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Wie alt ist Hamlet?
Der Shakespeare-Connoisseur André Müller sen. wäre dieser Tage einhundert Jahre alt geworden
Wie es euch gefällt: Alle zwei Wochen schreibt Erik Zielke über große Tragödien, politisches Schmierentheater und die Narren aus Vergangenheit und Gegenwart. Inspiration findet er bei seinem Genossen aus Stratford-upon-Avon.
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Gibt es denn eine schönere Beschäftigung, als sich alle zwei Wochen schreibend mit dem Genossen Shakespeare ins Benehmen zu setzen? Ganz konkurrenzlos ist diese Tätigkeit nicht. André Müller sen. etwa, der dieser Tage seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, ist Jahr für Jahr im selben Takt von Köln nach München gereist, um an der Schauspielschule sein Wissen über William Shakespeare weiterzugeben.
Zu den vielen Berufen und Ehrenbezeichnungen von Müller zählen neben Theaterkritiker und Redakteur, Schriftsteller und langjähriger Vertrauter des sozialistischen Klassikers Peter Hacks auch das Attribut »Shakespeare-Experte«. Derer gibt es einige; die meisten müssen sich die Expertise allerdings selbst zuschreiben. Bei Müller gibt es hingegen keine Zweifel an seinen weitreichenden Kenntnissen der Shakespeare’schen Werke.
Die Titel zweier bekannt gewordener Bücher von Müller sind vielsagend: »Shakespeare ohne Geheimnis« und »Shakespeare verstehen«. Sein Vorgehen stand und steht damit also im deutlichen Widerspruch zu einer Theaterpraxis, die zu einem Klischeebild ihrer selbst verkommen ist und an Shakespeare zuvorderst das Geheimnisvolle feiert und ein wirkliches Verständnis allzu oft unterläuft. Dieser inszenatorischen Verdunkelungsstrategie stellt sich Müller mit seinen Mitteln als Aufklärer – im Übrigen ein Aufklärer, der seinen Marx gelesen hat – selbstbewusst entgegen.
Viele Shakespeare-Experten begeben sich wahlweise in die unermüdliche Kontextualisiererei und auf die Suche im Historischen oder aber ins muntere Spekulieren. Beides findet sein Publikum, beides mag auch seine Berechtigung haben. Müller, dieser unakademische Schriftgelehrte, blieb allerdings lieber nah an den Worten und suchte in den Dramen selbst nach Erkenntnissen.
»André Müllers Verfahren, den ›Hamlet‹ zu lesen, ist«, so schreibt Peter Hacks im Vorwort zu einer der Müller’schen Shakespeare-Studien, »er hat den ›Hamlet‹ gelesen.« Und weiter: »Der Vorteil von André Müllers Methode liegt in ihrer Beweiskraft. Er spricht nicht: so und so interpretiere ich den ›Hamlet‹, er spricht: das und das steht drin. (…) Es kommt an den Tag, dass Shakepeare selber Ideen hatte und deren der Ausleger vielleicht so sehr nicht bedarf.«
Hacks schildert uns außerdem einen Disput, den er mit einer Frau gehabt habe. Es ging um Hamlets Alter. Die Figur müsse gerade 17 sein, meinte sie. Deren Verhalten wäre bei einem Erwachsenen kaum hinnehmbar. Hacks hielt dagegen, erkläre man Hamlets Eigenschaft durch seine Jugend und also rein psychologisch, beeinträchtige man die philosophische Bedeutung des Problems. Wir lernen bei Hacks: »Dieser Streit ist jetzt entschieden. Bei Shakespeare steht, Hamlet ist 30. Dass es bei Shakespeare steht, steht bei André Müller.«
Shakespeares Klugheit und Welthaltigkeit stehen außer Frage. Wer daran teilhaben will, muss den Meister lesen. Und lesen lernt man bei André Müller sen.
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