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Ukraine: Friedenslösung nach Gutsherrenart
Die USA und Russland wollen den Ukraine-Krieg unter sich beenden. Der Ukraine und Europa bleibt die Zuschauerrolle
Mehr als eine Stunde hat US-Präsident Donald Trump mit Russlands Staatschef Wladimir Putin am Mittwochabend telefoniert. Anschließend rief er noch in Kiew bei Präsident Wolodymyr Selenskyj an. Wunderbare Gespräche seien es gewesen, sagte Trump am Mittwoch. Er sehe nun eine gute Möglichkeit, den Krieg zu beenden.
In den Vorstellungen der US-Regierung soll die Ukraine ihr Streben nach einem Nato-Beitritt aufgeben und auch auf Teile ihres seit 2014 verlorenen Staatsgebiets verzichten. Zudem stellten die USA klar, dass ihr Militär nicht Teil einer möglichen Friedenstruppe sein wird. Der Kreml zeigte sich »imponiert« von der Einstellung der neuen US-Regierung. Vorgänger Joe Biden habe hingegen alles getan, um den Krieg fortzuführen, kommentierte Regierungssprecher Dmitri Peskow.
Verhandlungen in Saudi-Arabien
Trump soll mit Putin vereinbart haben, dass die Teams beider Seiten sofort mit den Verhandlungen beginnen, schrieb Trump in seinem Kurznachrichtendienst Truth Social. Nach Angaben des Weißen Hauses werden diesem Team neben Außenminister Marco Rubio auch der Nahost-Sondergesandte Steve Witkoff angehören. Auch Moskau bestätigte am Mittwoch, ein Team für Verhandlungen zusammenzustellen. Stattfinden soll das Treffen in nächster Zeit. Wann genau, ist noch nicht bekannt, doch die saudische Hauptstadt Riad bereite sich schon vor, schreibt die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti.
Wie es bis dahin weitergeht und wie der US-Plan im Detail aussieht, wird sich aller Wahrscheinlichkeit am Wochenende auf der Münchner Sicherheitskonferenz zeigen. Dort will sich Selenskyj zum von Trump verlangten Verkauf Seltener Erden äußern. Momentan analysiere man noch die Möglichkeiten, hieß es aus Kiew.
Verschiedene mögliche Friedensszenarien
Die Nachrichtenagentur Bloomberg hat derweil drei mögliche Szenarien für die Ukraine entworfen. Im wahrscheinlichsten Szenario bleiben die besetzten Gebiete der Ukraine in der Schwebe und faktisch unter russischer Kontrolle. Möglicherweise wird es einen Gebietstausch mit dem ukrainisch besetzten Teil der russischen Region Kursk geben. Die Ukraine wird kein Nato-Mitglied. Die Europäer werden versuchen, Trump zu überzeugen, die US-Unterstützung der Ukraine solange aufrecht zu erhalten, bis die EU selbst dazu in der Lage ist.
Das »beste Szenario«: Die westlichen Unterstützer verpflichten sich zur Nichteinmischung, sollte Russland die Ukraine erneut angreifen. Dafür verpflichten sie sich, die Waffenlieferungen an Kiew hochzufahren, die Rüstungsindustrie zu entwickeln, die Armee wiederaufzubauen sowie die antirussischen Sanktionen zu verschärfen. Das könnte laut Bloomberg die Grundlage für einen Nato-Beitritt innerhalb der kommenden zehn Jahre legen.
Europäer empört über Ausbootung
Das »schlechteste Szenario« wäre, wenn Trump noch vor dem Ende der Beilegung des Konflikts das Interesse an der Zukunft der Ukraine verliert und die militärische wie finanzielle Unterstützung kürzt. Dann stehen die Europäer mit dem Problem allein da. Für die Ukraine wäre dann der Weg in die Nato versperrt und Russland könnte die besetzten Gebiete behalten. In diesem Fall, so Bloomberg, könnte es zu einem neuen Krieg kommen.
In Kiew und den europäischen Hauptstädten ist man über das us-amerikanisch-russische Tandem empört. Eine Friedenslösung ohne ukrainische Beteiligung sei nicht denkbar, heißt es unisono. Auch die EU fordert vehement ihren Platz am Verhandlungstisch. Bloomberg zufolge reagierten EU-Beamte konsterniert auf Trumps Telefonat, über das man nicht informiert war. Auch von Verrat soll die Rede gewesen sein. Spät am Abend riefen führende EU-Außenminister die USA zu gemeinsamen Konsultationen zur Ukraine auf. Erneut war die Rede von einer »Position der Stärke«, in die die Ukraine gebracht werden solle. Dafür ist es jedoch offenbar bereits zu spät.
Ukraine und Europa »sind am Arsch«
In Berlin und Brüssel muss man sich die Frage gefallen lassen, ob man den Trump-Vorstoß nicht verhindern, zumindest aber lenken hätte können. Seit November wurde vor dem jetzt eingetretenen Szenario gewarnt. Doch abgesehen von nationalistischen Losungen und Durchhalteparolen kam von Spitzenleuten wie EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, der EU-Außenbeauftragten Kaja Kallas oder Annalena Baerbock in den vergangenen drei Jahren nicht viel. Diplomatische Ideen wurden als Verrat an der Ukraine gebrandmarkt, auch wenn die deutsche Außenministerin anderes behauptet.
Die Europäer werden von Washington vorgeführt. Nicht einmal auf dem eigenen Kontinent könne die EU Konflikte lösen und für Ordnung sorgen. Von einer eigenen Position der Stärke ist man weit entfernt. Das haben auch Russlands Falken mitbekommen. Ex-Roskosmos Chef Dmitri Rogosin bezeichnet die Europäer auf seinem Telegram-Kanal als Verlierer und die USA als unangefochtene Anführer des Westens. »Ich denke, dass alles ohne die Ukraine entschieden wird. Die Ukraine ist am Arsch. Und Europa übrigens auch«, zitiert der »Economist« einen anonymen hohen ukrainischen Beamten.
Noch hat Putin nicht gewonnen
Putin als den großen Sieger darzustellen, sei aber verfrüht, ist der russische Politikwissenschaftler und frühere Redenschreiber Putins, Abbas Galljamow überzeugt. Trump habe weder der Ukraine verboten zu kämpfen noch den Europäern Waffen zu liefern. Auch US-Waffen wurden nicht gestrichen, ebenso wenig wie die Sanktionen, analysiert Galljamow in einem Beitrag für »Totschka Media«.
Trump habe bisher lediglich sein Wahlversprechen eingelöst. Wer jetzt ernüchtert sei, war es auch, als er feststellte, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt. Man müsse aufhören, an Wunder zu glauben und die Dinge selbst in die Hand nehmen, so Galljamows Forderung an Europa, die Ukraine und Russlands Opposition. Putins bisher einziger Erfolg sei der Ausbruch aus der internationalen Isolation, merkt Galljamow an.
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