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Berlinale: Der Wendebruch
Berlinale Forum: »Stolz und Eigensinn« zeigt, wie sich berufstätige Frauen in der DDR emanzipiert haben – und dann abgewickelt wurden
Stolz und Vorurteil» lautet der Titel von Jane Austins berühmtem Roman, der die Entwicklung vierer Frauen und ihr Zurückgeworfensein auf diese Rolle in der englischen Gesellschaft des 19. Jahrhunderts nachzeichnet. «Geschichte und Eigensinn» heißt ein dreibändiges Buch von Alexander Kluge und Oskar Negt über die «geschichtliche Organisation der Arbeitsvermögen», «Deutschland als Produktionsöffentlichkeit» und die «Gewalt der Zusammenhänge», das die Logik des Kapitals in den Blick nimmt und auch ihre blinden Flecken auszuleuchten hilft.
Der Dokumentarfilmer Gerd Kroske bringt beides zusammen in seinem Film «Stolz und Eigensinn»: die Behauptung von Frauen im Arbeitsleben und ihre Beharrlichkeit. Um Frauen aus der DDR geht es, die sich in sogenannten Männerdomänen beruflich durchgesetzt, einen nicht nur einfachen – aber doch möglichen – Weg der Emanzipation eingeschlagen hatten, ehe die Wiedervereinigung alles verneinte, was sie bisher erreicht hatten.
Von der mangelnden Anerkennung ostdeutscher Erwerbsbiografien ist manchmal spröde und wenig plastisch die Rede. Was das aber konkret bedeutet, lässt sich filmisch zeigen. Kroske hat Archivmaterial aufgetan, in dem Frauen aus ostdeutschen Großbetrieben Auskunft geben über ihre Arbeit, ihre Befürchtungen und Wünsche. Das Vorgefundene montiert er mit filmischen Befragungen ebendieser Frauen mehr als 30 Jahre später.
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Ist die Empörung noch dieselbe? Ist noch etwas vom Stolz auf das Erreichte zu spüren? Wann war man selbst naiv, wann hellsichtig angesichts der sich abzeichnenden Um- und Einbrüche? Behutsam tastend geht der Filmemacher vor und bleibt selbst weit im Hintergrund zurück.
Die Frauen selbst stehen im Mittelpunkt. Und sie selbst sind es, die sich ein Urteil über das eigene Leben, ihre Arbeit, die Fortschritte und weitreichenden Rückschläge erlauben. Die Erinnerungen an Erfolge und beglückende Zeiten wechseln mit bitteren Einsichten ab. Dass die Gleichberechtigung zwischen Männern und Frauen auch in der DDR keine Selbstverständlichkeit war, wird allzu oft wiederholt. Selbstverständlich waren aber doch: die gleiche Entlohnung, eine staatliche Kinderbetreuung, auf die man bauen konnte, Anerkennung der Arbeitsleistung und die Zuversicht, die eigenen Ziele trotz aller Hürden erreichen zu können.
Die Stahl-, Chemie- und Kohleindustrie boten die am besten bezahlten Arbeitsplätze in der DDR. In diesem Bereich wussten die Frauen sich zu behaupten. Was nach der «Wende» folgte, wirkte sich unterschiedlich aus. Hunderttausende ostdeutsche Industriearbeiterinnen verloren ihren Job. Aber nach und nach, die einen sofort, die anderen erst später. Dass die neuen Chefs aus dem Westen Frauen nicht in leitenden Positionen sehen wollten, wissen sie aber alle zu berichten. Als «Wendebruch» bezeichnet eine der Frauen das, was da passierte. Sie alle hatten es geschafft, hatten sich durchgesetzt – im Beruf, im Leben, unter den Männern –, dann war es vorbei mit der als sinnstiftend empfundenen Arbeit.
Plötzlich war man Konkurrenz, der es sich zu entledigen galt.
Kroske enthält sich jedweder Kommentare. «Stolz und Eigensinn» ist eine Dokumentation eines fortwirkenden Unrechts. Der Charakter einer Anklage ergibt sich nicht aus dem filmischen Vorgehen, sondern aus der tiefgreifenden Demütigung starker Frauen, die hier ohne anmaßendes Auftreten Dritter aufgezeichnet wird.
Eine Chemikerin berichtet abgeklärt, wie wenig überraschend der entwürdigende Vorgang war, als letzten Schritt vor der Entlassung die Fabrik, die jahrelang Arbeitsplatz war, selbst rückzubauen. Man habe ja in der DDR staatlicherseits wieder und wieder die realen Verhältnisse im Kapitalismus beklagt. Was nach 1990 passierte, folgte dann strikt dem Lehrbuch. Plötzlich war man Konkurrenz, der es sich zu entledigen galt.
Die von Helmut Kohl versprochenen «blühenden Landschaften», bemerkt eine der Frauen, hätten sich also doch noch durchgesetzt. Wo früher intakte Industrieanlagen standen, da bahnt sich heute die Natur ihren Weg. Die Öfen sind aus; Tiere bevölkern die Ruinen der Großindustrie. Die Zeugnisse eines Landes, das es nicht mehr gibt, verschwinden.
«Stolz und Eigensinn», Deutschland 2025. Regie/Buch: Gerd Kroske. Mit: Silke Butzlaff, Steffi Gänkler, Ingrid Kreßner, Bärbel Gräte und Ulla Nitzsche. 113 Min.
21.2., 19 Uhr (Zoo Palast 2) und 23.2., 16.30 Uhr (Kino Betonhalle@Silent Green)
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