von Roma zu stärken und anzuerkennen.« Anstatt dieser Verantwortung nachzukommen, sind Roma besonders stark von Abschiebungen aus Berlin betroffen: Man wolle das historisch selbst produzierte Elend »nicht vor der eigenen Haustür haben«, sagt Barnickel. Der Flüchtlingsrat habe schon vor einem Jahr zusammen mit Bare vom Berliner Senat gefordert, ein humanitäres Bleiberecht für Roma einzuführen. Denn das gehe auch auf Landesebene und muss nicht vom Bund initiiert werden.
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