Örebro: Einzelgänger schockt Schweden

Amoklauf an Bildungseinrichtung in Örebro heizt Debatte über das Gewaltproblem im skandinavischen Land weiter an

Am Tag nach den Todesschüssen am Campus Risbergska in Örebro zeigt Königspalast in Stockholm Trauerbeflaggung.
Am Tag nach den Todesschüssen am Campus Risbergska in Örebro zeigt Königspalast in Stockholm Trauerbeflaggung.

Die Motive des Täters liegen noch im Dunkeln. Das Entsetzen und die Trauer um die Toten des Massakers am Campus Risbergska in Örebro begleitet eine aufgewühlte Debatte über die innere Sicherheit im Land. Ministerpräsident Ulf Kristersson sprach von »der schlimmsten Massenerschießung, die es jemals in Schweden gab«. Zugleich mahnte er, sich nicht an der Verbreitung von Gerüchten zu beteiligen, sondern die Polizei ihre Arbeit machen zu lassen.

Am Dienstagmittag war ein Bewaffneter in die am westlichen Stadtrand der mittelschwedischen Kommune gelegene Bildungseinrichtung für Erwachsene (Komvux), an der auch Schwedisch für Einwanderer unterrichtet wird, eingedrungen, hatte dort zehn Menschen erschossen und vor dem Eintreffen der Polizei sich selbst. Sechs weitere Personen waren von ihm schwer und eine leicht verletzt worden. Mehrere umliegende Schulen wurden nach dem Eingang des Alarms evakuiert.

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Identifiziert werden konnte der Leichnam des Tatverdächtigen zunächst anhand eines für die Morde benutzten automatischen Gewehrs, einer legal zugelassenen Jagdwaffe. Am Dienstag durchsuchte die Polizei in Örebro die Wohnung des Amokläufers, der zurückgezogen gelebt haben soll.

Der 35-Jährige hat nach ersten Erkenntnissen der Behörden allein gehandelt, war bisher nicht auffällig oder vorbestraft und besitzt keine bekannten Verbindungen zu den kriminellen Banden, die Schweden mit Schießereien und Bombenanschlägen seit Jahren in Atem halten. Nach Medienberichten hatte der Mann im Jahr 2023 keine Steuern entrichtet und im Jahr zuvor eine Namensänderung vorgenommen.

Für ein ideologisches Motiv des Amokläufers gibt es bislang keine Anhaltspunkte, die Polizei wollte sich dazu aber noch nicht endgültig festlegen. Nach einem Bericht der Tageszeitung »Aftonbladet« soll es sich bei dem Täter um Rickard A. handeln, der 2001 an der kommunalen Einrichtung mehrere Kurse in Mathematik belegte und wieder abbrach. Für das Militär soll A. als untauglich erklärt worden sein. Trotz psychischer Probleme sollen ihm demnach für insgesamt vier Gewehre Waffenscheine erteilt worden sein. Beim Überfall auf die Schule soll er drei Gewehre und ein Messer mitgeführt haben.

Ermittelt wird auch wegen Brandstiftung in dem Gebäude der Bildungseinrichtung. Nach Darstellung von Zeugen wollte der Schütze, der die Waffen in einer Gitarrentasche transportiert hatte, Menschen, die nicht rechtzeitig fliehen konnten und sich dort verschanzt hatten, mit einem Feueralarm zum Verlassen ihrer Verstecke bringen. Nach anderen Angaben zündete er beim Eintreffen der Polizei, die schnell vor Ort war, eine Rauchgranate.

Am Mittwoch wehten in der 200 Kilometer östlich von Örebro gelegenen Hauptstadt Stockholm und in ganz Schweden die Fahnen auf halbmast. In der Nikolaikirche von Örebro wurde am Nachmittag ein Gedenkgottesdienst abgehalten, an dem neben Premier Kristersson auch die Spitzen der im Reichstag vertretenen Parteien teilnahmen. Am Dienstag war auch das schwedische Königspaar nach Örebro gekommen, um der Opfer zu gedenken. »Wo ist unser schönes Schweden hin?«, beklagte Königin Silvia. Sie bitte alle darum, es wieder aufzubauen. Die Monarchin spricht vielen Schweden aus dem Herzen, die sich die Zeit zurückwünschen, als das Land vermeintlich ein Bullerbü-Idyll war.

Während die Politiker zum Innehalten und Gedenken mahnen, wird in den sozialen Medien hemmungslos spekuliert und vor allem Stimmung gegen Einwanderer gemacht. Im ungefilterten Internet-Forum Flashback, das mit Blaulicht-Themen viele Leser findet, war bereits am Dienstag ein Familienvater von selbst ernannten Ermittlern mit Namen, Bild und Link zu seinem Profil auf X fälschlich als der Täter von Örebro denunziert worden. Wahlweise stellte man ihn als Moslem oder weißen Rassisten hin. Die Behörden würden die Identität verschleiern, wurde behauptet.

Das Massaker von Örebro schockt Schweden, während das Land der ausufernden Bandenkriminalität mit ihren Revierkämpfen und Blutfehden nach wie vor nicht Herr wird. Allein für den Januar werden diesem migrantischen Milieu, das in den Drogen-, Waffen- und Menschenhandel verstrickt ist und an sozialen Brennpunkten viele Jugendliche rekrutiert, Dutzende Bombenanschläge zur Last gelegt.

Die lange als vorbildlich geltende Integrationspolitik des skandinavischen Landes hat ihre Gleichheitsziele verfehlt. Die bürgerliche Regierung reagiert nun mit Verschärfungen des Strafrechts, einer restriktiven Einwanderungs- und Asylpolitik sowie mehr privaten Wachleuten auf den Straßen und wird von den sie tolerierenden nationalistischen Schwedendemokraten vor sich hergetrieben.

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