»Rock of Ages«: Der Leopard als Elefant

Rock halt: mal schmierig, mal schwierig. Das Musical »Rock of Ages« ist wieder unterwegs

  • Matthias Penzel
  • Lesedauer: 6 Min.
Nahrhaft wie Popcorn: Themen sind Liebe, Sex und Gier
Nahrhaft wie Popcorn: Themen sind Liebe, Sex und Gier

»Rock of Ages«, der Titel stand zuerst. Auf einem Vertrag für einen Kinofilm. Ein Jukebox-Musical, so wie Abbas »Mamma Mia!«, voller bekannter Songs als Spaß für die ganze Familie. Nachvollziehbar für eine Million mitwippender, bislang unerschlossener Konsumententypen. Ob im Sportstadion oder auf dem Kreuzfahrtschiff: Headbanger gibt es überall, mit und ohne Kutte, aber den Geldbeutel immer dabei. Was macht man mit denen? Bitteschön: Ein Musical zu den größten Rock-Hits der 1980er. Das war die Idee. Der Film ging übrigens 2012 unter. Das Musical tourt seit 2005 mit diversen Ensembles durch die Welt. Und jetzt bis Ende Mai auf Deutsch. 2018 wurde es hierzulande uraufgeführt.

Seine Genese verlief alles andere als one-two-three schnell. Eher mit angezogener Handbremse und Gegenwind. »Rock of Ages« wurde uraufgeführt im King King, einem Schuppen in West-Hollywood. Rock halt: mal schmierig, mal schwierig. Aber wo ein Wille zum Geschäft ist, da fand Musical-Autor Chris D’Arienzo seinen Weg.

Seine Story versteht jeder semi-professionelle Musiker in Paderborn oder Indianapolis: Es geht um Geld und Ruhm und Liebe und Sex. Achtziger? Bitte jetzt nicht an Guns N’Roses denken, Metallica oder gar Slayer; und, RTL zuliebe sei das angemerkt, auch Kajagoogoo oder Boy George werden nicht mal ansatzweise halluziniert. »Rock Of Ages«, schon der Titel drillt sich ins Gemüt wie der aggressivste Ohrwurm. So heißt ein Song von Def Leppard. Deren Namen malten wir uns früher auf die Schulhefte, so eckig und geometrisch wie er auf ihren Platten stand, weil es cool aussah.

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Doch was als Musical geplant war, missfiel der in diesem Jahrhundert eher unauffälligen Band. Def Leppard gaben ihre Millionenseller nicht frei zur Verwendung. Def Leppard sind also in diesem Musical der Elefant im Raum. Oder besser gesagt der taube Leopard. Es gibt aber Lieder von Poison, Twisted Sister, Damn Yankees, Journey, Lita Ford, Pat Benatar und – wo wir langsam bei den nicht ganz ausgenudelten Sell-outs sind – Bon Jovi und Foreigner.

Beim Betreten des Saals des Theaters am Potsdamer Platz in Berlin staunt man: kein Vorhang, weder rot noch feierlich. Was man sieht, ist, was man kriegt. Ein Bühnenbild, so grob wie ein Hinterhof, ein Gemäuer voller Plakate als Insignien der 1980er, wie damals im »Metal Hammer« kolportiert. Von irgendeinem s/w-fotokopierten Flyer grinst Charles Manson. Man riecht es förmlich, das halbgar Durchdachte, das einen animiert zu singen: »F-F-F-Foooolin« (von Def Leppard), uns legt hier keiner rein.

Affirmation ist ja schön und gut, aber nicht die ganze Miete. Einige Fassaden und Treppengeländer auf der Bühne sind dekoriert wie die Bass-Drums von Tommy Lee – mit Unterwäsche von zwei Dutzend Models. Geradezu grotesk ist diese Staffage, irgendwie so nasepopelnd pubertär wie Buben im Partykeller, dabei ist das Publikum eher Ü50, auch das Geschlechterverhältnis ist 50/50.

Bei Tommy Lee von Mötley Crüe war das schon damals lachhaft, aber wir waren jung und zwischen locker und verklemmt. Die über die Drums drapierten Fetzen sollten die Trophäen eines Heartbreakers sein, immerhin war Lee der Ex von Heather Locklear, Bobbie Brown und Pamela Anderson, von denen wir in den 80ern träumten. Vierzig Jahre später, die meisten sind sichtbar gealtert und um fünfzig Jahre, kommen Gags dieses Kalibers mal halbherzig und traurig oder metaphorisch wie aus der Toilette, was im Musical tatsächlich mehrmals vorkommt.

Def Leppard, der Elefant im Musical, hat es hinter sich: den langen Aufstieg und die Historie voller Schürfwunden, die Beerdigungen, viel zu viel Tränen für zweitausend Leben mit Koks und Krisen und Katastrophen und Kollaps. Im Musical geht es über den PVC-Korridor zu den Sternen über der Hölle. Leider mit Powerballaden von Langhaarigen, die mit verzerrten Gitarren eigentlich immer Pop spielten, alle im selben Tempo (ungefähr 120 bpm).

Da die Songs nach US-Kriterien ausgewählt wurden, hat man sie hier höchstens peripher wahrgenommen (Zeugs von Styx, REO Speedwagon, Warrant) oder gar nicht (Quarterflash). Trotzdem ist es für manchen im Publikum wie Kuschelrock-Karaoke, aufgepeppt und ins Bett geschickt zu den anderen Hits. Der dafür Verantwortliche hatte an den – hier eher super-simplen Arrangements – offenbar so viel Spaß, dass er gleich auch ein Stück (allen unbekannt) beisteuerte: Beaver Hunt. Kann man online finden, auch den Text der noch mehr als die Musik symptomatisch ist für das Niveau dieses Musicals.

Die Songtexte folgen der Story und sind nahrhaft wie Popcorn: Themen sind Liebe und Striptease, Sex und Gier. Als Erzähler fungiert Lonny, der die vierte Wand niederreißt und sich dem Publikum anvertraut. Dann kommt – es ist 1987 – der Nachwuchsmusiker Drew dazu. Er jobbt im Club und putzt die Klos, agiert mit Müllsäcken voller Erbrochenem. Lonny ist Assistent von Besitzer Dennis. Der ist alt, semi-klug, gerissen aber lieb (kennt man aus jeder Diskothek). Der dies unterstreichende Song ist David Lee Roths »Just Like Paradise«, verschränkt mit »Nothin’ But A Good Time« von Poison.

Drew ist ungefähr so, wie man selbst mit 23 war, kommt von weit weg (aus Michigan, so wie der Musical-Autor) und verliebt sich unterm Hollywood-Logo in Sherrie, die aus dem Greyhound-Bus in die Stadt der zerbrochenen Träume steigt, um Filmstar zu werden. Sie kommt vom Land (wie der Musical-Autor). Schon an der Bushalte wird sie bestohlen und weiß sofort, was zu tun ist: Sie will kellnern im Bourbon Room. Als sie im Minirock vorspricht, starren die Männer sie an, doch sie – stolz und ihres Werts bewusst – dreht sich von ihnen weg und beugt sich nach vorn, um einen Glücks-Penny vor ihren Füßen aufzulesen. Huch! – das überzeugt Bar-Betreiber.

Beeindruckend ist in jedem Fall, wie wirklich jede und jeder im Ensemble performt: Tanzend und singend, mit etwas Akrobatik oder Schauspielerei. Verlässlich wie Kiss. Zudem beruhigend, dass niemand auch nur versucht zu singen wie Lou Gramm oder Joan Jett. Die E-Drums fielen vermutlich niemandem auf. Analog zur Parade an Hits aus der Dauerwelle ist die Choreografie auf- oder an- oder abregend wie die gespreizten Beine und Stretch-Übungen an der Stange in Stripclubs, in denen Mötley Crüe und Van Halen um die Wette laufen. Das Altern tut auch Klischees und Sexismen von vor zwanzig oder vierzig Jahren nicht wirklich gut.

Zudem sind Hyperbel und krasseste Ultra-Idiotie seit Spinal Tap kaum mehr zu toppen. Das gab’s schon, das war besser, saugut eigentlich. Kommt übrigens zum 41. Geburtstag diesen Sommer ins Kino: »Spinal Tap II – The End Continues«.

2.4. Hamburg, Inselpark Arena; 11.4., 12.4.2025 Dresden, Messe; 15.4., 16.4., 17.4. Stuttgart, Liederhalle; 19.4., 20.4., 21.4. Wien, Stadthalle, 25.4., 26.4., 27.4. Nürnberg, Meistersingerhalle (wird fortgesetzt)

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