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Baerbocks feministische Machtpolitik
Von der einstigen Machtkritik der Grünen ist nicht viel übrig geblieben. Es geht um Positionen und Kontakte, meint Christoph Ruf
Ich frage mich, woher der Spruch rührt, dass ein Fisch zuerst vom Kopf stinke. Die Erklärung – das Fischhirn degeneriert als Erstes und fängt an zu müffeln – überzeugt mich nicht. Ich wette, dass das Vieh nach ein paar Tagen am Bauch genauso stinkt wie am Kopf. Und dass ein Fisch, der vier Tage lang am Rand des Hafenbeckens liegt, stärker stinkt als einer, der gerade erst verendet ist.
Wenn man in der Analogie bleibt, müsste es sich also gut für die Grünen treffen, dass sie eine vergleichsweise junge Partei sind. Gegründet wurden sie 1980, damals waren sich die Grünen als einzige bewusst, dass Macht begrenzt werden muss, um der schleichenden Eigen-Korruption der Gewählten vorzubeugen. Nach zwei Jahren im Parlament wurde rotiert.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Umso erstaunlicher, dass man sich seit einigen Jahren derart die Nase zuhalten muss, wenn man sich den Grünen nähert. In von ihnen (mit-) regierten Bundesländern und Kommunen herrscht eine Kungelei, der den bajuwarischen Amigos zur Ehre gereichen würde, auf Bundesebene haben die Grünen endgültig jedes Maß verloren. Dass die Ampel in den drei Jahren ihrer Existenz exorbitant viele Beamten beförderte (viele noch nach dem Ampel-Aus), ist eine Frechheit. Absolute Spitze ist aber das von Baerbock geführte Außenministerium mit 92 Beförderungen in drei Jahren. Das passt dann doch wieder zum Fisch-Sprichwort, denn sie selbst geht mit schlechtem Beispiel voran. Baerbock wird demnächst Präsidentin der UN-Generalversammlung in New York – als Teil eines schwarz-rot-grünen Deals, zu dem die grüne Zustimmung zur gigantischen Neuverschuldung zählt. Eine Hand wäscht die andere, die alten Machttechniken der Parteien, die sich erstaunlicherweise wundern, dass sie so oft in einen Topf geworfen werden.
Das Besondere an der Causa Baerbock ist aber das Maß an Heuchelei, das mit ihrer persönlichen Karriereplanung einhergeht. Warum musste die Frau, die ein paar Tage nach der Bundestagswahl schon wusste, dass sie in New York landen würde, die rührende Geschichte von den eigenen Töchtern erzählen, mit denen sie nun endlich mehr Zeit verbringen könne? Wo sie doch in Wahrheit nur keinen Bock auf ein Parteiamt hatte. Vielleicht, weil wir vom gleichen Menschen reden, der auch schon ein in weiten Teilen plagiiertes Buch herausgebracht und seinen Lebenslauf gefälscht hat.
Grotesk auch, dass diejenigen rot-grünen Politiker, die Baerbock nicht wie Sigmar Gabriel oder Volker Beck erstaunlich deutlich kritisierten, ihre Verdienste als Außenministerin hervorheben. Gemeint ist da offenbar eine Ukraine-Politik, die sich auf Waffenlieferungen beschränkte und diplomatische Bemühungen für obsolet hielt. Und natürlich die »feministische Außenpolitik«. Ursprünglich war damit wohl etwas anderes beabsichtigt als Geschäfte mit den frauenfeindlichsten Regimen der Erde zu machen und routiniert zu grinsen, während einem die syrischen Offiziellen bei der Botschaftseröffnung wieder den Handschlag verweigern. Ganz nebenbei hat Baerbock auf dem Weg nach New York in Helga Schmid eine hoch qualifizierte Diplomatin ausgestochen. Eiskalter Karrierismus zulasten einer qualifizierten Frau? Baerbock würde es feministische Machtpolitik nennen.
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