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Wahlauswertung: Die Normalisierung des Völkischen
Bundestagswahl 2025: Nur wenige soziale Gruppen und Gegenden sind resistent gegenüber AfD-Parolen
Die AfD gewinnt jede einzelne Wahl in jeder Schule mit großer Mehrheit», wurde kurz vor der Bundestagswahl in einem rechtsextremen Account auf X behauptet und gleich von Elon Musk mit riesiger Reichweite weiterverbreitet. Als Beleg diente das Foto eines Zettels mit dem angeblichen Ergebnis einer Schule in Pirna und einer Zweidrittelmehrheit der Rechtsextremen. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Es gab eine U18-Wahl, die zumeist in Jugendclubs stattfand, und das schulische Bildungsprojekt der Juniorwahl – jeweils lag Die Linke deutlich vorn, während die AfD auf Rang vier rangierte.
Das Ergebnis der nicht repräsentativen, simulierten Wahlen setzte sich beim echten Urnengang fort: Die Linkspartei erreichte in der Gruppe der 18- bis 29-Jährigen mit weit überdurchschnittlichen 23 Prozent den ersten Platz. Die AfD folgte aber dahinter mit einem Ergebnis, das etwa ihrem Gesamtresultat entsprach. Die anderen Parteien waren bei den Jüngeren abgeschlagen. Die Grünen punkteten hingegen am stärksten vor allem bei Mittelalten, CDU/CSU bei den über 60-Jährigen und die SPD sogar erst bei den Ü70.
Wirtschaftsnahe Kommentatoren konstruieren daraus einen Generationenkonflikt. Gerne bemüht wird die Erzählung von der «Seniorendemokratie», wonach die Parteien Politik nur zum Wohle der großen Wählergruppe der Alten machen. Die Soziologin Silke van Dyk von der Friedrich-Schiller-Universität Jena warnt seit Langem vor dieser «Demographisierung der Demokratie». Dass Ältere die Politik in ihrem Sinne beeinflussten, sei empirisch widerlegt. Sie verweist auf die wachsende Altersarmut und zunehmende Probleme in der Pflege. Obwohl beides für viele Senioren von großer Wichtigkeit ist, spielte es im Wahlkampf 2025 so gut wie keine Rolle.
Ist der AfD-Aufstieg ein Ostproblem?
Was sind dann die Gründe für das unterschiedliche Wahlverhalten? Der Soziologe Michael Corsten sieht bei den Jungwählern eine Reaktion auf eine «kumulative Krisensituation», wie er dem Evangelischen Pressedienst sagte. Sie seien «mit Pandemie, Klimawandel, Kriegen aufgewachsen, was für tiefe Verunsicherung gesorgt hat».
Allerdings greift dies etwas kurz: Junge wählen traditionell links, vor allem das studentische Milieu. Gleichzeitig sind sie generell wechselfreudiger bei Wahlen. Entscheidend für den Boom der Linkspartei war wohl, dass Grüne und SPD bei Themen wie dem Kampf gegen Rassismus und soziale Ungerechtigkeit an Glaubwürdigkeit verloren haben. Wirklich neu ist, dass Rechtsextreme sehr viele Stimmen bei Jungwählern abgreifen konnten. Das mag mit der inzwischen großen Bedeutung von Social Media zusammenhängen, wo Hetze und rechte Meinung reichweitenstark sind. Das Aufwachsen in einem rechtsdominierten lokalen Umfeld dürfte ebenfalls prägen.
Dass Ältere weiter stark auf Union und SPD setzen, hängt damit zusammen, dass diese Gruppe ein stärker gefestigtes Wahlverhalten hat. Besonders auffällig ist indes, dass die Ü70 die einzige Altersgruppe ist, bei der die AfD kaum punkten konnte. Offenbar gibt es hier eine «Hemmschwelle» wegen der deutschen Vergangenheit, wie Corsten meint. Der Berliner Historiker Wolfgang Benz schreibt dazu in einer Wahlauswertung: «Die derzeitige Renaissance rechtsextremer Ideologie setzt das Vergessen, Verharmlosen oder Verleugnen der Geschichte des Nationalsozialismus voraus.»
Dies könnte auch ein Grund dafür sein, dass die AfD schwächer bei Akademikern abschneidet. Hier sind Grüne und Linke stärker als in anderen Bildungsgruppen. Bei Union und SPD gibt es mit Blick auf das Bildungsniveau keine Ausreißer. Dazu muss man gezielter auf Berufsgruppen schauen: Die vermutlich künftigen Koalitionäre sind bei Beamten besonders stark, CDU/CSU zudem bei Selbstständigen. Demgegenüber sahnt die AfD bei Arbeitslosen und Arbeitern ab, wo man die mit Abstand stärkste Partei mit bundesweit fast 40 Prozent ist.
«Dieser Trend ist schon lange zu beobachten», sagte Klaus Dörre Anfang der Woche bei «Deutschlandfunk Nova». Der Jenaer Arbeitssoziologe verwies darauf, dass es den Rechtsextremen beosnders in strukturschwachen Regionen gelinge, den «Oben-Unten-Konflikt» der sozialen Frage in einen «Innen-Außen-Konflikt» umzudefinieren: Während die Infrastruktur im nahen Umfeld bröckelt, bekämen die Migranten alles. Dieses eigentlich alte Narrativ hat sich laut Dörre «inzwischen verselbstständigt und radikalisiert».
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Damit gelingt es den Rechtsextremen immer besser, soziale Gruppen anzulocken, die programmtisch eigentlich einen großen Bogen um sie machen müssten. Dazu zählen Arbeiter und Arbeitslose sowie sogar Menschen mit Migrationshintergrund. Auch wenn es noch keine belastbaren Zahlen zur Bundestagswahl gibt, zeigen dies Studien immer wieder. Ein aktuelles Beispiel: In den Hochhaussieldungen im Süden von Soest, einem mittelgroßen Städtchen zwischen Dortmund und Paderborn, wählten diesmal 40 Prozent die Ultrarechten. «Dass es so weit angestiegen ist, ist traurig, aber nicht überraschend», sagte Brigitte Sehmi, Leiterin des Stadtteilbüros, dazu dem Lokalblatt. «Die meisten AfD-Wähler hier sind Leute mit Migrationshintergrund, die einen deutschen Pass haben und wählen dürfen.» In dem internationalen Stadtteil gebe es viel Fremdenfeindlichkeit gegenüber Flüchtlingen.
Der Aufstieg der Völkischen ist also eher ein schleichender Prozess und keine «Disruption», wie es in der rechten Rhetorik gerne heißt. Zumal regionale Besonderheiten weiter eine gewichtige Rolle spielen: CDU und CSU waren auch bei dieser Wahl besonders stark im Süden sowie in einigen ländlichen Regionen in der westlichen Mitte, etwa im Hochsauerlandkreis von Friedrich Merz. Die Grünen dagegen punkteten überdurchschnittlich in Städten im Westen. Hier konnte aber Die Linke viele neue Wähler gewinnen, selbst in Ballungszentren im konservativen Süden. Mit knapp acht Prozent im Westen und knapp 13 Prozent im Osten hat sich die Dominanz der neuen Länder abgeschwächt, es gibt sie aber noch. Selbst die SPD hat noch tradionelle Hochburgen: die alten Industrieregionen in Nordrhein-Westfalen, Niedersachen und Bremen – wobei die CDU selbst da meist vorne lag. Die AfD wiederum ist im Osten die Nummer eins und nach Prozenten doppelt so stark wie im Westen, am stärksten weiterhin im Süden der neuen Länder und in den Grenzregionen zu Polen.
Ist der AfD-Aufstieg also ein Ostproblem? Ein Blick auf die absoluten Zahlen belehrt eines Besseren: In Nordrhein-Westfalen erzielten die Ultrarechten knapp 1,8 Millionen Stimmen – fast genauso viele, wie in Thüringen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zusammen. In den neuen Ländern ohne Berlin wählten 2,7 Millionen rechtsextrem, im Westen mit 7,3 Millionen fast dreimal so viele. Und auch im Osten gingen 62 Prozent der Stimmen an andere Parteien. Von weit größerer Bedeutung ist die prozentuale AfD-Stärke nicht regional, sondern lokal: Die Rechtsaußen bekommen vor Ort noch mehr Einfluss auf Politik, Kultur und gesellschaftliche Stimmung – es geht aggressiver zu, während Humanität und Toleranz Fremdwörter werden. Die Die Normalisierung des Völkischen schreitet lokal voran.
Aber auch auf Bundesebene: Erfolgsgeheimnis der AfD ist es, Themen, Thesen und Feindbilder zu setzen, die von Demokraten in einer Art «Freiwilliger Selbstkontrolle» übernommen werden, kommentiert Historiker Benz. Er sieht Parallelen zu 1932/33: «Im neu gewählten Bundestag wird sich die politische Mitte absehbar mit den Rechtsextremen arrangieren, um sich bei strittigen Themen Mehrheiten zu sichern, das ist zu befürchten.»
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