Rassismus nach Anschlag in Magdeburg: »Man spürt das so sehr!«

Zwei Monate nach dem Attentat auf den Weihnachtsmarkt grassiert in der Stadt eine Feindseligkeit gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte

Die Al-Rahman-Moschee in Magdeburg. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle wurde dort eine mobile Polizeiwache eingerichtet. Unsicher fühlen sich viele Muslim*innen dennoch.
Die Al-Rahman-Moschee in Magdeburg. Nach dem Anschlag auf die Synagoge in Halle wurde dort eine mobile Polizeiwache eingerichtet. Unsicher fühlen sich viele Muslim*innen dennoch.

An der Al-Rahman-Moschee in Magdeburg kommt man nicht zufällig vorbei. Sie liegt am Ende einer Seitenstraße, in die man nur einbiegt, wenn es dafür einen triftigen Grund gibt. Zwischen den Plattenbauten, die sie umrahmen, wirkt das ehemalige Heizhaus unauffällig, nur die smaragdgrüne Fassade sticht heraus. Man kann es unscheinbar nennen, man kann darin aber auch eine Form des Verdrängens, eine Unsichtbarmachung sehen. Der Ort des Gotteshauses der islamischen Gemeinde Magdeburg spiegelt, wie sich viele Menschen mit Migrationsgeschichte in der sachsen-anhaltinischen Hauptstadt fühlen.

Spätestens seit dem 20. Dezember 2024. Seit dem Tag, an dem ein 50-jähriger Islamkritiker und AfD-Sympathisant aus Saudi-Arabien mit einem Auto in den Magdeburger Weihnachtsmarkt raste, sechs Menschen tötete und rund 300 weitere verletzte. Inzwischen sind über 1200 Betroffene dieses Anschlags bekannt.

Eine Stadt versinkt im Hass

Wenige Schritte vom Alten Markt, wo die Marktbuden standen, in Richtung Elbe steht die Johanniskirche, ein ehemaliges Kirchengebäude mit zwei ungleichen Türmen. An ihrer Eingangspforte ist eine Gedenkstätte entstanden. Sie ist voll von Kerzen, weißen Rosen und Plüschtieren – auch ein neunjähriger Junge starb bei dem Anschlag. Neben den Türen formen angemalte Steine ein Herz.

Keine Spur von dem Hass, der einen Teil der Magdeburger*innen seit dem 20. Dezember überkommt. Noch am selben Abend begannen die rassistischen Übergriffe. Es folgte eine beispiellose Serie an Gewalttaten gegenüber Personen mit vermeintlicher Einwanderungsgeschichte. Wie geht es diesen Menschen und ihren Communitys heute – zwei Monate nach dem Anschlag?

Am Ende der Außentreppe, die zum Obergeschoss der Al-Rahman-Moschee führt, wartet Mamad Mohamad, Mitgründer und Geschäftsführer des Landesnetzwerks Migrantenorganisationen Sachsen-Anhalt (Lamsa). Er ist zur Begrüßung herausgekommen, steht in Langarmhemd in der Februarkälte. Trotzdem: ein warmes Lächeln, ein herzlicher Händedruck. Dann geht es rein, die Schuhe ziehen wir im Eingangsbereich aus. Mohamad erzählt: Normalerweise erfahre Lamsa monatlich von sechs bis sieben rassistischen Übergriffen in ganz Sachsen-Anhalt. Seit dem Anschlag seien es allein in Magdeburg 34. Die Dunkelziffer liege um ein Vielfaches höher.

Mamad Mohamad, Geschäftsführer des LAMSA e.V.
Mamad Mohamad, Geschäftsführer des LAMSA e.V.

Ein Mann wird im Dunkeln von mehreren Tätern zusammengeschlagen. Eine Frau im Hauptbahnhof bespuckt. Ein Unbekannter soll Chlor über die Gemüse- und Obstauslage eines arabischen Lebensmittelhändlers geschüttet haben.

Die Polizeiinspektion äußert sich gegenüber »nd« nicht zu registrierten Übergriffen, »aus Respekt der Arbeit dem Parlament gegenüber«, wie sie schreibt, da sich der Innenausschuss mit den Geschehnissen befassen wolle.

Sichtbare und unsichtbare Gewalt

In einem Zimmer mit Teppichboden über dem Gebetsraum der Moschee sitzen neben Mohamad noch vier weitere Menschen: Mika Kaiyama, ebenfalls von Lamsa, und drei Vertreter der islamischen Gemeinden Magdeburg und Halle. Es gibt Hähnchen-Schawarma mit Pommes und Ayran. Während einer der Anwesenden Besteck holt, erzählen die anderen, was sich seit dem 20. Dezember für die Gemeinde geändert hat. Da sind Vorfälle wie dieser: Ein Mann stürmt in die Moschee, zerreißt die Gebetskleidung und Bücher, kippt Müll auf dem Boden aus. Alles aufgezeichnet von Überwachungskameras. Doch es gibt auch eine andere Form der Gewalt. Eine, die weniger erschreckende Bilder erzeugt, die im Verborgenen stattfindet, aber genauso viel Angst verbreitet.

Moawia Al-Hamids Frau bleibt seit dem Anschlag lieber im Auto sitzen, während ihr Mann einkaufen geht. Frauen, die Kopftücher tragen, sind besonders häufig Anfeindungen ausgesetzt. Al-Hamid ist der Vorsitzende der islamischen Gemeinde Magdeburg. An diesem Abend nach dem Freitagsgebet trägt er ein typisches Gewand eines Imams, eine weiße Gebetskappe, die Taqiyah, und eine lange Robe. »Ich bete jeden Tag darum, dass keine Muslime angegriffen werden«, sagt Al-Hamid. »Die Angst bleibt – eine ständige psychische Belastung, Tag und Nacht.«

»Ich bete jeden Tag darum, dass keine Muslime angegriffen werden. Die Angst bleibt – eine ständige psychische Belastung, Tag und Nacht.«

Moawia Al-Hamid Vorsitzender der islamischen Gemeinde Magdeburg

Selbst in den eigenen vier Wänden fühlten sich viele nicht mehr sicher, berichtet Mohamad. Ihm sind Fälle bekannt, in denen nicht »typisch deutsch« klingende Namen vom Klingelschild gekratzt und Haustüren mit Hakenkreuzen beschmiert wurden. »Eigentlich sollte der eigene Wohnraum ein Schutzraum sein«, sagt Mohammad. »Die bittere Realität ist: Für viele ist das Leben mit Angst Normalität geworden.«

Eine Normalität, die Betroffene in der Vergangenheit oft stillschweigend hingenommen hätten. Doch die Übergriffe nach dem Anschlag hätten das geändert. »Jetzt wollen die Betroffenen ihre Geschichte erzählen«, so Mohamad.

Fatima spricht

Fatima ist eine derer, die nicht länger schweigen möchten. Gemeinsam mit ihrem Mann lebt sie in einer Reihenhaussiedlung, nicht weit von der Moschee entfernt. Vor eineinhalb Jahren sind die beiden hier eingezogen. Die erste gemeinsame Wohnung. Sie sitzen dicht nebeneinander auf der Couchlandschaft im Wohnzimmer. Fatima hat Tee gekocht. Sie trägt einen grauen Jogginganzug und eine Kette mit einem Dhū l-faqār, dem Schwert des Imams Ali. Das Schwert bedeute für sie Stärke und Sicherheit. Eine Sicherheit, die für Fatima seit dem Anschlag nicht mehr existiert.

Die 22-jährige Intensivkrankenpflegerin heißt eigentlich anders, möchte aber nicht, dass ihr echter Name öffentlich wird, aus Angst vor weiteren Übergriffen – und auch, weil Teile ihrer eigenen Familie nicht wissen, was ihr an Heiligabend widerfahren ist.

Sie hat sich an dem Tag freiwillig zum Dienst gemeldet, da sie Weihnachten nicht feiert. In der Universitätsklinik waren die Folgen des Anschlags noch deutlich zu spüren. Fatima selbst versorgte mehrere Opfer des Anschlags. Freiwillige haben Essen vorbeigebracht und Blumen. Sie haben Gespräche angeboten und sich für die Arbeit des Personals bedankt. »Es war so ein schöner Zusammenhalt«, sagt sie.

Außerhalb der Klinik war dieser Zusammenhalt längst zerbrochen. Sobald sie am Abend des Anschlags erfuhr, dass der Täter kein Deutscher war, wusste Fatima, wie sich die Lage in der Stadt entwickeln wird. In den Folgetagen verließ sie ihre Wohnung nur noch, wenn es sein musste. Fatima erzählt von den Blicken, die sie beim Einkaufen zu spüren bekommen hat. Blicke, die ihr vermittelt haben, sie sei hier unerwünscht, dass sie eine Mitschuld an den schrecklichen Ereignissen trage. »Man spürt das«, sagt Fatima. »Man spürt das so sehr!«

Fatima wusste also: Eine Straßenbahnfahrt von der Klinik nach Hause könnte unangenehm werden. Sie bat ihren Freund darum, sie mit dem Auto abzuholen. Als sie kurz parkten, um einen Döner zu holen, kam ein Mann – »komplett schwarz gekleidet, blond« – auf das Auto zugerannt und begann auf die Scheibe der Fahrertür einzuschlagen. Er rief rassistische Parolen und zeigte den Hitlergruß. Fatima und ihr Mann wollten nicht einfach wegfahren. Was, wenn der Mann weitere Menschen angreift? Im Auto fühlten sich die beiden sicher. Sie riefen die Polizei. Als ihr Mann das Fahrerfenster öffnete, um mit den Insassen eines anderen Autos zu sprechen, tauchte der Angreifer wieder auf. Er begann durch das offene Fenster auf ihn einzuprügeln.

Während Fatima erzählt, wie sie vom Beifahrersitz aus versuchte, die »Riesenhände« des Angreifers zu packen, legt sie ihre Hand auf den Oberschenkel ihres Mannes. Als Intensivkrankenpflegerin weiß sie, welche Auswirkungen ein Treffer auf den Kopf mit sich ziehen kann. Vom Anruf bis zum Eintreffen der Polizei vergingen 15 Minuten, sagt Fatima. Ihr Mann trug von dem Angriff ein »zerkratztes und blutendes Gesicht« davon, sie selbst habe nur »ein bisschen was am Unterkiefer« abbekommen.

Die permanente Unsicherheit

Doch manche Wunden sind unsichtbar: Die Tage und Wochen danach plagten Fatima Schlafprobleme. Sie isolierte sich. Allein Straßenbahnfahren ging nicht mehr. Doch sie sagte sich: Ich kann nicht immer Angst haben, damit lasse ich die gewinnen und das will ich nicht. Heute traut sich Fatima wieder hinauszugehen. Doch wie früher ist es nicht. »Ich schaue mich öfter um, in der Bahn trage ich keine Kopfhörer, weil ich mein Umfeld sichern muss. Ich beobachte immer alles.« Fatima hat sich Pfefferspray zugelegt.

Es ist ein ständiges Gefühl der Unsicherheit. Fatima erinnert es an früher. »Als meine Familie aus dem Irak geflohen ist, hatte sie alles außer Sicherheit.« Fatima ist in Deutschland aufgewachsen. Magdeburg ist längst zu einem Zuhause für sie geworden. »Wir hatten immer die Möglichkeit, woanders hinzuziehen, aber wir haben es nie gemacht«, sagt sie. »Wir sind halt Magdeburger«.

Doch wie schwer wiegt dieses Gefühl der Heimat, wenn wieder jene Angst um sich greift, die die Familie schon einmal dazu gezwungen hat, alles hinter sich zu lassen?

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Letzter Ausweg Auswandern

»Was kann uns dieses Land bieten, damit muslimische Ärzte, Ingenieure und Fachkräfte hierbleiben?«, fragt auch Al-Hamid, der in Magdeburg Europas größtes universitäres Prüflabor für elektromagnetische Verträglichkeit leitet. Er sagt: »Wir wollen von der Landesregierung hören, dass wir willkommen sind, dass wir hierhergehören.« Dieses Gefühl fehle vielen Muslimen.

Sachsen-Anhalt ist neben Sachsen das einzige Bundesland, das die islamische Tuchbestattung noch verbietet. Dabei werden Verstorbene im Islam traditionell ohne Sarg bestattet. Im Januar wurde bekannt, dass die CDU entgegen vorheriger Absprachen an der Sargpflicht festhält. »Eine Abschaffung wäre ein wichtiges Zeichen der Anerkennung für die muslimische Gemeinschaft in Sachsen-Anhalt«, sagt Al-Hamid. Viele Hinterbliebene wünschten sich, ihre Verstorbenen in ihrer Nähe und nach ihren religiösen Traditionen bestatten zu können. Er kennt sehr viele Menschen mit Migrationsgeschichte, die daran denken, wegzuziehen aus Sachsen-Anhalt. Oder ganz raus aus Deutschland.

Auch Fatima sagt: »Wir haben uns entschieden, in den nächsten paar Jahren auszuwandern. Wegen des Rassismus. Ich möchte nicht, dass meine Kinder hier groß werden müssen.« Es sind solche Geschichten, die Lamsa-Gründer Mohamad davon überzeugt haben: »Die Remigration in Ostdeutschland wird gelingen.« Nicht unbedingt durch Gesetze, meint er, aber durch den Druck der Mehrheitsgesellschaft. Ein Satz, auf den eine vielsagende Stille folgt, in Magdeburgs Al-Rahman-Moschee.

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