Böse Wörter

Shakespeare »Othello« und Rassismuskritik auf Irrwegen

Die weiße Masse blickt auf ihren schwarzen Mann: »Othello« (in der Übersetzung von Werner Buhss) am Berliner Ensemble, 2019.
Die weiße Masse blickt auf ihren schwarzen Mann: »Othello« (in der Übersetzung von Werner Buhss) am Berliner Ensemble, 2019.

Da sitzt diese zähe, selbstbewusst auftrumpfende Frau im Polizeirevier und spricht so, wie es ihr gerade in den Kopf kommt. »Wie läuft’s mit dem Niggerfoltern?«, will sie von einem Polizeibeamten wissen. Der lässt sich nicht davon irritieren, auf seine Grausamkeit und seinen Rassismus angesprochen zu werden. Ganz auf der Höhe des zeitgeistigen Diskurses befindlich, nimmt er Anstoß an etwas anderem: »Das heißt inzwischen Foltern einer person of color.«

Diese Szene lief vor sieben Jahren über die Leinwände, als »Three Billboards outside Ebbing, Missouri« in die deutschen Kinos kam und für die eine oder andere Debatte sorgte. Der kurze Dialog brachte mit bitterbösem Humor zugespitzt zum Ausdruck, wozu ein fehlgeleiteter Rassismusdiskurs führen kann. Was ist die Folter eines Menschen angesichts der Verwendung eines inkriminierten Wortes, fragt der Film hinein in eine Gesellschaft, die nur noch Farben, aber keine sozialen Verhältnisse mehr kennt.

Und so wie über »Three Billboards outside Ebbing, Missouri« debattiert, wird seit Jahr und Tag auch über William Shakespeares »Othello« gestritten. Es ist die Geschichte des zunächst triumphierenden Feldherren mit Namen Othello, der durch das böswillige Geschick seines Soldaten Iago in die Eifersucht, ja in die Raserei getrieben wird. Othello war ein Teil der Gesellschaft. Erst das Lügengeflecht eines Einzelnen und der Blick der vielen anderen machen ihn zum schwarzen »Biest«.

Genosse Shakespeare

Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.

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Von dieser aufklärerischen Leistung der Shakespeare’schen Dramatik lenkt ab, wenn man sich nur darauf kapriziert, ob der Othello von einem weißen oder schwarzen Darsteller gespielt wird. Nur eines darf man als Zuschauer erwarten: dass in der szenischen Umsetzung der Kritik der falschen Verhältnisse auch Rechnung getragen wird.

Nicht nur die Besetzung der Titelfigur ist Gegenstand von Streitgesprächen, sondern – wie im beschriebenen Film – der Gebrauch des politisch korrekten Vokabulars. Dabei ist es Shakespeares Sache, zu zeigen, wie die Dinge sind, und nicht, wie sich brav analysierend vom fernen Schreibtisch sprechen ließe. Sind die rassistischen Zuschreibungen in »Othello« nicht erkennbar als das, was die Mehrheitsgesellschaft aus einem respektablen Bürger zu machen bereit sind?

»The moore of Venice« heißt der Untertitel des »Othello« im englischen Original. Und hier beginnt bereits die Schwierigkeit. Der eine oder andere Übersetzer hat hübsch wörtlich, aber etwas altbacken »Der Mohr von Venedig« daraus gemacht. In den meisten Spielplänen sieht man indes, dass im Deutschen lieber auf den Untertitel verzichtet wird. Vielleicht liegt es an der Feigheit der Theater?

Denn Genosse Shakespeare wusste, dass Othello, zu dem, was er scheint, erst gemacht werden musste. Durch Intrigen. Durch die Verhältnisse. Und so hat der Dramatiker und Regisseur Werner Buhss in seiner – sehr zu Unrecht auch gescholtenen – Übersetzung der Tragödie die vielleicht überzeugendste Variante eines deutschen Titels gefunden: »Othello. Venedigs Neger«. Denn eine jede Gesellschaft, so lehrt uns die Realität, sucht sich ihren schwarzen Mann und findet ihn.

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